Strukturelle Abhilfemaßnahmen als Mittel gegen übermächtige Digitalplattformen
Die kleine Gruppe großer Techkonzerne
Jahrelang konnten sich Plattformanbieter wie Google, Facebook und Amazon mit ihren erfolgreichen Geschäftsmodellen zu uneinholbaren Marktführern entwickeln. Inzwischen gehören sie zu den weltweit dominierenden Unternehmen. In ihren Marktsegmenten fungieren die Tech-Riesen dabei vermehrt als Gatekeeper zwischen gewerblichen Nutzern und Endnutzern und stehen unter Verdacht, einen funktionsfähigen Wettbewerb zu verhindern. Unter anderem wird ihnen der gezielte Erwerb anderer Unternehmen und die Bevorzugung eigener Dienste auf den von ihnen bereitgestellten Plattformen vorgeworfen.
Die Frage des „richtigen“ Umgangs mit Big-Tech-Unternehmen ist daher seit einiger Zeit nicht nur in den USA, sondern auch in Australien, China und auf europäischer Ebene ein zentrales Thema. Als Antwort hat die Europäische Kommission im Dezember 2020 die Entwürfe des europäischen Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) vorgestellt (siehe dazu auch Die Digitalstrategie der EU – neue Gesetze für Digitalunternehmen). Bei Verstößen gegen die vorgeschlagenen Verhaltensauflagen des DMA, sollen den Online-Plattformen neben enormen Geldbußen, nun auch strukturelle Abhilfemaßnahmen drohen. Mit diesem Schritt eröffnet die Europäischen Kommission offenbar die Möglichkeit, Tech-Giganten als letzte Konsequenz zu zerschlagen.
Strukturelle Abhilfemaßnahmen im Einsatz
Der Begriff der strukturellen Abhilfemaßnahme umfasst Eingriffe in die Unternehmensstruktur der betroffenen Marktteilnehmer. Anordnungen struktureller Art können beispielsweise in der Veräußerung einzelner Betriebsteile, Gesellschaftsanteile oder Tochtergesellschaften sowie in der Freigabe und Aufgabe von (gewerblichen) Schutzrechten bestehen.
Bekannt sind Abhilfemaßnahme struktureller Natur, insbesondere aus dem US-Antitrust. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen wurde hier bereits in den achtziger Jahren die US-Telefongesellschaft AT&T zerschlagen und in einzelne Gesellschaften aufgeteilt. Auch die Zerschlagung des Software-Unternehmens Microsoft hatten die US-Behörden gefordert, konnten sich damit aber gerichtlich nicht durchsetzen. Microsoft und das US-Justizministerium einigten sich schlussendlich außergerichtlich.
In Europa werden strukturelle Maßnahmen kartellrechtlich bisher nur sehr zögerlich angewendet. Die außerordentliche Marktmacht einzelner digitaler Plattformen zwingt die Behörden aber nun zu einem Umdenken. Folglich werden strukturelle Maßnahmen derzeit intensiv als Abhilfemaßnahmen gegen Wettbewerbsbehinderungen, vor allem auch im Zusammenhang mit datenschutzrechtlichen Bedenken, diskutiert.
US-Behörden fordern die Zerschlagung von Facebook und Google
In den USA mehren sich Rufe nach einer verstärkten Regulierung sowie der Zerschlagung von Amazon, Apple, Facebook und Google. Vorrangig auf Betreiben der demokratischen Senatorin Elisabeth Warren, wurden Ende 2020 Verfahren gegen Google und Facebook eingeleitet. Die Facebook-Klage zielte dabei auf die Abspaltung von Instagram und WhatsApp ab. Dass es jedoch tatsächlich zu einer Zerschlagung des Konzerns kommt, gilt als unwahrscheinlich. Vielmehr wird mit strengen verhaltensorientierten Auflagen, die aber starke Vorbildwirkung haben könnten, gerechnet.
Entwicklungen in Europa – neue Möglichkeiten des DMA
Im europäischen Kartellrecht ist die bloße Erlangung und Innehabung von Marktmacht und Marktbeherrschung grundsätzlich nicht kartellrechtswidrig. Sofern nicht der Nachweis konkreter missbräuchlicher Verhaltensweisen gelingt, erlauben die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen prinzipiell kein Einschreiten. Durch die Reformvorschläge der Europäischen Kommission könnte sich das nun ändern. Vor allem Frankreich und Niederlande hatten sich im Vorfeld für strengere Sanktionsmöglichkeiten, bis hin zu einer Zerschlagung von Digitalplattformen, stark gemacht. Dieses Vorgehen ist auch deshalb bemerkenswert, da gerade die Niederlande bisher im Kampf gegen US-Internetmonopole gewöhnlich eher zurückhaltend agiert hatten.
Im kürzlich veröffentlichten DMA sind nun neben Geldbußen im Wiederholungsfall auch verhaltensorientierte sowie strukturelle Maßnahmen als Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen. Die Erwägungsgründe nennen ausdrücklich die rechtliche, funktionelle oder strukturelle Trennung, einschließlich der vollständigen oder teilweisen Veräußerung von Geschäftsbereichen als mögliche Abhilfemaßnahmen. Damit ist beispielsweise der Verkauf von Unternehmenseinheiten, Vermögenswerten, Rechten des geistigen Eigentums wie beispielsweise Marken umfasst. Diese Maßnahmen können unter anderem dann vorgesehen werden, wenn eine Marktuntersuchung ergibt, dass die Größe des Gatekeepers im Binnenmarkt weiter zugenommen oder sich die wirtschaftliche Abhängigkeit der Nutzer von zentralen Plattformdiensten verstärkt hat. Voraussetzung für den Einsatz struktureller Abhilfemaßnahmen ist aber jedenfalls ein systematischer Verstoß (innerhalb von fünf Jahren mindestens drei Geldbußen oder Beschlüsse wegen Nichteinhaltung). Vorrangig sollen verhaltensbezogene Maßnahmen ergriffen werden. Strukturelle Abhilfemaßnahmen sind nur als Ultima Ratio angedacht.
Führen strukturelle Abhilfemaßnahmen zum gewünschten Ergebnis?
Ob durch strukturelle Abhilfemaßnahmen tatsächlich der gewünschte funktionsfähige Wettbewerb erreicht werden kann, wird widersprüchlich gesehen. Der lautstarken Forderung nach Zerschlagung, stehen Meinungen gegenüber, die diese Maßnahme als zu aggressiv einschätzen – vor allem auch deshalb, weil die langfristigen Konsequenzen schwer abschätzbar sind. Durch ihre disruptive Wirkung auf das Marktgeschehen, können Verwerfungen auch so weit gehen, dass die beabsichtigte Förderung von Konsumenteninteressen unterlaufen wird. Selbst die Zerschlagung von AT&T - oft als Erfolgsbeispiel struktureller Maßnahmen angeführt - wird volkswirtschaftlich mittlerweile durchaus kritisch betrachtet. So führte in Europa der (anderweitig erzwungene) Wettbewerb zwischen Telekommunikationsanbietern zu niedrigeren Verbraucherpreisen als die Zerschlagung in den USA. Demzufolge wird teilweise eine vorsichtigere Herangehensweise mit Fokus auf verhaltensorientierte Maßnahmen gefordert. Der Vorschlag von EU-Wettbewerbskommissarin Vestager, anstatt einer Zerschlagung die marktbeherrschenden Unternehmen zur Weitergabe der von ihnen gesammelten Daten zu verpflichten, hatte dabei in der Vergangenheit schon große Zustimmung gefunden.
Als weiterer Kritikpunkt am DMA gilt, dass strukturelle Abhilfemaßnahmen erst dann getroffen werden können, wenn die Voraussetzungen eines systematischen Verstoßes erfüllt sind. Während dieses Zeitraums besteht bereits die Gefahr erheblicher und nachhaltiger Schädigung. Auch die Frage der effektiven Durchsetzbarkeit gegenüber Akteuren aus Drittstaaten ist noch nicht abschließend geklärt. Insofern wird zukünftig die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung übermächtiger Digitalkonzerne ein wesentliches Thema sein.
Da das digitale Regulierungspaket ohnehin noch vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat verhandelt werden muss, wird mit einer Anwendbarkeit frühestens im Jahr 2023 gerechnet. Es bleibt demzufolge bis dahin spannend, in welche Richtung sich die Diskussion in Europa aber auch in den USA und dem Rest der Welt hinsichtlich struktureller Abhilfemaßnahmen entwickelt.
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