Compliance und Nachhaltigkeit – Fortschritt durch Synergieeffekte
Gesellschaftliche Erwartungen und Trends, sowie das wachsende Bewusstsein aller Wirtschaftsteilnehmer für die voranschreitende Klimakrise und ihre Folgen veranlassen immer mehr Unternehmen dazu, umfassende Compliance-Maßnahmen zu implementieren. Allen voran ist es jedoch die Legislative, die mit nachhaltigkeitsbasierten Gesetzesvorhaben die überzeugendsten Argumente zur Einführung von nachhaltig orientierten Compliance-Strukturen liefert. Bei genauerer Betrachtung verbirgt sich hinter dem organisatorischen und finanziellen Aufwand, welchen die Etablierung von Compliance-Maßnahmen mit sich bringt, das Potential Vorteile für ein Unternehmen zu schaffen.
Problemaufriss
Die Tendenz zur Übernahme sozialer und ökologischer Verantwortung durch Compliance-Maßnahmen nimmt zu. Auch Diskussionen über (zukünftige) gesetzliche Vorgaben steigern das Interesse daran und werfen Fragen auf, welche (noch) nicht pauschal beantwortet werden können.
Um ein mögliches Zusammenspiel von Compliance und Nachhaltigkeit verstehen zu können, müssen beide Begriffe erläutert werden.
Wofür steht „Compliance“?
Der traditionelle Compliance-Begriff umfasst die Sicherstellung der Regeltreue einer Unternehmung, somit Rechtskonformität.
Lange bedeutete Compliance-Maßnahmen umzusetzen Risk Management zu betreiben und mit möglichst geringem Aufwand strafrechtliche Verantwortlichkeiten zu vermeiden. In vielen Fällen wurde von Compliance-Abteilungen lediglich die Einhaltung gesetzlicher Mindestanforderungen überprüft. In den letzten Jahren entstand der Trend über die legislativen Vorgaben hinaus „grüne“ Compliance-Strukturen in Unternehmen zu schaffen, welche die Attraktivität des Unternehmens für Investoren, Kunden und Mitarbeiter erhöhen.
Wofür steht „Nachhaltigkeit“?
Es gibt keine allgemein gültige Definition von „Nachhaltigkeit“, doch alle Rechtsnormen, welche den Begriff „Nachhaltigkeit“ beinhalten, folgen dem nachstehenden Prinzip:
Es dürfen nicht mehr Ressourcen verbraucht werden, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren oder künftig bereitgestellt werden können.
Das sogenannte 3-Säulen-Modell stellt die herrschende Auffassung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ dar und beinhaltet die drei Elemente Ökonomie, Ökologie und Soziales. Das Modell geht davon aus, dass Nachhaltigkeit nur durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen hergestellt werden kann.
Nachhaltigkeit bedeutet das gegenwärtige Denken und Handeln danach auszurichten, die Lebenssituation der heutigen Generation zu verbessern, ohne die Perspektiven der zukünftigen Generationen zu verschlechtern.1
Gesetzliche Maßnahmen iZm Nachhaltigkeit
Mittlerweile gibt es viele gesetzliche Maßnahmen, welche einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben (sollen). Anschließend werden einige dieser Bestimmungen, welche auch für Compliance-Beauftragte relevant sind, ausgehend vom Status Quo, vorgestellt.
Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen
Der Entwurf für die EU-RL über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen wurde im Februar 2022 von der Europäischen Kommission veröffentlicht. Die Umsetzung soll durch separat von den Mitgliedsstaaten erlassene Lieferkettengesetze erfolgen. Näheres hierzu wurde bereits in dem Blogeintrag „Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen – Eckpunkte eines (möglichen) Lieferkettengesetzes“ vom 28.03.2022 erläutert.
SDG
Die SDGs (Sustainable Developement Goals) der Vereinten Nationen beinhalten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030. Die Agenda richtet sich in erster Linie an die Staatengemeinschaft und ihre Regierungen, appelliert aber auch an die Verantwortung der Unternehmen. Die SDGs sollen Organisationen auf ihrem Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaften unterstützen. Ziel ist auch eine gemeinsame Sprache und erleichterte Vergleichsmöglichkeiten derjenigen, die ihre Strategien im Sinne der SDGs wählen.
ESG
ESG steht für „Environmental, Social, Governance”. Regierungen, Organisationen und Unternehmen verpflichten sich durch die Aufnahme von ESG-Werten nachhaltige Entwicklungen voranzutreiben. Durch die Beachtung der ESG-Standards bestimmen neben wirtschaftlichen Überlegungen auch soziale, ethische und ökologische Gedanken die unternehmerischen Entscheidungen. Durch ESG-Ratings werden Nachhaltigkeitsleistungen von Unternehmen wissenschaftlich bewertet, wodurch für Kunden Transparenz geschaffen und die Unterscheidung zwischen Greenwashing und echt nachhaltig orientierten Unternehmensaktivitäten ermöglicht wird.
Durch die Einbindung von ESG-Praktiken in den Begriff „Compliance“ wird dessen ursprüngliche Begriffsbedeutung erweitert. Es gibt bereits Unternehmen, die diesbezüglich Vorreiter sind. Sie fragen sich nicht mehr nach der Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften, sondern nach einer für die Stakeholder optimierten Vorgehensweise. Ihre Werte und Ziele übersteigen somit die rechtlichen Rahmenbedingungen.
CSRD
Im Juni 2022 haben der Rat und das europäische Parlament eine vorläufige politische Einigung über die CSRD (RL über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen) erzielt. Dadurch werden Unternehmen verpflichtet transparente und detaillierte Berichte bzgl. Umweltrechten, sozialen Rechten, Menschenrechten und Governance-Faktoren zu veröffentlichen. Der Richtlinienvorschlag zur CSRD erfasst mehr berichtspflichtige Unternehmen als die bislang geltende Richtlinie über die nichtfinanzielle Berichterstattung (NFRD). Von der Richtlinie betroffen sind alle großen Unternehmen und alle an geregelten Märkten notierten Unternehmen, auch börsennotierte KMU. Auch für nichteuropäische Unternehmen gilt eine Vorlagepflicht über ihre ESG-Auswirkungen, wenn die Unternehmen eine Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in der EU haben und einen Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. Euro erzielen. Die Berichtspflicht, welche einen Vergleich bzgl. ökologischen, sozialen und Governance bezogenen Aspekten ermöglichen soll, kommt in drei Stufen zur Anwendung:
- Ab 01.01.2024 für Unternehmen, welche bereits der NFRD-RL unterliegen.
- Ab 01.02.2025 für große Unternehmen, welche derzeit nicht der NFRD-RL unterliegen.
- Ab 01.01.2026 für börsennotierte KMU und kleine, nicht komplexe Kreditinstitute sowie firmeneigene Versicherungsunternehmen.
Die Einigung erfordert noch eine Billigung durch das Europäische Parlament und von Seiten des Rates durch den Ausschluss der Ständigen Vertreter (AStV).
Aus den kommenden Berichtspflichten resultiert eine Anpassungsbedürftigkeit der Compliance- und Reporting-Strukturen.
Die Taxonomie-VO
Um Greenwashing zu verhindern und nachhaltige Investitionen zu fördern, führt die EU-Taxonomie-Verordnung (Verordnung (EU) 2020/852) ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten ein.
Betroffen von der EU-Taxonomie-VO sind
- Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern, welche unter die NFRD fallen,
- Finanzinstitute inkl. Anbieter von Berufsrenten, welche Finanzprodukte in der EU anbieten und vertreiben und
- die EU und ihre MS beim Festlegen von öffentlichen Maßnahmen, Standards oder Labels für grüne Finanzprodukte oder (Unternehmens-)Bonds.
Die VO beinhaltet folgende sechs Umweltziele:
- Klimaschutz
- Anpassung an die Klimakrise
- Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
- Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme
Seit 01.01.2022 finden die beiden ersten Umweltziele der EU-Taxonomie Anwendung. Die übrigen vier Ziele werden noch ausformuliert und sollen ab 01.01.2023 angewendet werden.
Laut Taxonomie-VO ist eine Wirtschaftstätigkeit „ökologisch nachhaltig“, wenn sie (kumulativ)
- zu einem der sechs genannten Umweltziele einen wesentlichen Beitrag leistet,
- sich nicht negativ auf eines der anderen Umweltziele auswirkt („Do No Significant Harm“ – Kriterium“)
- den sozialen Mindestschutz einhält und
- den technischen Bewertungskriterien der Kommission entspricht.
Nur ein Unternehmen, welches diese Voraussetzungen erfüllt, darf als nachhaltig eingestuft werden.
Handlungsbedarf für Unternehmen
Nun stellt sich die Frage ob bzw. in welchem Umfang aktuell Handlungsbedarf für Unternehmen besteht.
Es liegt insbesondere in der Hand der Compliance-Abteilungen nachhaltige Überlegungen in Richtlinien, Programme und Unternehmenskodizes zu integrieren. Weiters können bspw. Mitarbeiterschulungen positiv auf die ökologische und moralische Einstellung und somit auf das Handeln der Mitarbeiter (für das Unternehmen) einwirken.
In der Praxis läuft die Integration nachhaltiger Ideen, bspw. der ESG-Standards, in Compliance-Strukturen wie folgt ab:
Unternehmen wählen ESG-Rahmenwerke für die Berichterstattung, dadurch können Aktionsziele festgelegt, Leistungsindikatoren entwickelt und deren Wirkung verglichen werden. Für eine erfolgreiche und transparente Umsetzung der ESG-Standards ist eine genaue Datenerfassung und -verwaltung erforderlich. Die zu erfassenden Daten sind oft in den unterschiedlichen Abteilungen eines Unternehmens verteilt. Daher sollte zur Effizienzsteigerung, besonders in großen Betrieben, durch automatisierte Tools ein vereinfachter Prozess der Datenanalyse eingeführt werden.
Welche Vorteile können Unternehmen aus überschießenden Compliance-Praktiken ziehen?
Die Aufnahme strengerer Umwelt-, Sozial- und Governance-Praktiken kann Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, da die Zahl der Kunden, Investoren und (potenziellen) Mitarbeiter, welche großen Wert auf eine Zusammenarbeit mit nachhaltig agierenden Unternehmen legen, steigt. Auch die Legislative stellt, diese Bereiche betreffend, nach und nach striktere Anforderungen an die Transparenz von Unternehmen. Durch eine vorausschauende Umgestaltung der Compliance-Maßnahmen, kann somit vermieden werden bei zukünftigen Gesetzesverschärfungen unter Druck handeln zu müssen.
Dass der Trend nachhaltig und über die rechtlichen Bestimmungen hinaus zu Handeln bereits in den Compliance-Abteilungen angekommen ist, wird auch durch die Studie „The Future of Compliance 2021“2 aus Deutschland deutlich. 42 % der befragten Compliance-Verantwortlichen gaben an, stark bis sehr stark mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt zu sein. In erster Linie stellen sich zwar andere Abteilungen den umweltbezogenen Fragen, doch gewinnt Compliance als übergeordnete Organisations- und Zielsetzungsstruktur diesbezüglich massiv an Bedeutung.
Auch durch Medien und Werbeanzeigen wird der erhöhte Stellenwert nachhaltig orientierter Compliance-Strukturen für die Investorengewinnung immer deutlicher. Aufgrund der hohen Nachfrage wird immer häufiger mit „grünen Investmentfonds“, „Ökofonds“, etc. geworben. Dadurch entsteht ein Vorteil gegenüber traditionell und kurzsichtig agierenden Unternehmen.
Zukunftsorientiertes, ökologisch motiviertes Handeln sollte als langfristiges Unternehmensziel angestrebt werden. Es ist notwendig sich mit den Einflüssen der Themen ESG und Nachhaltigkeit auf Compliance auseinanderzusetzen, denn Compliance und Nachhaltigkeit stehen zueinander in einer Art Symbiose, die es ermöglicht, wertebasierte Unternehmenskulturen aufzubauen, die den Wert für alle Stakeholder erhöhen.
Der verstärkte Fokus auf Nachhaltigkeit und ESG-Standards ist noch neu und durch die noch nicht ganz einheitliche und lückenhafte Regulatorik eine Herausforderung für Compliance-Verantwortliche. Besonders aufgrund der im Detail unterschiedlichen Definitionen von „Nachhaltigkeit“, in den jeweiligen Rechtsvorschriften, muss genau gearbeitet werden. Besagte Auffassungen werden auch von politischen Einflüssen geprägt. Besonders gut ersichtlich ist dies daran, dass die EU bspw. Atomkraft und Gas in der Taxonomieverordnung als nachhaltig einstuft. Es gilt genaue Abgrenzungen im Auge zu behalten und auf Unterschiede zu achten, um auf neu umgesetzte Rechtsvorschriften gesetzeskonform und nachhaltig zu reagieren.
Im Ergebnis zeichnet sich deutlich ab: Es bedarf einer gewissenhaften, vorausschauenden und ständigen Beschäftigung mit aktuellen und für die Zukunft angekündigten gesetzlichen Maßnahmen, sowie ethisch erwünschten Vorgehensweisen, um nachhaltige Compliance-Maßnahmen gewinnbringend und umweltfördernd einzusetzen.
1 Vgl Müller/Widl/Sonnleithner in Zahradnik/Richter-Schöller (Hrsg), Handbuch Nachhaltigkeitsrecht 2021 Rz 2.17.
2 https://www2.deloitte.com/de/de/pages/audit/articles/future-of-compliance.html
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.