Kollektivvertragliche Grenzen betreffend Dienstreisen und Dienstortvereinbarungen
In der Praxis wählen Arbeitgeber*innen oftmals einen weiten Radius bei der Festlegung des Dienstortes, um das Vorliegen einer Dienstreise und einen damit zusammenhängenden Anspruch auf Taggeld zu vermeiden. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in einer aktuellen Entscheidung (OGH 15.02.2024, 8ObA86/23i) jedoch aufgezeigt, dass diesem Vorgehen durch den anwendbaren Kollektivvertrag Grenzen gesetzt sein können.
In der gegenständlichen Entscheidung war der Kläger als Monteur für die Beklagte tätig. Auf diesen fand der Kollektivvertrag für Handelsarbeiter*innen Anwendung. Dieser sieht vor, dass eine Dienstreise dann vorliegt, wenn der*die Arbeitnehmer*in zur Ausführung eines ihm*ihr erteilten Auftrages die Arbeitsstätte des*der Arbeitgebers*in verlässt. Sie beginnt entweder mit dem Verlassen der Arbeitsstätte oder in allen anderen Fällen mit dem Verlassen der Wohnung.
Die beklagte Arbeitgeberin versuchte, die Wesentlichkeit des (abweichenden) Dienstortes im gegenständlichen Fall aufzuzeigen. Der Arbeitnehmer sei an wechselnden Arbeitsorten tätig gewesen und die Erbringung seiner Arbeitsleistung habe sich auf einen mit dem Betriebsstandort der Beklagten nicht zusammenfallenden örtlichen Bereich erstreckt.
Der Gerichtshof betonte das eindeutige Abstellen des gegenständlichen Kollektivvertrages auf die Arbeitsstätte – laut OGH die eigentliche Betriebsstätte – der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers und das fehlende Abstellen auf den Dienstort iSd § 905 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB). Dieser sei daher für den Anlassfall ohne Belang.
Zuletzt hob das Gericht die Richtigkeit der Bejahung eines Taggeldanspruches, welcher eine pauschale Abgeltung des durch die Dienstreise verursachten Mehraufwands darstellt, aus teleologischer Hinsicht hervor, verbrachte der Arbeitnehmer doch seine Arbeitstage in einem stets anderen Umfeld.
Der OGH zeigte mit dieser Entscheidung die Wichtigkeit der Beachtung der Grenzen des individuell anwendbaren Kollektivvertrages auf. Selbst bei Festlegung eines (weiten) Dienstortes, z.B. des Gemeindegebietes von Wien, kann die Anwendung der Regeln des maßgeblichen Kollektivvertrages dazu führen, dass unabhängig vom vereinbarten Dienstort dennoch eine Dienstreise vorliegt und Taggeld zu zahlen ist. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Dienstreise können zudem zwischen den verschiedenen Kollektivverträgen (auch innerhalb derselben Branche) variieren. So stellt beispielsweise der Kollektivvertrag für Handelsangestellte auf den Dienstort ab, welcher entweder das Gemeindegebiet von Wien oder außerhalb von Wien ein Tätigkeitsgebiet im Umkreis von 12 Straßenkilometern von der Betriebsstätte umfasst, während der Kollektivvertrag der Handelsarbeiter*innen – wie erörtert – auf die Arbeitsstätte des Arbeitgebers abstellt.
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