„Jedi Blue“ Deal zwischen Google und Meta im Fokus der Wettbewerbsbehörden
Die Kartellbehörden der Europäischen Union und Großbritanniens haben parallel am 11. März 2022 eine Untersuchung zu dem unter dem Decknamen „Jedi Blue“ geführten Vereinbarungen zwischen Google und Meta (früher Facebook) aus September 2018 eingeleitet. Damit folgen die europäischen Behörden einem Kartellverfahren des US-Bundesstaates Texas und 15 anderen US-Bundesstaaten.
Diese Vereinbarung zwischen Google und Meta befasste sich mit automatisiertem Handel von Online-Werbung (Programmatic Advertising). Ziel der Vereinbarung war es – so lautet der Vorwurf - der konkurrierenden, neueren Header Bidding-Technologie entgegenzuwirken und damit dem Google-Produkt wettbewerbliche Vorteile zu verschaffen.
1. Akteure
Grundsätzlich stehen sich Werbetreibende, die Werbung platzieren möchten, und Webseitenbetreiber (auch Publisher genannt), die Werbeflächen anbieten, gegenüber. Diesen stehen verschiedene Methoden für die Begegnung von Angebot und Nachfrage offen.
Google soll im Jahr 2021 etwa 209,5 Milliarden US-Dollar mit Werbung verdient haben (Gesamtumsatz 256,74 Milliarden US-Dollar), dies unter anderem über seinen Werbetechnologiedienst „Open-Bidding“. Dieser Google-Dienst besteht darin, Werbetreibende und Webseitenbetreiber zusammenzuführen. Die hierfür verwendete Methode ist das nachstehend erläuterte „Programmatic Advertising“.
Meta ist mit seinem „Audience Network“ ein besonders großer Player auf dem automatisierten Werbemarkt. Durch das „Audience Network“ nimmt Meta an Auktionen für digitale Werbeflächen von Webseitenbetreibern teil. Hierfür greift es auf Werbetechnologiedienste wie Google-Open-Bidding, aber auch Header Bidding von Prebit etc zurück.
2. Programmatic Advertising – Das Standardmodell bei Online-Werbung
Um die Tragweite und Bedeutung der „Jedi Blue“ Vereinbarung zu verstehen, muss die Funktionsweise des Marktes für Online-Werbung (auch Display-Werbung genannt) beleuchtet werden. Hierfür sind zunächst Programmatic Advertising und Real Time Bidding vorzustellen.
Die moderne Online-Werbeschaltung basiert hauptsächlich auf vollautomatisierten und individualisierten Prozessen, die den Einkauf digitaler Werbeflächen in Echtzeit ermöglichen. Vereinfacht läuft dies wie folgt ab: Jedes Mal, wenn Nutzer eine beliebige neue Webseite öffnen, wird innerhalb der Ladezeit der Webseite eine automatisierte Auktion abgehalten. Hier werden in Echtzeit die verfügbaren Werbeplätze auf dieser Webseite an den Meistbietenden versteigert. Die angezeigte Werbung wird dann auf den Nutzer individuell zugeschnitten. Zusammengefasst wird dieser Prozess unter dem Begriff des „Programmatic Advertising“.
Verschiedenste Auktionsprozesse werden dabei verwendet, doch zumeist wird auf das sogenannte Real Time Bidding zurückgegriffen, mit Hilfe dessen Werbetreibende in Echtzeit und vollautomatisiert auf Werbeplätze bieten können.
Die Versteigerungen der Werbeplätze erfolgen über eine Plattform, die man sich wie eine Börse vorstellen kann. Googles Börse Open-Bidding ist mit etwa 70 % Marktanteil überragender Marktführer.
Aufgrund der erheblichen Bedeutung von Programmatic Advertising (dieser Typ von Werbeschaltung repräsentiert knapp 70 % des weltweiten gesamten Werbemarktes) zählt die neue Header Bidding Technologie mithin zu den wichtigsten technischen Neuerungen für Anbieter von Werbeflächen.
3. Header Bidding – Die Revolution
Um mit Google konkurrieren zu können, entwickelten kleinere Unternehmen ab 2014 ein neues Modell des Handels mit Display-Werbung. Das Header Bidding ist eine vereinfachte Form des etablierten Real Time Bidding und einfacher für Webseitenbetreiber zu implementieren. Webseitenbetreiber können ganz unkompliziert ein Programm (bspw Prebid) auf ihrer Webseite installieren. Dieses kommuniziert automatisch mit allen ausgewählten Werbebörsen, empfängt Angebote für die digitalen Werbeplätze auf ihrer Webseite in Echtzeit und vergibt diese dann an den Höchstbietenden.
Der Hauptunterschied zum derzeit vorherrschenden Open Bidding liegt darin, dass hier Webseitenbetreiber die verfügbaren Werbeflächen an mehreren solcher Börsen gleichzeitig anbieten. Beim Google Modell hingegen sind Webseitenbetreiber an eine einzelne Börse gebunden.
Da auf diese Weise viele Werbebörsen gleichzeitig auf eine Werbefläche bieten können, soll auch ein höherer Preis pro Werbeplatz erzielt werden. Zusätzlich bietet das Header Bidding mehr Transparenz durch den Vergleich vieler Börsen. Daher ist es für Webseitenbetreiber attraktiver sich für dieses Modell zu entscheiden.
Google soll nach verschiedenen Quellen das Header Bidding in internen Dokumenten als „existenzielleBedrohung“ bezeichnet haben. Hieraus kann geschlossen werden, dass Google durch das Konkurrenzmodell, welches für Webseitenbetreiber den angeblich höchsten Preis erzielt, beträchtliche Einbußen an Marktanteilen und somit an Gewinn drohten.
4. Der „Jedi Blue“ Deal
Der genaue Inhalt des „Jedi Blue“ Deals wurde bisher nicht veröffentlicht, doch kann aus der 130-seitigen Kartellbeschwerde des Generalanwalts des US-Bundesstaates Texas auf den Inhalt geschlossen werden. Auch Medienberichten insbesondere von der New York Times und dem Wall Street Journal geben Aufschluss.
2017 verkündete Meta (damals noch als Facebook) öffentlich seine Pläne, Header Bidding-kompatibel werden zu wollen. 2018 gab Meta diese Pläne auf und verfolgte Header Bidding nicht weiter. Der Grund hierfür ist laut Texas‘ Generalanwalt scheinbar der „Jedi Blue“ Deal – ein Deal angeblich so gut, dass Meta nicht ablehnen konnte. Im Gegenzug für den Verzicht auf den Technologieumstieg soll Meta 90 % aller Auktionen, ungeachtet der Gebote erhalten haben, so die Vorwürfe. Das hieße, auch wenn andere mehr boten, habe Meta zum Nachteil der anderen Werbetreibenden die Werbefläche erhalten. Weiters soll Meta mehr Zeit zum Bieten eingeräumt worden sein, was das Laden mancher Webseiten verlangsamte. Meta soll zudem ermöglicht worden sein, 80% der Smartphone-Nutzer und 60 % der Web-Nutzer zu identifizieren, auf Kosten der Nutzer-Privatsphäre. Ob diese Vorwürfe zutreffen, ist erst Gegenstand eingehender Untersuchungen.
Infolge dieser Vereinbarung hätte Meta für die Nutzung von Google-Open-Bidding Werbekonditionen erhalten, die angeblich sonst niemandem von Google angeboten wurden. Nach dem Branchenexperten Adam Heimlich wären die Vorteile gegenüber anderen Werbepartnern Googles, sollten sich diese Anklagepunkte als richtig erweisen, so signifikant, dass es für Meta hieße „to start every tournament in the finals“.
Laut Wall Street Journal soll “Antitrust” nicht nur über 20-mal in der Vereinbarung erwähnt worden sein, es gäbe sogar darin enthalten eine Klausel über das Vorgehen im Falle einer wettbewerbsrechtlichen Klage (“would cooperate and assist each other in responding to any Antitrust Action” und “promptly and fully inform the Other Party of any Governmental Communication related to the Agreement”).
5. Untersuchung der Kommission
Die Europäische Kommission (EK) hat im März 2022 ein förmliches Kartellverfahren eingeleitet, um die Vereinbarung zwischen Google und Meta in Bezug auf Display-Werbung zu prüfen. Der Fokus der EU-Untersuchung richtet sich auf zwei Aspekte: Einerseits wird der „Jedi Blue“ Deal auf eine wettbewerbsschädliche Vereinbarung hin nach Art 101 AEUV geprüft. Andererseits geht die Kommission auch der Frage nach, ob Google seine marktbeherrschende Stellung missbraucht (Art 102 AEUV).
Die EK kündigte an, diese Untersuchung vorrangig zu behandeln. EU-Wettbewerbskommissarin Vestager meinte vor dem Hintergrund vermeintlicher Wettbewerbsbeschränkungen der “Jedi Blue“ Vereinbarung:
“Viele Publisher greifen auf Display-Werbung zurück, um die Bereitstellung von Online-Inhalten für Verbraucher zu finanzieren. Die Vereinbarung zwischen Google und Meta, die sie „Jedi Blue“ nannten, könnte darauf abzielen, mit dem Google-Dienst „Open-Bidding“ konkurrierende Technologien zu schwächen und vom Markt für Display-Werbung auf Websites und in Apps von Publishern auszuschließen. Sollte sich dieser Verdacht im Rahmen unserer Untersuchung bestätigen, würde dies eine Beschränkung und Verzerrung des Wettbewerbs auf dem bereits konzentrierten Markt für Werbetechnologien zum Nachteil konkurrierender Technologien, von Publishern und letztlich der Verbraucher darstellen.”
6. Resümee
Wettbewerbsbehörden der EU, Großbritanniens und sechzehn US-Staaten prüfen derzeit ein mögliches wettbewerbswidriges Verhalten von Google und Meta. Spekulationen nach erkläre sich der Deckname „Jedi Blue“ aus der Überzeugung Googles, mit der Vereinbarung sei eine „Jedi-Gedankenkontrolle“ gelungen, Werbetreibende von einer Kollaboration mit dem Konkurrenzmodell abzubringen. „Blue“ könnte auf das blaue Logo des Kooperationspartners Meta anspielen. So lautet eine der kursierenden Erklärungen.
Im Jargon der Star Wars Welt also ausgedrückt, könnte man sagen, die Prüfung richtet sich auf die Frage, ob sich die beiden Unternehmen für die „Dunkle Seite der Macht" entschieden haben. Der Jedi-Orden steht in der Star Wars Filmwelt hingegen für Frieden und Recht.
Schätzungen zufolge gehen etwa 30% von jedem online ausgegebenen US-Dollar in Form von Gebühren an Google. Für andere Währungen kann eine ähnliche Profitspanne angenommen werden. Eine solche Spanne könnte theoretisch zu niedrigeren Gewinnen bei den Webseitenbetreibern, den Content-Anbietern, führen, die im Versuch diese Verluste auszugleichen potenziell qualitativ schlechteren Clickbait Content kreieren könnten.
Google wurde in den letzten 10 Jahren weltweit bereits mit 8,8 Milliarden US-Dollar an Kartellstrafen belegt. Während in den USA nach der „Jedi Blue“-Affäre Gerüchte über eine geplante Zerschlagung des Konzerns Meta kursieren, setzt die EU eher auf laufende Überwachung. Der 2023 in Kraft tretende Digital Markets Act der EU zielt auf die Regulierung der Techgiganten ab und soll zukünftig schnelle, zielsichere Eingriffe ermöglichen.
Im derzeit geltenden Rechtsrahmen des europäischen Kartellrechts wird ein Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art 101 AEUV, wie auch ein möglicher Missbrauch einer markbeherrschenden Stellung nach Art 102 AEUV geprüft.
Statt erhoffter „Jedi Blue“-Synergien drohen Meta sowie Google nun zahlreiche Kartellverfahren und private Sammelklagen. Schlägt das Wettbewerbsrechtsimperium zurück?
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