Höchstgerichtliche Auslegung zur Unwirksamkeit von Kündigungen bei Nichteinhalten des AMS-Frühwarnsystems
Gemäß dem sogenannten Frühwarnsystem des § 45a Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) muss der Arbeitgeber bei Überschreitung einer gewissen Zahl von beabsichtigten Kündigungen (bzw. einvernehmlichen Auflösungen) eine schriftliche Anzeige an die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarkservice (AMS) erstatten. Zweck dieses Frühwarnsystems ist es insbesondere, dem AMS zu ermöglichen, frühzeitig geeignete arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu ergreifen.
Ein solche Anzeigepflicht besteht, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen (i) eine nach Betriebsgröße gestaffelte Anzahl von Arbeitsverhältnissen (unabhängig vom Alter der Betroffenen) oder (ii) die Arbeitsverhältnisse von mindestens fünf über 50-jährigen Arbeitnehmern aufzulösen. Die Anzeige muss mindestens 30 Tage vor der ersten Auflösungserklärung erstattet werden. Kündigungen, die vor Einlagen der Anzeige beim AMS oder nach Einlangen der Anzeige innerhalb der Sperrfrist von 30 Tagen ausgesprochen werden, sind rechtsunwirksam. In der Praxis stellen sich immer wieder Fragen zur Berechnung der genannten Schwellenwerte. Die Beurteilung dieser Fragen hat wegen der drohenden Konsequenz einer meist größeren Anzahl von Kündigungen regelmäßig eine besondere Bedeutung.
Der OGH hatte sich nunmehr in zwei aktuellen Entscheidungen (OGH 21.10.2020, 9 ObA 74/20b und OGH 23.10.2020, 8 ObA 83/20v) mit der Berechnung Schwellenwerte zu beschäftigen. Den Fällen lag der Sachverhalt zugrunde, dass ein Unternehmen über 300 Personen beschäftigte und innerhalb von 30 Tagen 10 Arbeitsverhältnisse auflöste, ohne eine Anzeige beim AMS erstattet zu haben. Sieben Arbeitnehmer hatten bereits das 50. Lebensjahr vollendet, wodurch die oben unter (ii) genannte Schwelle überschritten wurde nicht aber jene unter (i). Klar war, dass die Kündigungen der über 50-jährigen Arbeitnehmer unwirksam waren. Klagsgegenständlich war aber jeweils die Frage, ob auch die Kündigungen der anderen Arbeitnehmer wegen Verletzung der Anzeigepflicht unwirksam sind, auch wenn die Anzeigepflicht nur wegen der Kündigung der sieben über 50-jährigen Arbeitnehmer ausgelöst worden war.
Im Ergebnis kam der OGH zur Entscheidung, dass nach dem Wortlaut des § 45a AMFG die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Kündigung(en) nur auf jene Arbeitnehmer anwendbar ist, die das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben, und nicht auf andere im selben Zeitraum gekündigte Arbeitnehmer ausgedehnt werden kann. Die Kündigungen der über 50-jährigen Arbeitnehmer sind zwar bei der Berechnung der oben unter (i) genannten Schwellenwerte zu berücksichtigen, diese wurden aber nicht erreicht. Die Kündigungen der unter 50-jährigen Arbeitnehmer waren daher wirksam.
Bei der Beurteilung, ob die Altersgrenze von 50 Jahren erreicht ist, sei laut dem OGH aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem der Arbeitgeber den Entschluss zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses fasst und nicht auf das durch die Kündigung bewirkte Enddatum des Arbeitsverhältnisses. Somit war auch die Klage jenes Arbeitnehmers, der das fünfzigste Lebensjahr während der Kündigungsfrist vollendet hatte, abzuweisen.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.