Ausnahme von der Angleichung der Kündigungsregelungen von Arbeiter*innen an Angestellte: Wann liegt eine „Saisonbranche“ vor?
Mit Wirksamkeit ab dem 1. Oktober 2021 wurden die Kündigungsfristen und -termine für Arbeiter*innen im Wesentlichen jenen für Angestellte gleichgestellt (§ 1159 ABGB). Als Ausnahme wurde vorgesehen, dass in Branchen in denen Saisonbetriebe überwiegen („Saisonbranchen“), weiterhin abweichende Regelungen in den Kollektivverträgen (insbesondere kürzere Kündigungsfristen) vereinbart werden können. Es wurde gesetzlich nicht konkret festgelegt, welche Branchen Saisonbranchen sind.
Für Hotellerie und Gastronomie besteht ein Kollektivvertrag für Arbeiter*innen, der unabhängig von der Beschäftigungsdauer eine Kündigungsfrist von 14 Tagen vorsieht, wobei kein Kündigungstermin vorgesehen ist. Zwischen den Kollektivvertragsparteien ist strittig, ob es sich bei Hotellerie und Gastronomie um eine Saisonbranche handelt und die bisherigen Kündigungsregelungen weiterhin zur Anwendung gelangen. Der Fachverband Hotellerie und der Fachverband Gastronomie der Wirtschaftskammer Österreich hatten zur Klärung dieser Rechtsfrage eine Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 2 ASGG beim Obersten Gerichtshof (OGH) eingebracht.
In seinem Urteil (OGH vom 24.03.2022, 9 ObA 116/21f) kam der OGH zu dem Schluss, dass - zumindest auf Basis des vorgelegten Datenmaterials - die Branche Hotellerie und Gastronomie nicht als Saisonbranche zu qualifizieren ist. Es liegt daher für diese Branche keine kollektivvertragliche Ermächtigung vor, von den gesetzlichen Kündigungsregelungen abzuweichen. Zwar hat dieses Feststellungsurteil keine Bindungswirkung auf gerichtliche Streitigkeiten zwischen einzelnen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, in der Praxis kann jedoch generell davon ausgegangen werden, dass sich die jeweiligen Gerichte an dem Urteil orientieren und Arbeitgeber*innen im Streitfall nur durchdringen können, wenn der Nachweis der Saisonbranche mit anderem Datenmaterial gelingt.
Unabhängig von der Branche Hotellerie und Gastronomie ist für die Praxis besonders relevant, dass der OGH in seinem Urteil detailliert dargestellt hat, wann aus seiner Sicht eine „Saisonbranche“ vorliegt. Der OGH stellte dabei wesentliche Fragestellungen klar:
- Klargestellt wurde, dass kollektivvertragliche Regelungen, die vor der Gleichstellung der gesetzlichen Kündigungsregelungen bestanden, grundsätzlich ohne Zutun der Kollektivvertragsparteien weiterhin bestehen, solange die Voraussetzungen der „Saisonbranche“ vorliegen.
- Der Begriff „Branche“ ist gesetzlich und auch in den Erläuterungen des Gesetzgebers nicht definiert. Es handelt sich auch um keinen anerkannten Fachbegriff. Laut OGH entspricht eine „Branche“ - sofern keine Anhaltspunkte oder andere Gründe für eine notwendige Abweichung bestehen - grundsätzlich dem fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrags (so im vorliegenden OGH-Urteil Hotellerie und Gastronomie, für die ein Kollektivvertrag abgeschlossen wird, obwohl auf Arbeitgeber*innenseite zwei Fachverbände bestehen).
- Ob eine „Saisonbranche“ vorliegt, kann durch die Kollektivvertragsparteien nicht vereinbart werden. Dieser Umstand ist eine tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis.
- Überwiegen Saisonbetriebe in der Branche, gelten die zulässigen Abweichungen auch für Nicht-Saisonbetriebe.
- Für das „Überwiegen“ von Saisonbetrieben in einer Branche ist auf das quantitative Überwiegen abzustellen (Anzahl Saisonbetriebe in Relation zur Gesamtzahl der Betriebe einer Branche). Ein „qualitatives“ Überwiegen zB durch Abstellen auf Marktanteile, Umsatz oder Anzahl der Saisonarbeiter*innen ist nicht relevant.
- Saisonbetriebe sind Betriebe die (insbesondere witterungsbedingt) - in Abhängigkeit von den Jahreszeiten – entweder nicht ganzjährig arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten. Normzweck für die Sonderstellung in „Saisonbranchen“ ist, eine relativ kurze Anpassung des Personalstands zu ermöglichen, da keine exakt voraussehbare Personalplanung möglich ist (und insbesondere keine Befristungsvereinbarungen ausreichen).
- „Erheblich verstärktes arbeiten“ darf nicht der Normalzustand im Jahresbetrieb sein. Es ist nicht ausreichend, dass Arbeit nur für kurze Zeiten erheblich reduziert ist. Es ist nicht auf Umsatzsteigerungen oder Überstundenleistungen abzustellen, sondern auf für gewisse Zeit notwendige Erhöhungen des Personalstandes.
- Für die „Erheblichkeit“ sollen keine starre Regelung oder bestimmte Prozentsätze gelten. Bei einem Personalanstieg von mindestens einem Drittel in zumindest 60% der einbezogenen Jahre lag im vorliegenden Fall Erheblichkeit vor.
- Für den Nachweis eines Überwiegens ist es nicht ausreichend, wenn Daten vorgelegt werden, in denen lediglich auf den höchsten und den niedrigsten Beschäftigtenstand („Schwankungsbreite“) abgestellt wird. Dadurch wird insbesondere nicht dargestellt, ob es sich bei den Zeiten des „erhöhten“ Personalbedarfs nicht um die Normalauslastung des Betriebs handelt.
Trotz der zahlreichen Klarstellungen des OGH bleibt für die Praxis eine erhebliche Rechtsunsicherheit insbesondere für die Arbeitgeber*innen. Selbst in Branchen, in denen im Kollektivvertrag einvernehmlich festgehalten wird, dass es sich um eine Saisonbranche handelt, besteht ein nicht unerhebliches Risiko, dass es sich dennoch um keine Saisonbranche handelt und keine Ausnahmeregelungen, wie insbesondere kürzere Kündigungsfristen, durch die Kollektivvertragsparteien abgeschlossen werden können. Klar dürfte für die Praxis nun auch sein, dass der OGH den Ausnahmetatbestand der „Saisonbranche“ eng auslegt und es eher selten gelingen wird, die entsprechenden Nachweise zu erbringen.