Entgeltfortzahlungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Krankenstand
Werden Arbeitsverhältnisse von Arbeiter*innen während einer Arbeitsverhinderung (z.B. wegen Krankheit) durch arbeitgeberseitige Kündigung oder einvernehmliche Auflösung beendet, so behalten Arbeiter*innen den Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz („EFZG“). Durch den OGH erfolgte nun in einer aktuellen Entscheidung (OGH 23.07.2024, 9ObA54/24t) die Klarstellung, dass ein, bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Krankenstand bestehendes unverbrauchtes Jahreskontingent, sowohl über das Ende des Arbeitsverhältnisses, als auch über das Ende des (fiktiven) Arbeitsjahres hinaus, zur Gänze zusteht. Lediglich ein neues Jahreskontingent entsteht nicht, da kein „neues“ Arbeitsjahr mehr beginnen kann. In einer weiteren aktuellen Entscheidung (OGH 26.06.2024, 9ObA47/24p) befasste sich der OGH mit der Frage, ob eine Krankheit, trotz der Arbeitnehmer*innen bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses mit Unterstützung die Arbeitsleistung erbringen konnten, zu einer Entgeltfortzahlung nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses berechtigen kann.
In der gegenständlichen Entscheidung wurde das seit 06.03.2019 bestehende Arbeitsverhältnis eines Arbeiters während dessen Krankenstand einvernehmlich zum 28.02.2023 aufgelöst. Der Krankenstand des Klägers dauerte insgesamt noch bis 14.05.2023 weiter an. Die Arbeitgeberin bezahlte bis zum Ende des Arbeitsjahres, sohin bis 05.03.2023 (bevor am 06.03.2023 wieder ein neues Arbeitsjahr beginnen würde), das Entgelt fort.
Grundsätzlich besteht für die Entgeltfortzahlung im Krankenstand ein Jahreskontingent. Im aufrechten Arbeitsverhältnis besteht dieses Kontingent jeweils für ein Arbeitsjahr. Mit dem neuen Arbeitsjahr, besteht ein neues Kontingent. Ein nicht verbrauchtes Kontingent aus dem Vorjahr wird nicht auf das nächste Arbeitsjahr übertragen. Die Arbeitgeberin vertrat vor diesem Hintergrund die Ansicht, dass nichts anderes gelte, wenn das Arbeitsverhältnis während der Arbeitsverhinderung wegen Krankheit beendet wird und der Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausgeht. Ein nicht verbrauchtes Jahreskontingent aus dem vorherigen Arbeitsjahr berechtige nicht zur Entgeltfortzahlung im, wegen bereits eingetretenem Ende des Arbeitsverhältnisses, nur fiktiven, neuen Arbeitsjahr. Der Arbeitnehmer begehrte hingegen, die Entgeltfortzahlung auch für den Zeitraum vom Beginn des (fiktiven) neuen Arbeitsjahres am 06.03.2023 bis 06.04.2023 (an diesem Tag wäre das Jahreskontingent für das Arbeitsjahr der Beendigung tatsächlich ausgeschöpft gewesen).
Der OGH folgte der Ansicht des Klägers und führt dazu aus, dass gemäß § 5 EFZG in Fällen einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 Abs 1 EFZG (für Angestellte bestehen vergleichbare Regelungen in § 8 Angestelltengesetz) der Entgeltfortzahlungsanspruch für die im EFZG vorgesehene Dauer bestehen bleibt, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet. Die Dauer der Entgeltfortzahlung wird in § 2 EFZG geregelt und hängt von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ab, wobei der gesetzliche Anspruch innerhalb eines Arbeitsjahres nicht überschritten werden darf. Eine darüber hinausgehende „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs stellte der OGH jedoch entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin nicht fest. Vielmehr solle dem kranken Arbeitnehmer der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses laufenden Arbeitsjahres gewahrt bleiben. Die Entgeltfortzahlungspflicht der Arbeitgeber*innen endet somit erst, wenn das gesamte Jahreskontingent des Arbeitsjahres, in dem das Arbeitsverhältnis beendet wurde, ausgeschöpft ist.
In einer aktuellen ähnlich gelagerten Entscheidung des OGH (OGH 26.06.2024, 9ObA47/24p) befasste sich der OGH ebenfalls mit der Frage, ob der von einem Arbeitnehmer geforderte Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 2 EFZG über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus bestand. Konkret ging es dabei um die Frage, ob eine Krankheit, die im aufrechten Arbeitsverhältnis nicht zu einer Arbeitsverhinderung führte, und die bei Abschluss einer einvernehmlichen Auflösung bestand und durch eine Krankschreibung eines Arztes belegt wurde, zur Entgeltfortzahlung nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses führt.
Hierzu ist einleitend anzumerken, dass ein Anspruch auf Dienstfreistellung samt Entgeltfortzahlung generell, auch im aufrechten Arbeitsverhältnis, nur dann besteht, wenn eine Arbeitsverhinderung durch eine Krankheit besteht, eine Krankheit allein reicht dazu nicht aus. Es ist daher im Einzelfall zu beurteilen, ob eine Arbeitsverhinderung oder eine Arbeitsfähigkeit besteht.
Der Arbeitnehmer und die Arbeitgeberin beendeten das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 03.04.2023. Noch am selben Tag suchte der Arbeitnehmer seinen Hausarzt auf und erwirkte eine Krankschreibung. Der Arbeitnehmer begehrte in weiterer Folge die Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus, da die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung (wegen Krankheit) erfolgt sei. Der Arbeitnehmer begründete seine Arbeitsunfähigkeit damit, dass er seit eines Sturzes im Jahr 2022 gesundheitliche Einschränkungen habe und seither einzelne der vertraglich geschuldeten Tätigkeiten nicht mehr verrichten könne (wofür er von der Arbeitgeberin bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses personelle Unterstützung zur Verfügung gestellt bekommen hatte). Der OGH stellte klar, dass der Arbeitnehmer jedenfalls dann arbeitsfähig ist, wenn er seine bisher ausgeübte (und vom Arbeitsvertrag gedeckte) Tätigkeit weiterhin verrichten kann, ohne seine Gesundheit zu gefährden. Der Kläger verrichtete die ihm zugewiesenen Arbeiten bis zur einvernehmlichen Auflösung unverändert mit der Maßgabe, dass ihm für schwere Arbeiten eine Unterstützung gewährt wurde. Es lag daher keine Arbeitsunfähigkeit vor, weshalb der Entgeltfortzahlungsanspruch in Ermangelung einer Arbeitsverhinderung verneint wurde.
Für die betriebliche Praxis ist Vorsicht für Fälle geboten, in denen Arbeitnehmer*innen, die allenfalls gesundheitliche Probleme haben, ihr Arbeitsverhältnis kündigen möchten, jedoch die Arbeitgeber*in um eine einvernehmliche Auflösung bittet. Sollten Arbeitnehmer*innen zum Zeitpunkt des Abschlusses der einvernehmlichen Auflösung wegen Krankheit arbeitsunfähig sein bzw. gelingt der Arbeitgeber*in nicht der Nachweis, dass eine Arbeitnehmer*in trotz (nachträglicher) Krankschreibung für den Abschlusstag arbeitsfähig war, müssen Arbeitgeber*innen Entgeltfortzahlung auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus leisten. Dies wäre im Fall einer Arbeitnehmerkündigung nicht der Fall.
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