EU-Kommission: Sektoruntersuchung zum „Internet of Things" für Verbraucher
Die Europäische Kommission hat am 20. Jänner 2022 den Abschlussbericht der Sektoruntersuchung zum Internet of Things für Verbraucher („IoT“) veröffentlicht. Das IoT bezieht sich auf ein dezentrales Netzwerk, welches physische Objekte miteinander verbindet, die ihre Umgebung erfassen oder auf sie einwirken können sowie darüber hinaus miteinander, mit anderen Geräten oder Systemen kommunizieren können. Nach der Definition im Bericht der Kommission gilt ein Gerät dann als „intelligent“, wenn dieses mit anderen Geräten verbunden werden, mit ihnen Daten austauschen und in einem gewissen Ausmaß autonom und interaktiv arbeiten kann.
Intelligente Geräte sind nach dieser Definition kabellose elektronische Geräte (intelligente Lautsprecher, intelligente Haushaltsgeräte), die mit anderen Geräten oder Netzwerken verbunden werden können, wobei jedoch Mobilgeräte wie etwa Smartphones, Tablets und Laptops in dieser Definition nicht enthalten sind. Das IoT umfasst Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher, die über das Netzwerk aus der Ferne gesteuert werden können, beispielsweise über einen Sprachassistenten oder ein Mobilgerät.
Die Untersuchung hatte zum Ziel, Branchentrends im Bereich des rapide wachsenden IoT-Sektors zu untersuchen, potenzielle Wettbewerbsproblematiken zu erörtern und die allgemeine Wettbewerbssituation im IoT-Sektor für Verbraucher zu beleuchten.
1. Ein dynamischer Markt
In der IoT-Sektoruntersuchung wird der Markt, in dem intelligente Geräte Verwendung finden, ausführlich beschrieben. Der IoT-Markt ist stark aufstrebend, immer mehr Haushaltsgeräte werden „intelligent“ und per Smartphone, Tablet sowie durch Sprachassistenten bedienbar.
Laut Kommission ist der IoT-Markt durch wenige marktbeherrschende Wettbewerber und durch große Markteintrittsschranken gekennzeichnet, wie z.B. Interoperabilitätsprobleme, den beschränkten Zugang zu Daten, regulatorische Hindernisse und insbesondere hohe Kosten für notwendige Technologieinvestitionen. Andere Unternehmen hätten vor diesem Hintergrund kaum Chancen sich im Bereich des IoT zu etablieren und auf dem Markt in relevanter Weise aufzutreten.
2. Sprachassistenten und Betriebssysteme als zentrale Schnittstelle von IoT-Ökosystemen
Die Funktionalität des IoT verlangt nach Nutzerschnittstellen, die einen Datenaustausch ermöglichen. So ist meist ein Medium notwendig, mit welchem beispielsweise intelligente Küchengeräte gesteuert werden können. Solch ein Medium sind Sprachassistenten, das Betriebssystem des eigenen Smartphones, Tablets oder intelligente Lautsprecher.
Diese Nutzerschnittstellen, so zeigt die IoT-Sektoruntersuchung, sind von zentraler Bedeutung, denn erst über deren Interface können Nutzer ihre intelligenten Geräte einfach bedienen. Essenziell dafür ist, dass die verwendete Software (Betriebssysteme, Sprachassistenten) eine (markenübergreifende) Kommunikation zwischen den intelligenten Geräten ermöglicht.
Anhand eines Beispiels kann dies verdeutlicht werden: Der Kunde A bereitet in seiner Küche etwas zu essen zu. Da er momentan keine Hand frei hat, will er über „Alexa“ (intelligenter Lautsprecher mit Sprachassistent von Amazon) seinen intelligenten Backofen eines anderen Herstellers vorheizen lassen. Damit sein gesprochener Befehl von dem Küchengerät ausgeführt werden kann, muss die Software der Geräte (in diesem Beispiel: Alexa und Backofen) miteinander kompatibel sein, um eine Kommunikation zu ermöglichen.
Es bilden sich sozusagen Ökosysteme, bei denen alle Komponenten miteinander in einer Beziehung stehen. Die Sprachassistenten und Betriebssysteme formen dabei Technologieplattformen des IoT für Verbraucher, die die Kommunikation des Verbrauchers mit seinen intelligenten Geräten ermöglichen, wie etwa das Abspielen von Musik, das Anhören von Nachrichten, das Steuern von intelligenten Haushaltsgeräten, Unterstützung bei der Haushalts- und Tagesplanung und vieles mehr.
Laut der Kommission wird der Markt für Sprachassistenten fast vollständig von Google (Google Assistent), Apple (Siri) und Amazon (Alexa) kontrolliert. Zu diesen großen Anbietern von universellen Sprachassistenzsystemen gibt es kaum Konkurrenz. Diese oligopolistische Marktstruktur auf dem IoT-Markt stelle eine große Markteintrittsschranke dar. Eine ebenso große Schranke seien die überwiegend hohen Kosten für Technologieinvestitionen, welche zu einem geringen Interesse anderer Unternehmen führten, in den Markt der Sprachassistenten einzusteigen.
Auch auf dem nachgelagerten Markt – z.B. im Bereich von intelligenten Haushaltsgeräten – führten laut Kommission die von Google, Amazon und Apple geschaffenen Ökosysteme mittels einer Kooperation von eigenen und von Dritten erzeugten Produkte und Dienstleitungen zu einer wesentlichen Erschwerung bei der Entwicklung von neuen intelligenten Produkten.
Dies liege daran, dass der Zugriff auf solche Plattformen (Betriebssysteme, Sprachassistenten) eine wesentliche Voraussetzung für Hersteller von intelligenten Geräten am nachgelagerten Markt sei, um wirtschaftlich im IoT-Sektor tätig sein zu können. Gleichzeitig wachse die Bedeutung des IoT-Sektors stetig. In vielen Bereichen werde es für Hersteller notwendig, intelligente Produkte anzubieten, um nicht vom Markt verdrängt zu werden.
In der Praxis zeige sich aber, dass fast ausschließlich nur die Anbieter dieser Plattformen Integrationsprozesse, die die Interoperabilität zwischen verschiedenen Produkten eines Ökosystems ermöglichen, vorantreiben könnten und die Integration mit ihren Produkten durch Zertifizierungsverfahren kontrollierten. Dritten würden bestimmte Software-Arten und Spezifikationen – mittels derer die Interoperabilität mit den führenden Technologieplattformen ermöglicht werde – nur dann zur Verfügung gestellt, wenn sie dafür meist von den Plattformanbietern vorgegebene und standardisierte Vereinbarungen unterschrieben. Damit hätten die Anbieter dieser Plattformen erheblichen Einfluss auf den nachgelagerten Markt.
3. Wettbewerbsbezogene Bedenken
Das vernetzte System des IoT und die dadurch oftmals auftretenden signifikanten Abhängigkeitsverhältnisse führen laut Kommission zu einer Reihe von potenziellen wettbewerbsrechtlichen Problematiken.
Die Sektoruntersuchung zeige Bedenken im Bereich der Interoperabilität auf. Integrationsprozesse würden nämlich von den Anbietern führender Plattformen (Betriebssysteme, Sprachassistenten) kontrolliert. Diese Unternehmen könnten mittels einseitig vorgegebener Geschäftsbedingungen, technischen Anforderungen und Zertifizierungsverfahren eigenständig bestimmen, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssten, um eine Interoperabilität mit der eigenen Technologie zu erreichen. Zudem könnten diese Anbieter die Funktionen von Dritten angebotenen intelligenten Geräten im Vergleich zu ihren eigen angebotenen Geräten beschränken, indem sie z.B. eine eingeschränkte Programmierschnittstelle einführen könnten.
Sowohl Hersteller als auch Anbieter im Sektor des IoT erheben mittels ihrer Dienstleistungen und Produkte ein breites Spektrum an Daten. Beispielsweise könne ein intelligentes Heizsystem Daten über die Temperatur und Luftqualität erfassen und Bewegungsdaten der Bewohner (über die Zeiten des Ein- und Ausschaltens) aufzeichnen.
Anbieter von Sprachassistenten könnten laut Kommission aus den Daten gewonnene Vorteile auch auf benachbarten Märkten wettbewerbsrechtlich bedenklich ausnützen. Zudem könnten Dritthersteller mittels Beschränkung der Datenmenge oder Datenqualität, die sie von den marktbeherrschenden Anbietern von Sprachassistenten bekommen, in ihrer Geschäftsentwicklung eingeschränkt werden.
Schlussendlich werde die Marktposition der führenden Anbieter von Sprachassistenten mit dem Zugang zu enormen Datenmengen verfestigt, da diese die Qualität ihrer Produkte einfacher verbessern und personalisierte Werbung schalten könnten.
Darüber hinaus begründen mögliche Exklusivitätsvereinbarungen zwischen führenden Sprachassistenten-Anbietern und Vertragspartnern auf dem nachgelagerten Markt zur Verhinderung der Nutzung von unterschiedlichen Sprachassistenten Skepsis der Kommission. Zudem komme es in dem Zusammenhang auch zu Koppelungsverträgen, wobei neben dem Sprachassistent auch lizenzierte Software, Technologien und Anwendungen von den Vertragspartnern übernommen werden müssten.
Zuletzt bestehen grobe Bedenken im Bereich der Kontrolle, die die Anbieter von Sprachassistenten über die Nutzerbeziehungen und -erfahrungen hätten. Sprachassistenten dienen als Vermittler zwischen Nutzern und intelligenten Geräten. Aus dieser Stellung heraus seien Hersteller von intelligenten Produkten auf die Anbieter von Sprachassistenten angewiesen, wenn es um die Umsetzung technischer Updates gehe. Es bestehe die Gefahr, dass die Anbieter von Sprachassistenten eigene Produkte bevorzugen.
Es wurden auch Bedenken in Bezug auf die Kontrolle geäußert, die Anbieter von Sprachassistenten über die Nutzerbeziehung und die Nutzererfahrung haben. Infolgedessen befürchten die Befragten, dass der Wiedererkennungswert ihrer Marke sinken werde und sie ihre direkte Beziehung zu den Nutzern verlieren würden. Da Nutzer mit Sprachassistenten direkt interagierten und weniger mit dem eigentlichen intelligenten Gerät, sei die kognitive Verknüpfung der Funktion mit den Sprachassistenten verlinkt, wodurch diese ins Bewusstsein treten und Marktpräsenz ausüben.
4. Ausblick
Die IoT-Sektoruntersuchung zeigt eine Reihe von nachvollziehbaren potenziell wettbewerbsbeschränkenden Thematiken des IoT auf. Die wohl wesentlichsten Bedenken der Kommission ergeben sich aus der Bedeutung von Sprachassistenten und Betriebssystemen als zentrale Schnittstellen in IoT-Ökosystemen. Dies berge u.a. die Gefahr einer zusätzlichen Konzentration auf dem Markt für Sprachassistenten und auf nachgelagerten Märkten für intelligente Geräte.
Die IoT-Sektoruntersuchung könnte als Grundlage für weitere Regulierung und Durchsetzungsmaßnahmen der EU dienen. Magrethe Vestager (Vizepräsidentin der Kommission) sagte über die Ergebnisse der IoT-Sektoruntersuchung: „ If we see that things are systemic, this is not enough to find it and fine it and punish it one place when it’s everywhere, then of course, we need to do more. We need to call upon regulation”. Ein gewisser Handlungsbedarf im Sektor des IoT ist auch – so zeigt die Sektoruntersuchung – evident.
In naher Zukunft könnte die IoT-Sektoruntersuchung ein Katalysator für weitere kartellrechtliche Ermittlungen der Kommission sein. Sektoruntersuchungen der Kommission haben schon in der Vergangenheit zu zahlreichen kartellrechtlichen Verfahren und Geldbußen in der Höhe von EUR 1,74 Billionen geführt. Beispielsweise sind der e-commerce-Sektoruntersuchung (2015-2017) zehn erfolgreiche Verfahren mit Geldbußen von knapp EUR 200 Millionen gefolgt. Bisher mag die Reaktion auf die IoT-Sektoruntersuchung eher verhalten sein, aber dies könnte sich schon bald ändern. Die Kommission wird sicherlich die – in der Sektoruntersuchung explizit genannten – Praktiken der großen Plattformanbieter im Auge behalten. Ob es deshalb schon zu maßgeblichen wettbewerbsrechtlichen Verfahren kommt, ist aufgrund der erst stattfindenden, allerdings rasanten Entwicklungen bzgl. IoT und der Notwendigkeit, dafür einen entsprechenden Modus zu finden, eher zu bezweifeln. Angesichts der Aussage von Kommissarin Vestager scheint eine neue Regulierung dieses Bereichs die durchaus wahrscheinlichere Variante.
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