Die neue Restrukturierungsordnung auf einen Blick
Der lange erwartete Entwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1023 über präventive Restrukturierungen wurde veröffentlicht und ist nun in Begutachtung. Eine Restrukturierungsordnung (ReO) soll neben die bestehende Insolvenzordnung (IO) treten und die Vorgaben der EU erfüllen. Die ReO soll mit 17. Juli 2021 und daher pünktlich mit Auslaufen der von der EU vorgegebenen Umsetzungsfrist in Kraft treten.
Was will die ReO?
Das neue Gesetz will Unternehmen und Unternehmern*innen den Zugang zu einem Restrukturierungsverfahren öffnen, bevor Insolvenz eingetreten ist. Denn Sanierungschancen sind am größten, wenn solche Verfahren möglichst früh in Angriff genommen werden.
Es muss aber zumindest eine „wahrscheinliche Insolvenz“ (etwa gemessen an den bekannten Kennzahlen des Unternehmensreorganisationsgesetzes) vorliegen. Ist das der Fall, kann das Unternehmen Instrumente wie einen Schutzschild in Form einer Vollstreckungssperre und einen Restrukturierungsplan zur Sanierung nutzen. In der Praxis werden solche Verfahren wohl vor allem für Schuldenschnitte oder -anpassungen genutzt werden. Die Initiative muss vom Schuldner kommen, Gläubiger*innen können das Verfahren nicht beantragen.
Sanierung für alle?
Die ReO steht theoretisch allen Unternehmen und damit auch KMU oder Einzelunternehmern*innen offen (ausgenommen ist insbesondere der Finanzsektor). In vielen Fällen kann oder muss das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten zur Seite stellen.
Das Verfahren bedarf teils umfassender Vorarbeiten etwa im Zusammenhang mit dem Inhalt des Restrukturierungsplans und der aufzuarbeitenden Unterlagen, den anzustellenden Berechnungen und Kalkulationen etc. Insofern könnte das Verfahren in der Praxis unter Umständen nur für Unternehmen ab einer gewissen Größe und einem gewissen Professionalisierungsgrad der Rechnungslegung attraktiv und realistisch sein.
Geheim oder öffentlich, was immer der Sache dient
Das Restrukturierungsverfahren ist kein kollektives, sondern ein selektives Verfahren. Der Schuldner kann die Verfahrensinstrumente auf einzelne Gläubiger*innen und Gläubiger*innenklassen beschränken (ausgenommen sind insbesondere Arbeitnehmerforderungen, die nicht einbezogen werden dürfen).
Das Verfahren und dessen Wirkungen sollen demnach auch auf den Kreis der davon Betroffenen beschränkt und daher möglichst geheim bleiben. Wenn der Schuldner das möchte, wird das Verfahren in der Ediktsdatei veröffentlicht.
Die Mehrheit schafft an
Der Restrukturierungsplan kann Restrukturierungsmaßnahmen wie etwa Forderungskürzungen (Schuldenschnitt) gegen den Willen einer widersprechenden Minderheit durchsetzen. Wird pro Gläubiger*innenklasse eine 75%ige Summen- und eine einfache Kopfmehrheit erreicht, ist der Plan für sämtliche davon betroffenen Gläubiger*innen bindend (Cram-down). Dadurch sollen einzelne Gläubiger*innen, die eine von der breiten Mehrheit mitgetragene Sanierung blockieren (sog Akkordstörer) überstimmt werden können. Im besten Fall kann diese Möglichkeit auch deren Störpotential bei außergerichtlichen Sanierungen reduzieren, weil Akkordstörer damit rechnen müssen, sonst im Verfahren nach der ReO überstimmt zu werden.
Es muss aber sichergestellt sein, dass die Gläubiger*innen, die gegen den Plan gestimmt haben, nicht schlechter gestellt werden als im Fall der zum Restrukturierungsplan nächstbesten Alternative.
Klassenbildung
Die Gläubiger*innen sind zwingend in Klassen von besicherten und unbesicherten Gläubiger*innen, Anleihegläubiger*innen, schutzbedürftigen und nachrangigen Gläubiger*innen zu unterteilen (dies gilt nicht für KMU). Werden die erforderlichen Mehrheiten nicht in jeder Klasse erreicht, ermöglicht ein klassenübergreifender Cram-down dennoch eine gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans, wenn diesem zumindest (i) eine Mehrheit der Klassen inklusive der besicherten Gläubiger*innen oder (ii) eine Mehrheit aller „im Geld“ befindlichen Klassen (das sind solche Klassen, die auch bei einer Fortführung im Insolvenzverfahren eine Verteilungsquote erhalten würden) zugestimmt hat.
Eigentümer*innen bleiben ungeschoren
Die Anteilsinhaber*innen dürfen die Annahme, die Bestätigung und die Umsetzung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren. Nach dem Gesetzesentwurf können die Eigentümer*innen / Anteilsinhaber*innen aber nicht als eigene Klasse in den Restrukturierungsplan miteinbezogen (und daher nicht in einem klassenübergreifenden Cramdown überstimmt) werden.
Der Restrukturierungsplan kann daher nicht gegen deren Willen in deren rechtliche und wirtschaftliche Position eingreifen oder deren Mitwirkung erzwingen. Ein debt-to-equity-swap gegen den Willen der Eigentümer*innen ist nicht möglich. Insofern bleibt der österreichische Entwurf hinter dem von der EU ermöglichten und in anderen Ländern bereits vorgesehenen Repertoire zurück.
Schutzschild
Damit Gläubiger*innen die Restrukturierung nicht torpedieren können, steht Schuldner*innen auf Antrag für drei bis insgesamt sechs Monate eine Vollstreckungssperre zur Verfügung, die alle Arten von Forderungen erfassen kann. In dieser Zeit gilt weiters eine Insolvenzsperre für den Insolvenzgrund der Überschuldung (nicht jedoch für die Zahlungsunfähigkeit). Vertragspartner*innen können die für den Betrieb des Unternehmens erforderlichen Verträge nicht aufgrund ausstehender Forderungen oder aufgrund der Restrukturierung fällig stellen, abändern oder auflösen, und ausstehende Leistungen dürfen nicht verweigert werden. Die Sanierung soll nicht daran scheitern, dass wesentliche Verträge oder Leistungen wegfallen. Eine aktive Vertragsauflösung durch den Schuldner ist nicht vorgesehen.
Frisches Geld und Unternehmensfortführung geschützt
Neu- bzw Zwischenfinanzierungen sowie sonstige mit der Restrukturierung in engem Zusammenhang stehende (insbesondere für die Fortführung notwendige) Transaktionen sollen in einer möglichen späteren Insolvenz nur mehr eingeschränkt angefochten werden können.
Schnellverfahren für finanzielle Restrukturierungen
Sind nur Finanzgläubiger*innen an der Restrukturierung beteiligt, steht ein vereinfachtes Restrukturierungsverfahren zur Verfügung. Eine gerichtliche Abstimmung kann durch Vorlage einer von einer ausreichenden Gläubiger*innenmehrheit (75 % Summenmehrheit pro Klasse, keine Kopfmehrheit erforderlich) unterschriebenen Vereinbarung ersetzt werden. Im Schnellverfahren ist keine Vollstreckungssperre vorgesehen. Was aus dem Entwurf nicht klar hervorgeht ist, ob ein klassenübergreifender Cram-down möglich ist (für einen solchen ist im Regelverfahren nämlich zwingend die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten vorgesehen).
Rein in die Begutachtung
Das Begutachtungsverfahren für den Gesetzesentwurf läuft bis zum 6. April. Aus unserer Sicht sollte die Zeit noch für einen Feinschliff genutzt werden.
Der Begriff Restrukturierung wird nach dem Gesetzesentwurf relativ weit verstanden und inkludiert neben finanziellen auch operative Restrukturierungsmaßnahmen. Die Gesetzesmaterialien betonen aber, dass der Restrukturierungsplan Forderungskürzungen erleichtern, jedoch keine Kündigung oder Abänderung von Verträgen gegen den Willen der Vertragspartner*in ermöglichen soll. Nachdem auch in rein finanziellen Restrukturierungen getroffene Maßnahmen meistens bestehende (Finanzierungs-)Vereinbarungen berühren (zB Anpassung der Fälligkeiten, Zinsen, Covenants, Umgang mit Sicherheiten etc), sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass der Restrukturierungsplan solche Maßnahmen ermöglicht.
Die Unterscheidung zwischen einem Schnellverfahren für finanzielle Restrukturierungen und einem „regulären“ Verfahren ist sinnvoll. Auch für das Schnellverfahren sollte die Möglichkeit eines (vereinfachten) klassenübergreifenden Cram-downs offenstehen. Die Einbindung eines Restrukturierungsexperten ist hier aufgrund eines geringeren Schutzbedürfnisses nicht erforderlich. Der Entwurf ist hier nicht ganz eindeutig, Klarstellung wäre daher wünschenswert.
Auch bei der Einbeziehung der Eigentümer*innen in das Verfahren und insbesondere der Möglichkeit eines debt-to-equity-swaps könnte der Gesetzgeber aus unserer Sicht durchaus mutiger sein. Internationale Vorbilder gibt es genug, bereits ein Blick über die Grenze nach Deutschland reicht aus.
Es bleibt zu hoffen, dass einige dieser Punkte noch in das verabschiedete Gesetz Eingang finden und die ReO von der Praxis als ernstzunehmende Alternative zu herkömmlichen Insolvenzverfahren angenommen wird.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.