Die Digitalstrategie der EU – wird es Europa schaffen, sich gegenüber USA und China zu behaupten?
Im Februar legte die Europäische Kommission drei Strategiepapiere zur digitalen Zukunft Europas vor – ohne zu wissen, dass ein Monat später aufgrund von COVID-19 Digitalisierung in Europa noch mehr als schon bisher zu einer Notwendigkeit wird. Bei der Umsetzung will die EU-Spitze weder China noch den USA folgen, sondern einen eigenen digitalen Weg europäischer Prägung einschlagen. Doch was bedeutet das konkret für die Zukunft der Europäischen Union?
Unternehmenssitze von Anbietern sozialer Netzwerke, Internethandelsriesen oder erfolgreiche Smartphone-Hersteller sucht man in der EU vergeblich. Der Grund hierfür liegt unter anderem an der Innovationsferne Europas im digitalen Bereich. Damit soll jetzt Schluss sein – glaubt man der neuen Kommissionsführung, die einen Plan zur Gestaltung der digitalen Zukunft Europas, eine Datenstrategie, sowie ein Weißbuch zur Künstlichen Intelligenz vorgelegt hat.
Mitteilung zur Gestaltung der digitalen Zukunft Europas
Der Aktionsplan sieht gezielte Förderungsprogramme, die Mobilisierung privater Investoren und generell eine bessere, länderübergreifende Zusammenarbeit im Bereich von Forschung und Innovationen vor. Schwerpunkte werden dabei insbesondere auf die Bereiche Künstliche Intelligenz („KI“), Cybersicherheit, Super- und Quantencomputer, Quantenkommunikation und Blockchain gesetzt.
Damit der digitale Wandel in allen Bevölkerungsschichten ankommt, soll die digitale Bildung und Kompetenzen der Bevölkerung verbessert, die öffentliche Verwaltung weiter digitalisiert und die Gigabit Anbindung in Europa beschleunigt werden. Generell soll es zu mehr Investitionen in strategische Kapazitäten wie das 5G bzw. künftige 6G Netz kommen. Um die Sicherheit zu erhöhen, soll eine Europäische Cybersicherheitsstrategie erarbeitet werden.
Insgesamt will die Kommission die Abhängigkeit von andernorts geschaffenen digitalen Lösungen reduzieren bzw. ganz vermeiden. Dafür soll eine neue EU-Industriestrategie, ein wettbewerbsfähiges, sicheres und digitales Finanzwesen, sowie eine neue Verbraucheragenda vorgelegt werden. Zudem will die Kommission die Wettbewerbsregeln und das Steuerrecht an die Herausforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft anpassen.
Schlussendlich sieht der Aktionsplan die Verwirklichung eines digitalen Binnenmarkts vor, legt einen Schwerpunkt auf digitale Nachhaltigkeit und will hochwertige Inhalte und Medienpluralismus in Zeiten des digitalen Wandels fördern. Zudem soll Ende 2020 ein Rechtsakt über digitale Dienste vorgelegt werden. Es ist zu erwarten, dass dieser konkretere Maßnahmen beinhaltet.
Generell liest sich die Digitalstrategie eher noch als allgemeiner Wegweiser in Richtung einer digitalen Zukunft und weniger als Beschreibung konkreter Maßnahmen.
Haftungs- und Sicherheitsfragen von KI
Etwas konkreter wird die Kommission bei ihrem Weißbuch zur KI und ihrer Datenstrategie. Die Kommission identifiziert dabei richtiger Weise, dass die Beantwortung der Haftungs- und Sicherheitsfragen eine große rechtliche Herausforderung im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz sein wird. Der Mensch soll nicht zum bloßen Objekt technischer Vorgänge werden.
Die Kommission möchte mit dem Weißbuch einen Rechtsrahmen für eine vertrauenswürdige KI schaffen, indem in einem ersten Schritt bestehende europäische Regelungen an KI und ihre Wirkungen angepasst werden sollen. Beispielsweise könnte der Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie weiter präzisiert werden, damit Softwareentwickler besser beurteilen können, ob sie als Hersteller im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie angesehen werden. Die Kommission überlegt auch, ob Opfern von Schäden im Zusammenhang mit KI die Beweislast erleichtert werden sollte.
Erst in einem zweiten Schritt soll für hochriskante KI-Anwendungen eigene Regelungen eingeführt werden. Die Kommission verfolgt damit einen risikobasierten Ansatz, um – insbesondere für KMU – keinen unverhältnismäßigen Aufwand zu verursachen. Besonders risikobehaftete KI Systeme sollen zwar vor ihrer Marktzulassung getestet und zertifiziert werden. Für KI-Anwendungen ohne hohes Risiko sieht die Kommission hingegen nur ein freiwilliges Kennzeichnungssystem vor. Das Risiko soll grundsätzlich nach der Sensibilität des Sektors und Bereichs, wo das KI-System eingesetzt wird, beurteilt werden. Manche KI-Anwendungen, wie die Gesichtserkennung, werden ungeachtet ihres Einsatzbereiches als hochriskant eingestuft.
Die neue Digitalisierungswelle – Industriedaten
Die Kommission erkennt, dass Europa im Bereich von Big Data der B to C Anwendungen abgeschlagen ist. Hier scheint eine Aufholjagd nicht mehr oder nur schwer möglich. Andererseits hat sie jedoch ein größeres – auch weltweit noch nicht ausgeschöpftes Potential in der Nutzung von nicht-personenbezogenen Industriedaten identifiziert. Die Kommission sieht europäische Industriedaten, die Unternehmen wie beispielsweise Siemens oder Ahlstrom generieren, als eine noch ungenutzte Chance eine Poleposition für europäische Unternehmen zu schaffen und will diese erheben und nutzbar machen. Diese nicht-personenbezogenen Daten sind qualitativ hochwertig, können gut für KI eingesetzt werden und gewinnen immer mehr an Bedeutung. Fraglich ist, wie das rechtlich konkret umgesetzt werden soll und ob genügend Anreize für die Unternehmen bestehen, Daten auszutauschen. Unter gewissen Umständen könnte es sich anbieten, hier einen Datentreuhänder einzusetzen, der die eingespeisten Daten verarbeitet und den Unternehmen in aggregierter Form wieder zur Verfügung stellt. Bekanntlich wurden solche Systeme schon zur Ermöglichung der Zusammenführung von Daten unterschiedlicher Hersteller im Bereich des autonomen Fahrens überlegt. Diese anonymisiert ausgetauschten Industriedaten könnten europäischen Unternehmen helfen, ihre Produkte zu verbessern, Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Kommission will auch sogenannte Datenräume einrichten, in denen Unternehmen untereinander, aber auch mit der öffentlichen Hand, Daten besser austauschen können. Auch europäische Cloudlösungen sollen angeboten werden.
Eine Frage der Zeit und des Geldes
Wie die noch eher vage formulierten Strategien umgesetzt werden und ob die Europäische Union es tatsächlich schafft, die europäische Digitalbranche wieder wettbewerbsfähig zu machen, wird sich wohl erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. Anfang April gab die Europäische Kommission ein klares Bekenntnis ab, dass die Digitalstrategie trotz oder vielleicht gerade wegen der derzeitigen Krise entschlossen weiterverfolgt werden soll.
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