Entgeltzahlungen aufgrund der vorläufigen Verbindlichkeit von arbeitsrechtlichen Urteilen
In zwei aktuellen Entscheidungen (OGH 17.07.2025, 9ObA77/24z und 23.06.2025, 8ObA15/25a) befasste sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, welche rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen sich aus der vorläufigen Verbindlichkeit von erstinstanzlichen Urteilen gemäß § 61 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG) ergeben. Insbesondere ging es um die Behandlung von Entgeltzahlungen während eines laufenden Gerichtsverfahrens über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und ihrer allfälligen Rückforderbarkeit.
Nach § 61 ASGG sind erstinstanzlichen Urteile in bestimmten arbeitsrechtlichen Streitigkeiten vorläufig verbindlich – auch wenn diese später rechtskräftig abgeändert werden. Normzweck des § 61 ASGG ist es, in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten (vor allem, wenn sie den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses betreffen) rasche Rechtssicherheit zu schaffen und Arbeitnehmer*innen die rasche Durchsetzung von Entgeltansprüchen zu ermöglichen. Die vorläufige Verbindlichkeit kommt dabei ausschließlich dem jeweils „ersten“ Urteil des Gerichts erster Instanz zu. Diese Wirkung erstreckt sich auch auf andere Prozesse zwischen den Arbeitsvertragsparteien, sodass diese an die durch das erstinstanzliche Urteil geschaffene vorläufige Rechtslage gebunden sind. Gleichzeitig soll jedoch durch diese Bestimmung keine Partei endgültig die Folgen einer potenziell rechtswidrigen Entscheidung tragen müssen, bevor das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.
Im Falle einer in der ersten Instanz erfolgreichen Kündigungsanfechtungklage oder Klage auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, wird laut der Rechtsprechung das Arbeitsverhältnis vorläufig als „fortbestehend fingiert“. Daraus folgt, dass Arbeitnehmer*innen auch vorläufig Anspruch auf Entgelt haben, als ob das Arbeitsverhältnis tatsächlich weiter bestehen würde. Wird die Klage letztlich rechtskräftig abgewiesen, verliert das erstinstanzliche Urteil jedoch rückwirkend seine verbindliche Wirkung. In der Praxis wirft dies die Frage auf, wie im Fall von klagsstattgebenden erstinstanzlichen Urteilen mit Entgeltzahlungen aufgrund der vorläufigen Verbindlichkeit umzugehen ist; insbesondere ob Arbeitnehmer*innen in diesem Zeitraum weiterhin Arbeitsleistungen erbringen oder dienstfrei gestellt werden sollten. Dies hat nämlich entscheidende Auswirkungen auf die spätere Rückforderbarkeit von geleisteten Entgeltzahlungen, falls das erstinstanzliche Urteil später rechtskräftig im klageabweisenden Sinn abgeändert wird.
Erbringen Arbeitnehmer*innen während laufenden Verfahrens ihre Arbeitsleistung, haben sie - unabhängig vom endgültigen Verfahrensausgang - auch Anspruch auf die Gegenleistung in Form des Entgelts. Dies ergibt sich aus dem Synallagma von Arbeit gegen Entgelt.
Arbeitgeber*innen steht es aber auch frei, den/die Arbeitnehmer*in dienstfrei zu stellen, da es grundsätzlich kein Recht auf Beschäftigung gibt. Während einer solchen Dienstfreistellung haben arbeitsbereite Arbeitnehmer*innen vorläufig nach § 1155 ABGB Anspruch auf das Entgelt; sie müssen sich jedoch anrechnen lassen, was sie sich infolge Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt haben. Wird das Urteil später im klagsabweisenden Sinn abgeändert, können Arbeitgeber*innen das gezahlte Entgelt zurückfordern, da keine Arbeitsleistung erbracht wurde und der Rechtsgrund für die Zahlung nachträglich entfällt. Dies gilt nach der nunmehrigen Entscheidung selbst in Fällen, in denen Arbeitnehmer*innen – wie z.B. im Theaterarbeitsgesetz vorgesehen - ausnahmsweise ein Recht auf Beschäftigung haben, und Arbeitgeber*innen sie dennoch (rechtswidrig) nicht einsetzen.
Arbeitnehmer*innen haben im Falle einer Rückforderung das aufgrund der vorläufigen Verbindlichkeit geleistete Entgelt zuzüglich Zinsen zurückzuzahlen. Der höhere arbeitsrechtliche Zinssatz nach § 49a ASGG von 9,2 % p.a. über dem am Tag nach Eintritt der Fälligkeit geltenden Basiszinssatz gilt sowohl für Forderungen von Arbeitnehmer*innen als auch für solche von Arbeitgeber*innen. Nach der Rechtsprechung gilt dieser höhere arbeitsrechtliche gesetzliche Zinssatz (von derzeit gesamt 10,73% [ab 11. 6. 2025]) grundsätzlich auch für bereicherungsrechtliche Vergütungszinsen. Nur wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht, kommen die allgemeinen Bestimmungen über die gesetzlichen Zinsen mit einem Zinssatz von in der Regel 4% zur Anwendung. Der bloße Umstand, dass die Zahlung an die Arbeitnehmer*innen auf der vorläufigen Verbindlichkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 61 ASGG beruht, begründet dabei für sich alleine noch keine vertretbare Rechtsansicht und führt daher nicht automatisch zur Anwendung des niedrigeren Zinssatzes.
Um das wirtschaftliche Risiko zu minimieren, ist es daher im Falle eines klagsstattgebenden erstinstanzlichen Urteils ratsam, Arbeitnehmer*innen für die Dauer des Gerichtsverfahrens unter Vorbehalt der Rückzahlung dienstfrei zu stellen.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.