Expeditarbeiter*innen: Einteilung Montagfrühblatt-Schicht - betriebliche Übung?
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in einem jüngsten Erkenntnis (im Einklang mit seiner ständigen Judikaturlinie) erneut festgehalten, dass sowohl das Vorliegen einer stillschweigenden Erklärung im Sinne des § 863 ABGB als auch das Entstehen einer betrieblichen Übung grundsätzlich einzelfallbezogen anhand der konkreten Umstände zu beurteilen ist (OGH vom 17.02.2022, 9 ObA 152/21z). Im Zusammenhang mit der Frage nach einer allfälligen betrieblichen Übung bestätigt der OGH die vom Kläger angefochtene zweitinstanzliche Entscheidung, dass die Arbeitnehmer*innen nicht auf das Entstehen einer Betriebsübung vertrauen können, wenn der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat immer wieder kommunizierte, dass die „Alt-Stammarbeiter*innen“ trotz Bevorzugung bei der Vergabe von Überstundenschichten keinen Rechtsanspruch auf die Einteilung zu solchen Schichten haben.
Der OGH hatte sich kürzlich mit der Frage nach dem Entstehen einer betrieblichen Übung und den allenfalls den betroffenen Arbeitnehmer*innen daraus erwachsenden Ansprüchen auseinanderzusetzen.
Konkret ging es um einen Nachtstamm-Expeditarbeiter, der ein gerichtliches Verfahren gegen seinen Arbeitgeber wegen einer Änderung des Schichteinteilungssystems und dem damit verbundenen persönlichen Verlust von sogenannten „Montagfrühblatt-Schichten“ angestrengt hat.
Die bei den Expeditarbeiter*innen sehr begehrten Montagfrühblatt-Schichten als Überstunden wurden bis Ende 2017 im Rahmen eines „Zwei-Listen-Systems“ unter Bevorzugung der Alt-Stammarbeiter*innen gegenüber den Jung-Stammarbeitern*innen vergeben und von diesen an Sonn- und Feiertagen geleistet.
Das System der Einteilung der Montagfrühblatt-Schichten wurde vom Arbeitgeber mit Beginn des Jahres 2018 umgestellt. Ab diesem Zeitpunkt erfolgte die Vergabe in alphabetischer Reihenfolge an alle Nacht-Stammarbeiter*innen (ohne Unterscheidung von Alt-Stammarbeiter*innen und Jung-Stammarbeitern*innen).
Eine Montagfrühblatt-Schicht dauerte drei Stunden und wurde mit Entgelt sowie auch mit Zeitausgleich abgegolten. Der Kläger erhielt für eine Montagfrühblatt-Schicht ein Entgelt von EUR 292,57 brutto sowie einen Zeitausgleich von 5,5 Stunden.
Der Kläger begehrte das Entgelt sowie den Zeitausgleich für jene Montagfrühblatt-Schichten, zu denen er nach der Umstellung des Vergabesystems nicht mehr eingeteilt wurde sowie zukünftige Einteilung zu den Montagfrühblatt-Schichten bzw. dementsprechende Entlohnung bei Arbeitsbereitschaft. Sein Begehren stützt der Kläger auf eine ausdrückliche und konkludente, weil jahrelang gelebte, einzelvertragliche Vereinbarung und eine betriebliche Übung.
Der OGH bleibt seiner ständigen Judikaturlinie treu und hält neuerlich fest, dass sowohl das Vorliegen einer stillschweigenden Erklärung im Sinne des § 863 ABGB als auch das Entstehen einer betrieblichen Übung grundsätzlich einzelfallbezogen nur anhand der konkreten Umstände beurteilt werden kann. Die vorliegende Entscheidung ist dennoch von Interesse, da sich der OGH insbesondere im Zusammenhang mit der behaupteten betrieblichen Übung zu der vom Kläger angefochtenen zweitinstanzlichen Entscheidung äußert.
Eine von dem*der Arbeitgeber*in durch regelmäßige, vorbehaltlose Gewährung bestimmter Leistungen an die Arbeitnehmer*innen begründete betriebliche Übung kann durch die – gleichfalls schlüssige (§ 863 ABGB) – Zustimmung der Arbeitnehmer*innen, zur schlüssigen Ergänzung des Einzelvertrags begünstigter Arbeitnehmer*innen und damit zu einzelvertraglichen Ansprüchen führen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Gewährung des*der Arbeitgeber*in seinen*ihren Willen, sich diesbezüglich auch für die Zukunft zu verpflichten, unzweideutig zum Ausdruck bringt. Entscheidend ist dabei, welchen Eindruck die Arbeitnehmer*innen bei sorgfältiger Überlegung von dem schlüssigen Erklärungsverhalten des*der Arbeitgeber*in haben durften. Dabei ist objektiv zu prüfen, ob die Arbeitnehmer*innen auf die Verbindlichkeit der Vergünstigung vertrauen durften.
Der OGH kam im konkreten Fall zum Ergebnis, dass ein berechtigtes Vertrauen der Alt-Stammarbeiter*innen im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht gegeben sei, da der Arbeitgeber den Betriebsräten immer wieder erklärte, dass auch die Alt-Stammarbeiter*innen keinen Rechtsanspruch auf Einteilung zu den Sonntags-(Montagfrühblatt-)schichten (die die Arbeitnehmer*innen auch ablehnen konnten) hätten. In den am 27. Juni 2002 zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat abgeschlossenen „Hausvereinbarungen – Expedit“ wurden nur den namentlich genannten konkreten 19 Mitarbeitern zwei „Montagfrühblatt-Schichten“ pro Sonntag zugesichert, nicht aber den Alt-Stammarbeitern der Beklagten. In dem am 22. Dezember 2009 zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat abgeschlossenen „Reglement betreffend Verteilung Montag-Frühblätter im Versandbereich“ wurde bezüglich der Nacht-Stammarbeiter festgehalten, dass derzeit jedem Nachtstammarbeiter eine solche Schicht wöchentlich garantiert werden könne, diese Zusage aber bei der Änderung des Personalstandes bzw der Änderung der Auslastung nichtig sei. Dass die Betriebsräte anderer Meinung waren und den Alt-Stammarbeiter*innen demgegenüber immer wieder kommunizierten, dass es „bei den Alten bleibe, wie es ist“, begründet nach dem OGH kein berechtigtes Vertrauen der Alt-Stammarbeiter*innen im Verhältnis zum Arbeitgeber.
In der Praxis empfiehlt sich, bei der Gewährung von Leistungen an Arbeitnehmer*innen (worunter auch die Verteilung von bestimmten mit Zulagen oder Sondervergütungen verbundenen Schichten oder Überstunden zu verstehen sein können) stets ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass damit kein Rechtsanspruch der Arbeitnehmer*innen begründet werden soll. Verstärkt könnte die Argumentationsbasis für den Fall eines Streits noch durch einen Verweis auf die aktuelle Situation und auf eine potenzielle Änderung bei einer Änderung der Situation (z.B. bei Änderung des Personalstands oder der Auftragslage o.ä) werden.