Nicht jede Kündigung muss zwingend unter einen bestehenden Sozialplan fallen
Ein Sozialplan wird zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat abgeschlossen und soll Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Milderung der Folgen einer Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG für die Arbeitnehmer*innen schaffen. Unter Betriebsänderung sind z.B. Rationalisierungsmaßnahmen von erheblicher Bedeutung zu verstehen, die mit wesentlichen Nachteilen für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft verbunden sind. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hatte in der Entscheidung 9 ObA 45/23t zu beurteilen, ob eine bloße Umschichtung von Ressourcen in einem bereits vorhandenen Aufgabenbereich, die weder mit einem Wechsel der betrieblichen Strukturen noch mit einem tiefgreifenden Wandel des Unternehmens verbunden ist, eine „Restrukturierung“ im Sinne des abgeschlossenen Sozialplans sei. Dies wurde vom OGH verneint, da bei richtiger Auslegung eines Sozialplans nur Umstrukturierungsmaßnahmen iS einer Betriebsänderung gemäß § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG vom Anwendungsbereich eines Sozialplans umfasst sein können.
Aufgrund von bankenaufsichtsrechtlichen Vorgaben sowie wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden bei dem beklagten Kreditinstitut Restrukturierungsmaßnahmen, insbesondere Filialschließungen, notwendig. Um insbesondere die Folgen des daraus resultierenden Personalabbaus zu mildern, schloss die Beklagte einen Sozialplan mit dem Betriebsrat ab, der eine freiwillige Abfertigung für Arbeitnehmer*innen vorsah, die: „im Zuge der Restrukturierung persönlich von Umstrukturierungsmaßnahmen durch Auflösungen ihres Dienstverhältnisses betroffen sind.“
Neben den angesprochenen Restrukturierungsmaßnahmen kam es aus wirtschaftlichen Überlegungen auch zur Umgestaltung der Abteilung Kreditmanagement und Sondergestion, in der die Klägerin tätig war. Die Abteilung sollte in Zukunft vorwiegend Sanierungsfälle bearbeiten und daher sollten zu diesem Aufgabenbereich Ressourcen von den Routineaufgaben „Mahnwesen und Abwicklungsmanagement“ verlagert werden. Zur Bearbeitung von Sanierungsfällen war die Klägerin aber fachlich nicht im Stande. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde daher im Zuge dieser Umgestaltung gekündigt, ihre wenigen, noch verbliebenen Routineaufgaben wurden von einer Mitarbeiterin in Altersteilzeit übernommen. Die Klägerin begehrte nunmehr eine freiwillige Abfertigung basierend auf dem Sozialplan, da sie im Zuge persönlich von den Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen gewesen sei.
Fraglich war nun, ob die Kündigung der Klägerin unter den Anwendungsbereich des Sozialplans fällt. In diesem Zusammenhang hielt der OGH zunächst fest, dass der normative Teil eines Sozialplans wie Gesetze und nicht wie rechtsgeschäftliche Erklärungen auszulegen sei. Demnach sei in erster Linie der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text ergebende Absicht der Parteien der Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen. Außerdem sei der typische Zweck des Sozialplans, die sich aus einer betrieblichen Änderung für alle oder einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft ergebenden wesentlichen Nachteile zu verhindern, zu beseitigen oder zu mildern, bei der Auslegung des Sozialplans ebenfalls zu berücksichtigen. Im konkreten Fall waren die im Sozialplan verwendeten Begriffe Restrukturierung und Umstrukturierungsmaßnahmen auszulegen. Laut OGH könne der Begriff „Umstrukturierungsmaßnahmen“ nur so verstanden werden, dass damit ausschließlich Betriebsänderungen im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG gemeint seien. Unter diesem Blickwinkel stelle die Ressourcenverlagerung in der Abteilung der Klägerin keine Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG dar, die wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich brächte. Die getroffene Maßnahme beschränke sich auf die Kündigung der Klägerin und sei somit auch nicht von erheblicher Bedeutung gewesen. Die (bloße) Ressourcenverlagerung stelle auch keine Änderung in der Betriebsorganisation (§ 109 Abs 1 Z 6 ArbVG) dar, weil damit weder der Betriebsaufbau noch die hierarchischen Strukturen in der Zentrale der Beklagten grundlegend verändert wurde. Die Klägerin war daher nicht von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen und fiel somit nicht in den Anwendungsbereich des Sozialplans.
Diese Entscheidung zeigt, dass auch Mitarbeiter, die aus betrieblichen Gründen gekündigt werden (den persönlichen Aspekt der Klägerin, dass sie nicht in der Lage war die neuen Aufgaben zu erfüllen behandelte der OGH nicht weiter) nicht automatisch unter einen im Unternehmen bestehenden Sozialplan fallen, wenn der Grund ihrer Kündigung in einer Umstrukturierung liegt, die nicht der Anlass für den Abschluss des Sozialplans war. Dementsprechend wichtig ist es, den Anwendungsbereich des Sozialplans eindeutig zu formulieren, denn es ist naheliegend, dass jeder Mitarbeiter, der während des Bestehens eines Sozialplans gekündigt wird, versuchen wird zu argumentieren, dass er unter dessen Anwendungsbereich fällt.
Aus der Entscheidung ist aber uE nicht abzuleiten, dass gekündigte Mitarbeiter nur dann Sozialplanleistungen beanspruchen können, wenn die Umstrukturierung, aufgrund derer das Dienstverhältnis gekündigt wurde, eine Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG darstellt. Im gegebenen Fall hat die Auslegung der Betriebsvereinbarung zutreffender Weise zu diesem Ergebnis geführt. In der Praxis werden aber immer wieder Sozialpläne abgeschlossen, von denen sämtliche Kündigungen von Mitarbeitern aus betrieblichen Gründen erfasst sind, auch wenn die Voraussetzungen des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG nicht erfüllt sind. Bei solchen Sozialplänen handelt es sich zwar um keine echten Betriebsvereinbarungen, sondern um sogenannte freie Betriebsvereinbarungen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Ansprüche der betroffenen Mitarbeiter auf Sozialplanleistungen (letztlich auf einzelvertraglicher Basis) begründen.
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