Europäischer Gerichtshof stoppt öffentliche Einsichtnahme in nationale Transparenzregister
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 22. November 2022 die unionsrechtliche Grundlage für die Einsichtsmöglichkeit der Öffentlichkeit in das Register der wirtschaftlichen Eigentümer für ungültig erklärt.
Die österreichische Registerbehörde (Bundesminister für Finanzen) agierte rasch und verhindert seither eine Einsicht durch die Öffentlichkeit. Eine unionsrechtliche Notwendigkeit, welche in der öffentlichen Debatte bisweilen zu Unrecht kritisiert wird.
Der Ausgangsfall
Das Großherzogtum Luxemburg hatte – in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/843 – „jedermann“ das Recht eingeräumt, in das luxemburgische Transparenzregister Einsicht zu nehmen und auf diese Weise nähere Informationen zu den wirtschaftlichen Eigentümern vor Ort eingetragener Gesellschaften zu erlangen. Wirtschaftliche Eigentümer (wiE) konnten zwar bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eine Beschränkung der öffentlichen Einsicht beantragen; dieses EU-weit einheitliche Regelungskonzept stellte allerdings klar erkennbar die Transparenz über den Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten der betroffenen „gläsernen“ wiE.
Es kam, wie es kommen musste. Eine luxemburgische Gesellschaft und ihr wiE bekämpften eine Entscheidung der dortigen Registerbehörde, welche die öffentliche Einsicht nicht beschränkt hatte. Das zuständige Gericht wandte sich an den EuGH u.a. mit der Vorabentscheidungsfrage, ob das von der Richtlinie (EU) 2018/843 vorgegebene Regelungskonzept (Einsicht durch die Öffentlichkeit als Grundsatz, Beschränkung dieses Rechts nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände) mit der EU-Grundrechtecharta (GRC) vereinbar sei.
Einsicht nur bei berechtigtem Interesse
Der EuGH (Rs C-37/20 und C-601/20) fand deutliche Worte und erklärte die maßgebliche Vorschrift für ungültig. Die öffentliche Einsichtnahme in Daten des wiE verstoße gegen die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz der personenbezogenen Daten (Artt 7 und 8 GRC). Insbesondere könne die öffentliche Einsicht nicht mit Schwierigkeiten in der praktischen Anwendung der Vorgängerregelung gerechtfertigt werden, die eine Einsicht nur bei Nachweis eines „berechtigten Interesses“ zuließ. Das nunmehrige Konzept der Zugänglichkeit der Informationen über die wiE „in allen Fällen für alle Mitglieder der Öffentlichkeit“ sei nicht auf das absolut Erforderliche beschränkt, berücksichtige nicht ausreichend die Grundrechte der wiE und schütze insbesondere auch nicht die personenbezogenen Daten der wiE gegen Missbrauchsrisiken.
Als Folge des EuGH-Urteils ist insoweit wieder Art 30 Abs 5 lit c Richtlinie (EU) 2015/849 (Stammfassung) anzuwenden: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Angaben zu den wirtschaftlichen Eigentümern in allen Fällen zugänglich sind für […] alle Personen oder Organisationen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen können.“
Folgen für Österreich
In Österreich ist die öffentliche Einsicht in § 10 WiEReG verankert. Die Öffentlichkeit konnte bis dato binnen kürzester Zeit einen elektronischen Auszug aus dem Register der wirtschaftlichen Eigentümer erhalten, sofern die öffentliche Einsicht nicht ausnahmsweise beschränkt war – besondere Nachweise waren seit 10. Jänner 2020 (Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/843 in das WiEReG) nicht zu führen. Damit ist jetzt Schluss.
Die österreichische Registerbehörde stellte die Anwendung „öffentliche Einsicht“ noch am Tag der Veröffentlichung des EuGH-Urteiles (22. November 2022) offline und informierte darüber auf der BMF-Webseite (https://www.bmf.gv.at/services/wiereg/oeffentliche-einsicht.html). D.h. ab sofort gibt es nur bei Nachweis eines berechtigten Interesses Einsicht für die Öffentlichkeit in das Register der wirtschaftlichen Eigentümer.
War dieser Schritt unionsrechtlich geboten? Auf jeden Fall: Urteile des Gerichtshofs sind, wenn sie eine EU-Vorschrift für ungültig erklären, von den nationalen Gerichten und Behörden unmittelbar zu beachten. Eine öffentliche Einsicht ist folglich auf Basis der wieder anwendbaren Stammfassung der Richtlinie (EU) 2015/849 nur denkbar, wenn berechtigte Interessen nachgewiesen werden. § 10 WiEReG ist daher unionsrechtswidrig, da er eine öffentliche Einsicht ohne Nachweis eines berechtigten Interesses ermöglicht. Für eine richtlinienkonforme Auslegung von § 10 WiEReG besteht kein Spielraum (der Wortlaut kann nicht so weit verändert werden). Sollte eine Person oder Einrichtung aus der Öffentlichkeit einen Antrag auf Einsicht stellen, wäre die Registerbehörde nur dann zu einer näheren Prüfung des Antrags verpflichtet, wenn „berechtigte Interessen“ nachgewiesen werden und Art 30 Abs 5 lit c Richtlinie (EU) 2015/849 in seiner Stammfassung unmittelbare Wirkung zugestanden wird. Selbst dann empfiehlt sich für die Registerbehörde aber eine neuerliche Befassung des EuGH, um die Bedingungen für eine grundrechtskonforme Einsichtnahme in Informationen der wiE durch den EuGH präzisieren zu lassen. Die Europäische Kommission hat ja in der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH selbst zugestanden, dass das Kriterium des „berechtigten Interesses“ schwer umzusetzen sei und seine Anwendung zu willkürlichen Entscheidungen führen könne. Dem stünde aber die EU-Grundrechtecharta entgegen.
Die schnelle Reaktion der österreichischen Registerbehörde zeigt jedenfalls, dass das Zusammenspiel von EU-Rechtsprechung und Vollzug von Unionsrecht durch nationale Behörden ausgezeichnet funktioniert.