Vorschläge für eine weitere Harmonisierung des EU-Patentrechts
Zur weiteren Durchsetzung des Aktionsplans für geistiges Eigentum vom November 2020 und zur Ergänzung der Regeln für ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“), die mit 01.06.2023 in Kraft treten werden, hat die EU-Kommission am 27.04.2023 mehrere Verordnungsentwürfe vorgelegt:
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über standardessenzielle Patente und zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1001, COM (2023) 232
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Zwangslizenzen für das Krisenmanagement und zur Änderung der Verordnung (EG) 816/2006, COM (2023) 224
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das einheitliche ergänzende Schutzzertifikat für Pflanzenschutzmittel, COM (2023) 221
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein einheitliches ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1001, der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 sowie der Verordnung (EU) Nr. 608/2013, COM (2023) 222
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das ergänzende Schutzzertifikat für Pflanzenschutzmittel (Neufassung), COM (2023) 223
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (Neufassung), COM (2023) 231
Standardessenzielle Patente
Standardessenzielle Patente (SEP) schützen Technologien, die für wesentlich zur Umsetzung einer von einem Normungsgremium verabschiedeten technischen Norm erklärt wurden, (z.B. 5G, WiFi, MPEG, HEVC, CD, DVD, JPEG oder HAVi). Die Aufnahme einer patentierten Technologie in eine technische Norm verleiht dem Patentinhaber beträchtliche Marktmacht. Dies erfordert eine Einschränkung der grundsätzlichen Freiheit eines Patentinhabers, über die Lizensierung und die Bedingungen zu entscheiden. SEP-Inhaber müssen sich daher verpflichten, ihre SEP zu fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen (fair, reasonable and non-discriminatory - FRAND) zu lizensieren. Fehlende Transparenz über die Wesentlichkeit von SEP und den Lizenzkosten führen derzeit zu aufwändigen und teuren Verhandlungen oder Rechtsstreitigkeiten. Um diesen Missständen abzuhelfen, schlägt die Kommission einen Regelungsrahmen für SEP vor, welcher die folgenden Änderungen enthält:
Beim EU Intellectual Property Office (EUIPO) soll ein Kompetenzzentrum eingerichtet werden, das vor allem für folgende Aufgaben zuständig sein wird:
Zur Steigerung der Transparenz soll ein zentrales öffentlich zugängliches Register angelegt werden, das wesentliche Informationen über die einzelnen SEP, ihre Inhaber und deren Verpflichtung zur FRAND-Lizensierung enthält. Zur Qualitätssicherung des Registers und um vor Überregistrierungen zu schützen sollen auch zufällige Wesentlichkeitsüberprüfungen jährlich durchgeführt werden.
Detailliertere Informationen, wie Ergebnisse von Wesentlichkeitsprüfungen oder Berichte über FRAND-Festlegungsverfahren, sollen in einer separaten Datenbank gespeichert werden, für deren Nutzung eine vorherige gebührenpflichtige Registrierung erforderlich sein soll. Sowohl im Register als auch in der Datenbank sollen Daten als vertraulich gekennzeichnet werden können.
SEP-Inhaber haben die Möglichkeit, über das Register die erwartete maximale Gesamtlizenzgebühr zu kommunizieren. Sowohl SEP-Inhaber als auch Anwender können alternativ einen Schlichter ersuchen, unverbindlich eine Gesamtgebühr zu empfehlen. Höhere Preistransparenz hilft Produzenten, ihre Kosten vorab genauer kalkulieren zu können, und SEP-Inhabern, ihre Rendite besser einschätzen zu können.
Weiters sieht der Vorschlag der Kommission die Möglichkeit vor, beim Kompetenzzentrum die Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu Gesamtlizenzgebühren zu beantragen. Ein Gremium, zusammengesetzt aus drei Experten, ausgewählt aus der Liste der Schlichter, welche vom Kompetenzzentrum erstellt und verwaltet wird, erstellt darauf ein unverbindliches Sachverständigengutachten zu Gesamtlizenzgebühren.
Mit der „FRAND-Festlegung“ soll ein außergerichtliches Verfahren zur Streitschlichtung durch das Kompetenzzentrum geschaffen werden, welches den Zweck verfolgt, die Nutzung des SEP zu FRAND-Bedingungen zu lizensieren. Dies soll Verhandlungen für den SEP-Inhaber und den Anwender von SEP vereinfachen, beschleunigen und deren Kosten senken und unter bestimmten Umständen einem Gerichtsverfahren zwingend vorangehen. Einen Antrag kann sowohl der SEP-Inhaber als auch ein Anwender stellen.
Ziel des Verordnungsentwurfs ist auch die Förderung von KMU. Dazu soll diesen ein kostenloser Beratungsdienst zur Verfügung gestellt, Gebühren für die Registrierung von SEP, für die Prüfung der Wesentlichkeit sowie für den Zugang zum Register ermäßigt und günstigere FRAND-Bedingungen gefördert werden.
Zwangslizenzen
Die COVID-19 Pandemie hat in Erinnerung gerufen, wie essenziell die Lizenzierung von krisenrelevanten Produkten und Technologien (z.B. Impfstoffen) ist, um eine rasche Herstellung von patentgeschützten Produkten zu gewährleisten. Derzeit gibt es kein EU-weites Regelungssystem für Zwangslizenzen. Auch das neue Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung spart dieses Thema aus. Nur Artikel 31 TRIPS führt zu einer minimalen Angleichung der Regeln. Die bestehenden nationalen Regeln sollen durch ein einheitliches EU-weites System von Zwangslizenzen ergänzt werden, um auf Krisen reagieren zu können.
Nach dem Entwurf darf die EU-Kommission eine unionsweite Zwangslizenz an Patenten (nationalen und europäischen Patenten sowie Einheitspatenten), Patentanmeldungen, Gebrauchsmustern oder ergänzenden Schutzzertifikaten erteilen, wenn ein Krisen- oder Notfallmodus aktiviert wurde. Die EU-Kommission wird dabei von einem Advisory Board beraten und der Inhaber der Rechte, an denen eine Zwangslizenz eingeräumt werden soll, wird angehört. Um Überproduktionen zu vermeiden, sind nationale Zwangslizenzen mitzuberücksichtigen.
Eine Zwangslizenz ist nicht-exklusiv und ihr Anwendungsbereich sowie ihre Dauer müssen streng auf den Zweck der Zwangslizenz beschränkt und genau determiniert werden. Die Geltung ist auf die EU beschränkt und der Lizenznehmer darf sie nur zur Versorgung des Unionsmarkts mit den krisenrelevanten Produkten verwenden. Unter der Zwangslizenz hergestellte Produkte sind entsprechend zu kennzeichnen und ihr Export ist untersagt. Gegen den Verkauf von Produkten, die außerhalb der Zwangslizenz auf Märkte gebracht werden, kann der Inhaber seine exklusiven Rechte durchsetzen. Nur für Pharmaprodukte soll auch ein Export in Drittstaaten mit öffentlichen Gesundheitsproblemen ermöglicht werden (vgl. Verordnung (EG) 816/2006), nun im Rahmen einer unionsweiten Lösung.
Dem Inhaber des lizensierten Schutzrechts steht eine angemessene Vergütung zu, die maximal 4% der gesamten Bruttoeinnahmen des Lizenznehmers aus den betroffenen Tätigkeiten betragen darf.
Um die Einhaltung der Bedingungen der Zwangslizenz durchzusetzen, kann die Kommission gegen den Inhaber der lizensierten Rechte und den Lizenznehmer Strafen von bis zu 6% des Umsatzes bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen verhängen. Die Kommission kann die Zwangslizenz auch beenden. Die betroffene Partei muss vor der Verhängung einer Strafe angehört werden. Die Entscheidungen über Strafen sind zu veröffentlichen. Der EuGH kann die Entscheidungen über Strafen überprüfen.
Ergänzende Schutzzertifikate
Neue Arzneimittel durchlaufen ein langes Prüfungsverfahren, bevor sie zugelassen werden. Die Dauer der Schutzfrist von Patenten ist jedoch auf 20 Jahre begrenzt, weshalb die effektive Nutzungszeit für Patente von Arzneimittel als unzureichend empfunden wurde. Regelungen über ergänzende Schutzzertifikate sind in der EU nichts Neues. Sie verleihen ein Recht des geistigen Eigentums, mit welchem die Laufzeit eines Patents für ein Arzneimittel oder Pflanzenschutzmittel, welches von einer Aufsichtsbehörde zugelassen worden ist, um bis zu fünf Jahre verlängert werden kann. Der Schutz eines solchen ergänzenden Schutzzertifikats ist bis heute aber noch auf die Mitgliedstaaten begrenzt, weshalb die Kommission ein einheitliches ergänzendes Schutzzertifikat einführen möchte. Es soll das mit 01.06.2023 in Kraft tretende, Einheitspatent ergänzen und vervollständigen. Vier neue Verordnungsvorschläge wurden dafür veröffentlicht:
Zwei neue Verordnungen sollen die bestehenden Verordnungen jeweils für Arzneimittel und für Pflanzenschutzmittel neu fassen. Nationale Schutzzertifikate sollen sowohl auf Basis nationaler Patente, europäischer Patente oder Einheitspatente erteilt werden. Auf Basis europäischer Patente (einschließlich europäischer Einheitspatente) soll ein neues zentralisiertes Prüfungsverfahren beim EUIPO für SEP zur Verfügung stehen. Bei einem positiven Ergebnis gewähren die nationalen Ämter nationale Schutzzertifikate. Nichtigkeitsverfahren sind vor den nationalen Behörden oder Gerichten zu führen.
Zwei weitere Verordnungen sollen ein neues einheitliches ergänzendes Schutzzertifikat für Einheitspatente mit einem einheitlichen zentralisierten Prüfverfahren jeweils für Arzneimittel und für Pflanzenschutzmittel schaffen. Auf der Basis eines Einheitspatents kann dessen Inhaber oder Rechtsnachfolger ein Einheitsschutzzertifikat gewährt werden, das dieselben Rechte verleiht wie das Basispatent. Das Einheitsschutzzertifikat muss binnen sechs Monaten ab der ersten Marktzulassung oder Erteilung des Einheitspatents beantragt werden.
Für die neuen Verfahren soll das EUIPO zuständig werden. Dafür soll eine eigene Abteilung für Schutzzertifikate beim EUIPO eingerichtet werden, nationale Patentämter können am Erteilungsverfahren aber mitwirken. Für Rechtsmittelverfahren sind die Beschwerdekammern, das Europäische Gericht und der Europäische Gerichtshof zuständig. Neben einem öffentlichen Register wird eine Datenbank für registrierte User eingerichtet.
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