Arbeitskräfteüberlassung – Ist eine Krankmeldung nur an den Beschäftiger ausreichend?
Arbeitnehmer*innen haben über das Ende des Dienstverhältnisses hinaus Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wenn das Dienstverhältnis während oder im Hinblick auf einen Krankenstand einvernehmlich beendet wird. Arbeitnehmer*innen sind verpflichtet, den Arbeitgebern*innen unverzüglich die Dienstverhinderung zu melden und auf Verlangen der Arbeitgeber*innen einen geeigneten Nachweis zu erbringen. Sollten Arbeitnehmer*innen diesen Verpflichtungen nicht nachkommen, besteht für die Dauer der Säumnis kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung. In einer aktuellen Entscheidung (Oberster Gerichtshof (OGH) vom 16.02.2023, 9ObA100/22d) befasste sich der OGH mit der höchstgerichtlich bislang ungeklärten Frage, ob eine überlassene Arbeitskraft diese Meldepflicht erfüllt, wenn eine Krankmeldung nur an den Beschäftiger und nicht (auch) an den „formalen“ Arbeitgeber (Überlasser) ergangen ist.
In der gegenständlichen Entscheidung teilte der überlassene Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber am 1. September 2021 mit, dass er sein Dienstverhältnis kündigen wolle, aber hoffe, dass man dies einvernehmlich machen könne. Noch am selben Tag erkrankte der Arbeitnehmer und wurde vom Beschäftiger nach Hause geschickt. Am Tag darauf wurde der Arbeitnehmer von seinem Hausarzt rückwirkend ab 1. September 2021 krankgeschrieben und teilte dies nur seinem zuständigen Vorgesetzten beim Beschäftiger mit, obwohl der Arbeitsvertrag eine ausdrückliche Verpflichtung der Meldung einer Dienstverhinderung an den Beschäftiger und an den Arbeitgeber vorsah. Am selben Tag einigte sich der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber auf eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses. Der Arbeitgeber willigte in die einvernehmliche Auflösung ein, um dem Arbeitnehmer entgegenzukommen, da dieser sonst eine einmonatige Sperrfrist beim AMS beim Bezug des Arbeitslosengeldes gehabt hätte. Dass er bereits seit dem Vorabend krankgeschrieben war, teilte der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber dabei nicht mit. Der Arbeitgeber informierte den Beschäftiger noch vor der geplanten Schicht des Arbeitnehmers am 2. September 2021, dass dieser auf Grund der Beendigung des Dienstverhältnisses nicht mehr kommen werde. Am 3. September 2021 wurde die einvernehmliche Beendigung mit Wirksamkeit zum 1. September 2021 schließlich unterfertigt. Der Arbeitgeber erfuhr vom Krankenstand erst nach dessen Ende, da auch der Beschäftiger die Krankmeldung nicht an den Arbeitgeber weitergeleitet hatte. In der Folge begehrte der Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung über das Ende des Dienstverhältnisses hinaus bis zum Ende des Krankenstandes am 7. September 2021 in der Höhe von EUR 606,86 brutto. Dies wurde vom Arbeitgeber mit der Begründung der nicht erfolgten Meldung des Krankenstandes abgelehnt.
Entgeltfortzahlungsansprüche von Arbeitnehmern*innen enden grundsätzlich mit dem Ende des Dienstverhältnisses. Sowohl das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) für Arbeiter, das in diesem Fall zur Anwendung gelangte als auch das Angestelltengesetz (AngG) für Angestellte sehen jedoch vor, dass Arbeitgeber*innen unter gewissen Umständen bei Fortbestehen der Arbeitsverhinderung zur Fortzahlung des Entgelts über das Ende des Dienstverhältnisses hinaus verpflichtet sind. Dies betrifft insbesondere Arbeitgeberkündigungen, die im Krankenstand ausgesprochen werden oder unberechtigte Entlassungen von Arbeitnehmern*innen. Seit 1. Juli 2018 besteht diese Verpflichtung auch für einvernehmliche Beendigungen von Dienstverhältnissen, die während oder im Hinblick auf eine Dienstverhinderung abgeschlossen werden. Dies laut Rechtsprechung des OGH unabhängig vom Grund der einvernehmlichen Beendigung.
In der gegenständlichen Entscheidung ging der OGH davon aus, dass das Dienstverhältnis mit dem Arbeitnehmer einvernehmlich mit Wirksamkeit zum 1. September 2021 beendet wurde und dadurch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers noch vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses eingetreten sei.
Der OGH führte in der Folge aus, dass die Unkenntnis des Arbeitgebers über die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers im Fall einer einvernehmlichen Beendigung während eines Krankenstandes, wie auch im Fall einer Kündigung im Krankenstand, grundsätzlich nicht von Relevanz für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei. Der OGH hielt jedoch fest, dass dies nicht bedeute, dass die Melde- bzw. Nachweisverpflichtungen des Arbeitnehmers obsolet seien. Für das Bestehen des Entgeltfortzahlungsanspruches sei daher eine unverzügliche Meldung der Arbeitsverhinderung an den Arbeitgeber erforderlich. Zur Frage, ob eine Meldung nur an den Beschäftiger durch eine überlassene Arbeitskraft für diese Zwecke ausreichend sei, bestand bisher keine höchstgerichtliche Rechtsprechung (das OLG Wien hatte die Frage im Jahr 2003 in einer Entscheidung verneint).
Der OGH kam in der gegenständlichen Entscheidung zu dem Schluss, dass trotz vertraglicher Verpflichtung der Meldung einer Arbeitsverhinderung an den Beschäftiger und an den Arbeitgeber die Krankmeldung nur an den Beschäftiger ausreiche.
Zwar sei der Überlasser der „formale Arbeitgeber“, aber auch der Beschäftiger gelte zum Teil (auch) als Arbeitgeber hinsichtlich der Einhaltung von arbeitsrechtlichen Vorschriften. Dem Arbeitnehmer stünden daher sowohl der Überlasser als auch der Beschäftiger in Arbeitgeberfunktion gegenüber. Die Meldepflicht bei Arbeitsunfähigkeit berührt zum einen die mangelnde Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers für den Beschäftiger und andererseits die Entgeltfortzahlung trotz unterbliebener Leistung durch den Überlasser.
Der Arbeitnehmer könne laut OGH grundsätzlich davon ausgehen, dass zwischen dem Beschäftiger und dem Überlasser die notwendigen Informationen über die Einsetzbarkeit oder einen Verhinderungsgrund ausgetauscht werden. Die Aufspaltung der Funktionen bei der Arbeitskräfteüberlassung kann daher grundsätzlich nicht als ausreichender Grund für eine Verdoppelung der Melde- und Nachweispflicht angesehen werden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer Grund zur Annahme habe, dass die Informationen über die Arbeitsunfähigkeit nicht unverzüglich vom Beschäftiger an den Überlasser weitergeleitet werden. Im konkreten Fall lagen dahingehend jedoch keine Anhaltspunkte vor, daher sei die Meldung des Krankenstandes an den Beschäftiger ausreichend gewesen und der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers bestehe.
Für die Praxis zeigt auch diese Entscheidung wieder auf, dass der Abschluss von einvernehmlichen Auflösungen mit Arbeitnehmern*innen die ihr Dienstverhältnis selbst kündigen möchten, mit einem nicht unwesentlichen Risiko verbunden sein kann. Arbeitnehmer*innen könnten am Tag des Abschlusses der Vereinbarung bereits erkrankt sein und könnten nachträglich einen entsprechenden Nachweis für die zum Abschlusszeitpunkt bereits bestehende Arbeitsunfähigkeit beibringen. Im schlechtesten Fall könnte dies bei Langzeitkrankenständen dazu führen, dass Arbeitnehmern*innen noch hohe Entgeltfortzahlungsansprüche zukommen, je nachdem wieviele Ansprüche im laufenden Dienstjahr bereits konsumiert wurden.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.