Der Rat der Europäischen Union hat seine Verhandlungsposition zum sog. EU-Lieferkettengesetz veröffentlicht
Am 01. Dezember 2022 hat der Rat der Europäischen Union (Rat) seine Verhandlungsposition für die geplante EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen (oft als „EU-Lieferkettengesetz“ bezeichnet) veröffentlicht.
Bisheriger Stand des Vorhabens
Am 23. Februar 2022 unterbreitete die Europäische Kommission (Kommission) über entsprechende Aufforderung des Europäischen Parlaments (EP) einen „Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“. Wir berichteten dazu in unserem Law Blog.
Während dieser Vorschlag in Politik, Medienwelt und nicht zuletzt auch unter Stakeholdern diskutiert wurde, wurde das Vorhaben auf europäischer Ebene weiter vorangetrieben: Die Berichterstatterin des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments, Lara Wolters, legte am 08. November 2022 einen Berichtsentwurf zum EU-Lieferkettengesetz vor, der teilweise wesentlichen Verschärfungen im Vergleich zum Kommissionsvorschlag beinhaltete.
Die Reaktion des Rates ließ nicht lange auf sich warten: Am 01. Dezember 2022 verständigte sich der Rat auf eine „Allgemeine Ausrichtung“ und veröffentlichte einen Kompromisstext, welcher die Standpunkte der Mitgliedstaaten verdeutlicht und als Verhandlungsposition des Rates für den bevorstehenden Trilog mit dem EP und der Kommission gilt.
Der Berichtsentwurf von Lara Wolters
Lara Wolters fordert neben einigen Präzisierungen auch deutliche Verschärfungen des Richtlinientextes. So soll insbesondere ein größerer Kreis von Unternehmen unter das EU-Lieferkettengesetz fallen1:
EU-Unternehmen:
- > 250 Beschäftigte und weltweiter Nettoumsatz > EUR 40 Mio. oder
- > 50 Beschäftigte und weltweiter Nettoumsatz > EUR 8 Mio., sofern mindestens 30 % dieses Umsatzes in einem oder mehreren aufgezählten Hochrisikosektoren erwirtschaftet wurde
Unternehmen aus Drittstaaten
- Nettoumsatz in der Union > EUR 40 Mio. oder alternativ
- Nettoumsatz in der Union > EUR 8 Mio. (aber nicht mehr als EUR 40 Mio.), sofern mindestens 30 % des weltweiten Nettoumsatzes in einem oder mehreren aufgezählten Hochrisikosektoren erwirtschaftet wurde.
Zudem sollen laut Wolters auch börsennotierte Unternehmen in den Anwendungsbereich des EU-Lieferkettengesetzes fallen, sofern diese durchschnittlich 50 Beschäftigte und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als EUR 8 Mio. jährlich erwirtschaften.
Durch ein Absenken der Schwellen (Anzahl der Mitarbeiter / Jahresumsatz) würden demnach nicht nur große Unternehmen, sondern auch vermehrt „Mittelständler“, unmittelbar erfasst werden.
Dies hätte wiederum zur Folge, dass KMUs, die lediglich indirekt von den Bestimmungen des EU-Lieferkettengesetzes betroffen sein würden, im weit höheren Ausmaß vertragliche Zusagen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten abgeben müssten.
Zudem soll der Kreis der Hochrisikobranchen erweitert werden. Geht es nach Lara Wolters würden Teile des Finanzsektors – ganz zum Entsetzen einiger Mitgliedstaaten und Branchenvertreter – als Hochrisikobranchen eingestuft werden. Dadurch wäre ein großer Teil der Finanzinstitute vom Anwendungsbereich unmittelbar erfasst.
Nach der Position von Lara Wolters soll aber auch der sachliche Anwendungsbereich erweitert werden. Demnach sollen die Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette für alle Geschäftsbeziehungen und nicht nur – wie von der Kommission vorgeschlagen – für „etablierte“ Geschäftsbeziehungen (d.h. Geschäftsbeziehungen von einer gewissen Dauer oder Intensität) gelten.
Auch in Sachen zivilrechtlicher Haftung von Unternehmen will Wolters nachschärfen, indem eine Beweislastumkehr zugunsten von Personen, die aufgrund einer Sorgfaltspflichtverletzung eines Unternehmens geschädigt worden sind, direkt im EU-Lieferkettengesetz verankert werden soll. Die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen würde dadurch enorm erleichtert werden. Im Vergleich dazu sieht der Kommissionsvorschlag keine entsprechende Regelung vor – es wäre wohl den Mitgliedstaaten überlassen eine Beweislastumkehr in ihren nationalen Lieferkettengesetzen vorzusehen. Allerdings würde dies wiederum zu einer uneinheitlichen Rechtslage innerhalb der Europäischen Union führen – genau dies will man doch mit einem EU-Lieferkettengesetz verhindern. Die Interessensvertreter der Wirtschaft kritisieren die strengere zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für den Verstoß von Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette („up“- und „downstream“) heftig. Für andere wie z.B. NGOs sind diese Regelungen geradezu essentiell.
Die endgültige Position des EP wird erst im Frühjahr 2023 erwartet. Ob derartige Verschärfungen, wie im Berichtsentwurf von Lara Wolters gefordert, auch in der finalen Verhandlungsposition des EP zu finden sein werden, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass der Rat damit so einige Schwierigkeit haben wird:
Die wesentlichsten Positionen des Rates
Nicht einmal einen Monat nach der Veröffentlichung des Berichtsentwurfs von Lara Wolters präsentierte der Rat seine Verhandlungsposition zum EU-Lieferkettengesetz. Dabei gab es bereits im Vorfeld heftige Diskussionen innerhalb einzelner Mitgliedstaaten: Der Ausschuss der Ständigen Vertreter hatte alle Hände voll zu tun, um ich intern auf einen „Kompromisstext“ für die bevorstehenden Trilog-Verhandlungen zu einigen.
Wenig überraschend sieht der Kompromisstext des Rates – im Gegensatz zum Berichtsentwurfs von Wolters – Entschärfungen des Kommissionsvorschlags vor. Auffallend sind auch die Parallelen zum deutschen „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“, welches mit 01.01.2023 in Kraft tritt.
Inhaltich diktiert der Rat einige spannende Punkte in das Verhandlungsprotokoll, welche mit Sicherheit für einen regen Diskussionsstoff im Trilog (und auch Abseits davon) sorgen werden. Hier ein kurzer (nicht abschließender) Überblick über die wichtigsten Punkte in der Position des Rates:
Grundsätzlich hält der Rat zwar an den von der Kommission vorgeschlagenen Schwellen und dem Adressatenkreis fest:
EU-Unternehmen:
- > 500 Beschäftigte und weltweiter Nettoumsatz > EUR 150 Mio. oder
- > 250 Beschäftigte und weltweiter Nettoumsatz > EUR 40 Mio., sofern mindestens 50 % dieses Umsatzes in einem oder mehreren aufgezählten Hochrisikosektoren erwirtschaftet wurde2
Unternehmen aus Drittstaaten
- Nettoumsatz in der Union > EUR 150 Mio., oder alternativ
- Nettoumsatz in der Union > EUR 40 Mio. (aber nicht mehr als EUR 150 Mio.), sofern mindestens 50 % des weltweiten Nettoumsatzes in einem oder mehreren aufgezählten Hochrisikosektoren erwirtschaftet wurde
Allerdings soll die Einführung der Sorgfaltspflichten für die betroffenen Unternehmen noch weiter gestreckt werden: Während die Kommission vorschlägt, dass die Bestimmungen des EU-Lieferkettengesetz für Unternehmen 2 Jahre (bzw 4 Jahre für unmittelbar betroffene Unternehmen in Risikosektoren) nach Inkrafttreten gelten soll, will der Rat das EU-Lieferkettengesetz eine Übergangsfrist für Unternehmen wie folgt staffeln:
Geltung 3 Jahre nach Inkrafttreten für
- Unternehmen mit Sitz in der EU: > 1.000 Beschäftigte und Nettoumsatz von EUR 300 Mio weltweit
- Unternehmen aus Drittstaaten: Nettoumsatz von EUR 300 Mio in der EU
Geltung 4 Jahre nach Inkrafttreten für
- Unternehmen mit Sitz in der EU: > 500 Beschäftigte und weltweiter Nettoumsatz > EUR 150 Mio;
- Unternehmen aus Drittstaaten: Nettoumsatz in der Union > EUR 150 Mio.
Geltung 5 Jahre nach Inkrafttreten für
- Unternehmen mit Sitz in der EU: > 250 Beschäftigte und weltweiter Nettoumsatz > EUR 40 Mio., sofern mindestens 50 % dieses Umsatzes in einem oder mehreren aufgezählten Hochrisikosektoren erwirtschaftet wurde;
- Unternehmen aus Drittstaaten: Nettoumsatz in der Union > EUR 40 Mio. (aber nicht mehr als EUR 150 Mio.), sofern mindestens 50 % des weltweiten Nettoumsatzes in einem oder mehreren aufgezählten Hochrisikosektoren erwirtschaftet wurde
Zudem will der Rat (wie auch Lara Wolters– siehe oben) das Konzept der „etablierten Geschäftsbeziehung“, das im Kommissionsvorschlag an Dauer und Intensität einer Geschäftsbeziehung anknüpft, abschaffen. Stattdessen definierte der Rat den Begriff „Geschäftspartner“ und unterscheidet hier zwischen „direkten“ und „indirekten“ Geschäftspartnern.
Gerade der Begriff „Wertschöpfungskette“ im Kommissionstext sorgte im Rat (sowie unter den Stakeholdern) für hitzige Diskussionen. Insbesondere der von der Kommission vorgeschlagene Aspekt, dass die gesamte „Wertschöpfungskette“ vom Geltungsbereich des EU-Lieferkettengesetzes umfasst werden soll, sorgte für viel Zündstoff. Schließlich einigte man sich auf den engeren Begriff „Aktivitätskette“, ist doch die „Stufe der Nutzung der Produkte des Unternehmens oder die Erbringung der Dienstleistung“ nicht erfasst. Dadurch würden derartige nachgelagerte Aktivitäten ebenso ausgeklammert werden wie Tätigkeiten der „nachgelagerten Geschäftspartner“ im Zusammenhang mit Vertrieb, Beförderung, Lagerung und Entsorgung von Waren/Produkten, die der Ausfuhrkontrolle unterliegen (bspw Waffen oder „Dual-Use-Güter“). Gerade diese Position des Rates sorgt bei Vertretern von NGOs für viel Kritik, sehen es diese doch als wesentlich an, dass zB Waffenproduzenten unter die Sorgfaltspflichten des EU-Lieferkettengesetzes fallen sollten. Man darf gespannt sein, wie der für den sachlichen Anwendungsbereich äußerst relevante Begriff der „Wertschöpfungskette“ bzw der „Aktivitätskette“ in der finalen Fassung des EU-Lieferkettengesetzes definiert sein wird.
Die Aufnahme von beaufsichtigen Finanzunternehmen in die Bestimmungen des EU-Lieferkettengesetzes war im Vorfeld ebenfalls ein großes Thema. Schließlich einigte man sich darauf, dass es den Mitgliedstaaten selbst überlassen bleiben soll, die Erbringung von Finanzdienstleistungen durch beaufsichtigte Finanzunternehmen zu erfassen. Finanzprodukte sollen nicht erfasst sein (z.B. alternative Investmentfonds und Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere). Zudem soll den einzelnen Mitgliedstaaten die „Option“ geboten werden, Einrichtungen der Altersversorgung, die nach EU-Recht als Systeme der sozialen Sicherheit gelten, vom Anwendungsbereich auszunehmen. Dieser Punkt wird in den Trilog-Verhandlungen mit Sicherheit auch noch heftig diskutiert werden.
Auch die zivilen Haftungsregeln für Unternehmen werden im Kompromisstext des Rates behandelt und erheblich geändert: Während sich der Rat im Einklang mit dem Kommissionsvorschlag zu keiner Regelung der Beweislastverteilung hinreißen lässt, will der Rat das Erfordernis eines Verschuldens für eine allfällige Haftung von Unternehmen explizit in den Richtlinientext aufnehmen und die vier Haftungsbedingungen (Schaden, Pflichtverletzung, Kausalität, Verschulden) präzisieren. Einige Mitgliedstaaten waren mit dieser Verschärfung bzw Präzisierung der zivilrechtlichen Haftungsregelungen immer noch nicht zufrieden. Beispielsweise wurde von einzelnen Mitgliedstaaten eine sogenannte „safe harbor“ Regelung vorgeschlagen, die Unternehmen, die ua bestimmte Zertifizierungen erlangt haben bzw sich an Branchenstandards beteiligen, von allen zivilrechtlichen Haftungen freistellt. Diese „safe harbor“ Regelung wurde zwar nicht in den Kompromisstext des Rates mitaufgenommen – allerdings kann man mit diesbezüglichen Forderungen mit Sicherheit rechnen.
Der Rat äußerte sich äußerst kritisch zu folgenden von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen für Mitglieder der Unternehmensleitung:
- Koppelung der variablen Vergütung mit dem Beitrag zur Geschäftsstrategie des Unternehmens und
- den obligatorischen (Sorgfalts-)Pflichten
Demnach würden die Regellungen von Vergütungsmodelle für Managern (wie Geschäftsführer oder Vorständen) ausschließlich in die Zuständigkeit der entsprechenden „Gremien“ oder Aktionäre des Unternehmens fallen. Nicht zuletzt auch aufgrund starker Bedenken des Rates, dass die Bestimmungen über die Sorgfaltspflichten der Mitglieder der Unternehmensleitung einen zu großen Eingriff in nationale Bestimmungen beinhalten würde, sprach sich der Rat dafür aus, dass diese von der Kommission vorgeschlagene Bestimmungen gestrichen werden müssen.
Ausblick
Während der Rat seine Position für die Trilog-Verhandlungen schon finalisiert hat, wird das EP seine Position voraussichtlich erst im Frühjahr 2023 endgültig beschließen. Der Berichtsentwurf von Lara Wolters lässt aber, wie oben aufgezeigt, erkennen, in welche Richtung das EP gehen dürfte.
Sobald auch die Position des EP auf dem Tisch liegt, werden die Trilog-Verhandlungen gestartet. Dies könnte möglicherweise (relativ) schnell gehen. Im Laufe des Jahres 2024 könnte das EU-Lieferkettengesetz schon in Kraft sein.
Je nachdem, auf welche Umsetzungsfrist man sich einigen wird, hätten die Mitgliedstaaten dann 2 oder 3 Jahre Zeit, entsprechende nationale Lieferkettengesetze zu erlassen bzw bestehende Gesetze anzupassen.
Für Unternehmen besteht allerdings aus unserer Sicht jetzt schon eine Notwendigkeit, die Grundpfeiler möglicher Lieferkettenregelungen in ihre Compliance-Systeme zu implementieren bzw entsprechende unternehmensinterne Anpassungen vorzunehmen. Dies sollten auch kleine und mittelständische Unternehmen forcieren – werden doch auch diese als mögliche Zulieferer oder Geschäftspartner von direkt betroffenen Unternehmen in Zukunft an die Sorgfaltspflichten der nationalen Lieferkettengesetze gebunden werden.
Mit 01.01.2023 tritt in Deutschland bereits das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“ in Kraft. Obwohl das deutsche Lieferkettengesetz (noch) nicht so weitreichend ist wie die Entwürfe des EU-Lieferkettengesetzes, müssen österreichische Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen nach Deutschland bereits zum Jahreswechsel erste Vorkehrungen getroffen haben bzw schleunigst treffen.
Österreichische Unternehmen müssen sich mit dem Thema Lieferketten verstärkt befassen und aktiv Vorkehrungen zu treffen.
Wir verfolgen die aktuellen Entwicklungen und beraten Unternehmen in Sachen Lieferketten-Compliance! Einen Überblick über den Richtlinienvorschlag der Kommission für ein EU-Lieferkettengesetz finden Sie übrigens in unserem kürzlich erschienen Buch „Sustainability Law – Das Recht der Nachhaltigkeit“.
1Zum Vergleich mit dem Kommissionsvorschlag und identen der Position des Rates siehe unten.
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