Einführung eines elektronischen Zutrittssystems – Zustimmungspflicht des Betriebsrats?
Kontrollmaßnahmen, die die Menschenwürde berühren, können in Betrieben mit Betriebsrat rechtswirksam nur in Form einer Betriebsvereinbarung eingeführt werden (§ 96 Abs 1 Z 3 Arbeitsverfassungsgesetz). Im vorliegenden Fall (Oberster Gerichtshof (OGH) vom 14.07.2022, 9 ObA 60/22x) war fraglich, ob für die Einführung eines elektronischen Zutrittssystems der Abschluss einer Betriebsvereinbarung notwendig ist. Die Vorinstanzen bejahten dies und beurteilten das Zutrittssystem als Kontrollmaßnahme, die die Menschenwürde berühre, ausschließlich aufgrund der in der Bedienungsanleitung abgeleiteten abstrakten Kontrolleignung. Der OGH hob diese Entscheidungen auf, da sie nicht berücksichtigten, ob das System auch in seiner derzeit konkreten Ausgestaltung im Betrieb die Menschenwürde berühre.
Im vorliegenden Fall klagte der Betriebsrat aufgrund des neuen Zutrittssystems im Unternehmen unter anderem auf Unterlassung dieses einzuführen bzw. weiterhin zu nutzen. Zudem beantragte der Betriebsrat die Erlassung einer Einstweiligen Verfügung. Die gegenständliche Entscheidung erging im Verfahren betreffend die Erlassung einer Einstweiligen Verfügung.
Der Betriebsrat brachte vor, dass das Zutrittssystem dem Arbeitgeber ermögliche ein arbeitnehmerbezogenes Bewegungsprofil während des ganzen Arbeitstages zu erstellen, wovon die im Betrieb verbrachte arbeitsfreie Zeit nicht ausgenommen sei. Auch die Verwendung des Zutrittstools zur Erfassung der Arbeitszeit mache eine Verknüpfung mit den erhobenen Daten aus anderen Systemen offenkundig. Das Zutrittssystem sei daher schon aufgrund seiner objektiven Kontrolleignung eine Kontrollmaßnahme, die die Menschenwürde berühre.
Der Arbeitgeber bestritt grundsätzlich nicht, dass das Zutrittssystem an sich aufgrund der objektiven Kontrolleignung eine Kontrollmaßnahme darstelle. Allerdings berühre seiner Ansicht nach das konkret installierte (Kontroll-)System die Menschenwürde nicht. Er habe lediglich einzelne wenige Räume damit ausgestattet und auch der gesamte Haupteingangsbereich sei während der normalen Betriebsstunden geöffnet. Daher könne mit dem konkret installierten Zutrittssystem weder ein Bewegungsprofil von den Arbeitnehmern*innen erstellt werden, noch erfolge eine potentielle Überwachung. Auch die Koppelung der Arbeitszeitaufzeichnungen mit dem Zutrittssystem und die Erweiterungsmöglichkeit auf sämtliche Türen sei technisch nicht (einfach) möglich.
Das Erstgericht gab dem Antrag zur Erlassung einer Einstweiligen Verfügung statt und stützte sich dabei auf die Bedienungsanleitung des Zutrittssystems, wonach es sämtliche Zutrittsorte und Zutrittszeitpunkte speichern und ein Bewegungsmuster der einzelnen Arbeitnehmer*innen innerhalb des Betriebs erstellen könne. Für die Beurteilung, ob eine Kontrollmaßnahme die Menschenwürde berühre, reiche schon die technische Möglichkeit das System so einzusetzen. Es sei daher irrelevant, wie das System vom Arbeitgeber derzeit verwendet werde. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Es ließ aber den ordentlichen Revisionsrekurs an den OGH mit der Begründung zu, dass die Entscheidung angesichts der Vielzahl derartiger Anlagen über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe und dazu noch ausreichende höchstgerichtliche Judikatur fehle.
Der OGH beurteilte den Revisionsrekurs des Arbeitgebers als zulässig und beschäftigte sich ausführlich damit, wann eine Kontrollmaßnahme vorliegt, die die Menschenwürde berührt. Dabei ist nach dem OGH in einem ersten Schritt (abstrakt) zu prüfen, ob die Einrichtung objektiv geeignet ist, die Arbeitnehmer*innen zu kontrollieren, wobei auch allfällige Erweiterungsmöglichkeiten miteinzubeziehen sind. Sofern eine solche Kontrollmaßnahme vorliegt, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob durch das konkret installierte System die Menschenwürde berührt ist. Dafür ist eine umfassende Interessensabwägung vorzunehmen. Dabei sind die Interessen des*der Arbeitgebers*in, der*die im Arbeitsverhältnis ein grundsätzliches Recht zur Kontrolle der Arbeitnehmer*innen hat und die Interessen der Arbeitnehmer*innen an der Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte gegeneinander abzuwägen.
Im konkreten Fall bestätigte der OGH die Ansicht der Vorinstanzen, dass das Zutrittssystem – aufgrund der objektiven Eignung ein arbeitnehmerbezogenes Bewegungsprofil während des ganzen Arbeitstags erstellen zu können – eine Kontrollmaßnahme darstelle. Nach Ansicht des OGH kann jedoch aufgrund des festgestellten Sachverhalts des Erstgerichts nicht abschließend beurteilt werden, ob durch das konkret installierte Kontrollsystem die Menschenwürde berührt ist. Es ergibt sich insbesondere nicht, ob die abstrakten Einsatzmöglichkeiten des Zutrittssystems im Betrieb des Arbeitgebers derzeit so installiert sind, dass sie jederzeit zum Tragen kommen könnten. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen hat die Prüfung, ob durch eine Kontrollmaßnahme die Menschenwürde berührt ist, nicht die bloße objektive bzw. abstrakte Kontrolleignung des Systems zu berücksichtigen, sondern die konkrete Verwendung im Betrieb. Der OGH hob daher die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und trug dem Erstgericht auf nach Aufnahme der von den Parteien angebotenen Bescheinigungsmittel neuerlich zu entscheiden.
In der Praxis ist die Frage, ob eine (Kontroll-)Maßnahme – wie im vorliegen Fall die Einführung eines elektronischen Zutrittssystems – die Menschenwürde berührt nicht immer einfach zu beantworten. Sie ist aber wesentlich für eine etwaige Zustimmungspflicht des Betriebsrats oder in Unternehmen ohne Betriebsrat der einzelnen Arbeitnehmer*innen. Wenn auch mit dieser Entscheidung die Prüfung im Einzelfall weiterhin schwierig sein dürfte, so stellte der OGH nunmehr zumindest klar, dass es bei der Beurteilung, ob durch eine Kontrollmaßnahme die Menschenwürde berührt ist, nicht nur auf die abstrakten Einsatzmöglichkeiten ankommt, sondern auch auf die konkrete Art und Weise der Installation des Systems im Betrieb.