REPowerEU: Pläne für ein gemeinsames europäisches Vorgehen für erschwinglichere, sichere und nachhaltige Energie
Die europäische Energiepolitik ist im Stress: Der Umstieg auf nachhaltige Energieträger soll orchestriert, zugleich aber auch die (Grund-)Versorgung europäischer Unternehmen und Haushalte mit fossilen Brennstoffen für die Übergangszeit gewährleistet werden. Die Gemengelage ist schwierig: Mittel- und Langfristziele treffen auf kurzfristig gebotene Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit. Green Energy und Realität prallen aufeinander, mit auf den ersten Blick schwierigen politischen Kompromissen (Beispiel: EU-Taxonomie). Um den steigenden Energiepreisen zu begegnen, hat die Europäische Kommission bereits im Oktober 2021 insbesondere für die Mitgliedstaaten eine „Toolbox“ mit Gegenmaßnahmen und Hilfeleistungen zur Abmilderung der Auswirkungen auf die Verbraucher:innen und Unternehmen vorgestellt.
Die Invasion der Ukraine durch Russland verschärft die Situation jedoch dramatisch und fokussiert das Brennglas auf die Abhängigkeit der EU von Importen aus Russland: Die EU importiert 90 % des von ihr verbrauchten Gases, und der Anteil russischen Gases am gesamten Gasverbrauch der EU beträgt mehr als 40 %. Zudem stammen 27 % aller Öleinfuhren und 46 % aller Kohleeinfuhren aus Russland (Quelle: Europäische Kommission).
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission im März 2022 verschiedene Maßnahmen und Rechtsakte vorgeschlagen, um Energiepreise erschwinglich zu halten, die Energieversorgung für den nächsten Winter zu sichern, gleichzeitig aber auch eine rasche Energiewende im Rahmen des Green Deals zu forcieren. Ein Überblick:
- Mitteilung – REPowerEU: gemeinsames europäisches Vorgehen für erschwinglichere, sichere und nachhaltige Energie (COM(2022) 108 final) („REPowerEU“) samt Leitlinien:
- Leitlinien zur Anwendung von Artikel 5 der Elektrizitätsrichtlinie in der aktuellen Situation;
- Leitlinien für die Anwendung steuerlicher Maßnahmen auf übermäßige Gewinne.
- Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung sowie der Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (COM(2022) 135 final).
- Mitteilung – Versorgungssicherheit und erschwingliche Energiepreise: Optionen für Sofortmaßnahmen und zur Vorbereitung auf den nächsten Winter (COM(2022) 138 final) samt Anhang zur Mitteilung.
Bewältigung der Notlage
In der REPowerEU-Mitteilung skizziert die Kommission, wie sie der gegenwärtigen Notlage entgegenwirken will. Sie ermächtigt und unterstützt die EU-Mitgliedstaaten, ggf auch Notfallmaßnahmen umzusetzen, z.B. im Hinblick auf die Preisregulierung (z.B. Festlegung der Stromversorgungspreise für Haushaltskunden und Kleinstunternehmen und sonstige Preisregulierungsmaßnahmen, die mit Anreizen für Energieeffizienz- und -sparnahmen zur Senkung der Energiekosten einhergehen) sowie finanzielle Ausgleichsmechanismen. Zwischenzeitig hat die Kommission mehrere Optionen für Sofortmaßnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen der hohen Strompreise evaluiert.
Zur Stärkung der Liquidität betroffener Unternehmen und Landwirte von hohen Energiepreisen, Unterstützung von Sektoren mit dem höchsten Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen, Investitionen in nachhaltige Energie, etc. hat die EU-Kommission bereits einen Befristeten Krisenrahmen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine angenommen. Dadurch können Unternehmen, die von den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine betroffen sind, in Form von begrenzten direkten Zuschüssen, Liquiditätshilfen und Beihilfen zur Deckung höherer Gas- und Stromkosten unterstützt werden. Die Gesamtbeihilfe je Empfänger darf sich zu keinem Zeitpunkt auf mehr als 30 % der beihilfefähigen Kosten oder mehr als EUR 2 Mio. belaufen. Der Befristete Krisenrahmen gilt bis zum 31.12.2022.
Ein weiteres Ziel ist die Vorbereitung auf den nächsten Winter durch Gewährleistung einer ausreichenden Gasspeicherung. Die Kommission drängt darauf, EU-weit mit der Befüllung der Gasspeicher zu beginnen und bis zum Herbst 2022 möglichst hohe Füllstände der Gasspeicher zu erreichen. Zwischenzeitig hat die Kommission einen Legislativvorschlag unterbreitet, wonach jeder Mitgliedstaat sicherzustellen hat, dass die Gasspeicheranlagen bis zum 1.11.2022 zu mindestens 80 % ihrer nationalen Kapazitäten und in den folgenden Jahren zu 90 % befüllt sind. Eine neue obligatorische Zertifizierung aller Speicheranlagenbetreiber durch die jeweilige Regulierungsbehörde soll zur Versorgungssicherheit beitragen und Schutz vor Risiken bieten, wenn Gasspeicher im Eigentum von Betreibern aus Drittstaaten stehen („kritische Infrastruktur“).
Darüber hinaus bietet die Kommission an, eine aktivere Rolle bei der Koordinierung zu übernehmen (z.B. durch gemeinsame Beschaffung, Sammlung von Aufträgen und Abstimmung von Lieferungen). So soll eine Taskforce für gemeinsame Gas- und Wasserstoffeinkäufe auf europäischer Ebene eingerichtet werden, um mit Energiepartnerschaften zwischen der EU und Drittländern (insbesondere Afrika und USA) die gemeinsame Beschaffung von Gas, Flüssiggas (LNG) und Wasserstoff zu fördern.
Schrittweise Beendigung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland vor 2030.
Das EU-weite Energiesystem soll durch zwei Maßnahmenpakete resilienter werden:
1. Diversifizierung der Gasversorgung: Dies soll erreicht werden durch
- höhere Einfuhren von LNG (z.B. aus Katar, den USA, Ägypten, Westafrika).
- höhere Einfuhren von Gas über Pipelines aus anderen Ländern als Russland (z.B. Aserbaidschan, Algerien, Norwegen).
- Steigerung der Produktion von Biomethan.
- Steigerung der Produktion und des Imports von Wasserstoff. Nachdem bereits im Jahr 2020 die EU-Wasserstoffstrategie präsentiert wurde, wird nunmehr der Zielwert für erneuerbaren Wasserstoff bis 2030 nochmals um 15 Mio. Tonnen erhöht (davon sollen 5 Mio. Tonnen in der EU produziert werden). Die Kommission plant zu diesem Zweck eine Weiterentwicklung des Rechtsrahmens und vorrangige Genehmigungsverfahren betreffend notifizierte Beihilfen für Wasserstoffprojekte. Zudem sollen die ersten wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse („IPCEI“) im Bereich Wasserstoff innerhalb von nur sechs Wochen (nach Übermittlung einer vollständigen Anmeldung durch die teilnehmenden Mitgliedstaaten) abschließend geprüft sein.
2. RaschereVerringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen in den Bereichen Wohnen, Gebäude und Industrie sowie auf der Ebene des Energiesystems: Dies soll erreicht werden durch
- Steigerung der Energieeffizienz.
- eine beschleunigte Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie (Photovoltaik, Windenergie, Wärmepumpen). Geplant ist u.a. eine Mitteilung über Solarenergie, welche eine Europäische Solardach-Initiative beinhalten soll.
- eine beschleunigte Dekarbonisierung der Industrie (Elektrifizierung, wasserstoffbasierte Lösungen).
- Einfachere und verkürzte Genehmigungsverfahren für „Erneuerbare-Projekte“ (Erzeugungsanlagen, Netzanschluss, Netzinfrastruktur).
- Beseitigung von Infrastrukturengpässen.
Und wie reagiert der österreichische Gesetzgeber?
Mit der Initiative REPowerEU hat sich der EU-Unterausschuss des Nationalrats am 5.4.2022 beschäftigt, die von österreichischer Seite grundsätzlich begrüßt wird. Um jedoch rechtzeitig über ausreichende Notreserven zu verfügen, hat der österreichische Gesetzgeber im Eiltempo das Gaswirtschaftsgesetz 2011 (GWG 2011) novelliert: Der jeweilige Verteilergebietsmanager wird mit der Vorhaltung einer strategischen Gasreserve betraut. Die Vorhaltung erfolgt in Speicheranlagen, die für eine unmittelbare Ausspeisung in die Marktgebiete genutzt werden können (Sonderregeln gelten in Bezug auf die Marktgebiete Tirol und Vorarlberg). Damit soll schon vor der Annahme des Legislativvorschlags auf europäischer Ebene sichergestellt werden, dass die Gasspeicher in Österreich bis Herbst 2022 angemessen befüllt sind.
Ausblick
Den Anstieg der Energiepreise einzudämmen und eine angemessene Gasversorgung für den nächsten Winter und darüber hinaus zu gewährleisten, ist ein Gebot der Stunde. Die Kommission mobilisiert vorhandene Instrumente (z.B. EU-Beihilferecht), schlägt zugleich aber auch legislative Änderungen vor. Besonders eingemahnt wird eine vertiefte Zusammenarbeit innerhalb der EU, um Kosten zu sparen und gebündelte Einflussmöglichkeiten zu nutzen.
Mittelfristig sind strukturelle Änderungen erforderlich (Bau fehlender Verbindungsleitungen zur vollständigen Integration des Energiemarktes, Ausbau erneuerbarer Energien, Energieeffizienzmaßnahmen, Diversifizierung der Energieversorgung, etc.), welche vor dem Eindruck der Ukraine-Krise zu einer beschleunigten Umsetzung kommen sollen. Die Kommission wird bereits im Mai einen detaillierteren REPowerEU-Plan vorlegen und bis dahin auch Optionen zur Optimierung der Gestaltung des Strommarktes bewertet haben. Derzeit läuft noch eine öffentliche Konsultation zu Genehmigungsverfahren und Strombezugsverträgen, und neue Leitlinien sollten noch vor dem Sommer 2022 veröffentlicht werden. Unternehmen wird empfohlen, die rasanten Entwicklungen und Initiativen auf europäischer Ebene in den jeweiligen Unternehmensstrategien und Konzepten zu berücksichtigen. Sowohl der neue „Hydrogen Accelerator“ samt neuer Netzinfrastruktur als auch die geplanten Energiepartnerschaften bieten neue Möglichkeiten für Unternehmen; dies gilt auch für IPCEI und den neuen beihilferechtlichen Befristeten Krisenrahmen.
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