Restrukturierungsordnung in Kraft
Am 26. Juli 2021 wurde das Restrukturierungs- und Insolvenz-Richtlinie-Umsetzungsgesetz im Bundesgesetzblatt BGBl I Nr. 147/2021 ausgegeben. Damit ist auch die neue Restrukturierungsordnung (ReO) mit Wirkung zum 17. Juli 2021 in Kraft getreten.
Dem vorausgegangen war ein umfassender Begutachtungsprozess mit rund 50 teils sehr kritischen Stellungnahmen. Im Zuge der Begutachtung wurde (auch in einer von uns eingebrachten Stellungnahme) die Gesetzesinitiative an sich begrüßt, jedoch sowohl konzeptionell als auch im Detail vielfach Kritik geäußert. Der Gesetzgeber hat die vorgetragenen Verbesserungsvorschläge teilweise übernommen. In der Grundstruktur und den Kernpunkten entspricht die ReO aber weitgehend dem im Februar veröffentlichten Ministerialentwurf (siehe dazu unseren Newsletter).
Vereinfachtes Restrukturierungsverfahren als neues Erfolgsmodell?
Der Gesetzgeber hat die europäischen Vorgaben der RL (EU) 2019/1023 weitgehend zurückhaltend umgesetzt. Andererseits wird aber mit einem vereinfachten, auf Finanzgläubiger beschränkten Verfahren durchaus mutig Neuland beschritten. Dieses ohne Gerichtstagsatzung auskommende „Schnellverfahren“ könnte ein echtes Erfolgsmodell werden. Schon die Existenz eines solchen Verfahrens könnte die Verhandlungsdynamik ändern.
Die Gläubiger stimmen in diesem Verfahren nicht in einer Gerichtstagsatzung über einen vorliegenden Restrukturierungsplan ab, sondern Schuldner können eine bereits vorab von einer zumindest 75%igen Mehrheit per (Finanz-)Gläubigerklasse unterfertigte Restrukturierungsvereinbarung vorlegen. Diese Vereinbarung kann vom Gericht nach Einvernahme der betroffenen Gläubiger rasch und ohne Tagsatzung bestätigt werden.
Das Verfahren kann ohne Veröffentlichung erfolgen, wird gänzlich in Eigenverwaltung geführt und die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten ist nicht vorgesehen. Die „Qualität“ des Restrukturierungsvorhabens wird stattdessen durch die verpflichtende Vorlage eines Sachverständigengutachtens sichergestellt, das zur Klassenbildung, zum Kriterium des Gläubigerinteresses, sowie zur Abwendung der Insolvenz und Gewährleistung der Bestandsfähigkeit des Unternehmens Stellung nehmen muss.
Im Ministerialentwurf war noch nicht klar, ob auch in diesem Verfahren ein klassenübergreifender Cram-down zur Verfügung steht (siehe auch die Kritik in unserer Stellungnahme). Auch der finale Gesetzestext spricht eher dagegen, jedoch liefert die Gesamtsystematik der ReO auch Argumente für eine Anwendbarkeit des klassenübergreifenden Cram-down auch im vereinfachten Restrukturierungsverfahren. Welche Ansicht sich durchsetzt, bleibt abzuwarten.
Der Gläubigerschutz ist dadurch gewährleistet, dass ablehnende Gläubiger Verstöße gegen das Kriterium des Gläubigerinteresses (wenn sie durch den Restrukturierungsplan schlechter gestellt werden als bei einem Insolvenzverfahren nach der Insolvenzordnung) und/oder (aber nur im Falle einer Anwendbarkeit des klassenübergreifenden Cram-down) gegen die Regel des relativen Vorrangs (siehe bereits unseren letzten Newsletter) per Rekurs beanstanden können.
Ein weiterer (unter anderem auch in unserer Stellungnahme) zum Ministerialentwurf geäußerter Kritikpunkt wurde leider nicht aufgegriffen: Im vereinfachten Verfahren steht Schuldnern ausdrücklich keine Vollstreckungssperre zur Verfügung. So können sog. Akkordstörer mit Exekutionen auch weiterhin konsensuale Verhandlungen gefährden. Weil zudem die Erleichterungen der ReO betreffend Geschäftsleiterhaftung (und Insolvenzantragspflicht) an die Vollstreckungssperre anknüpfen, greifen sie beim vereinfachten Verfahren nicht.
Unklar ist, ob das vereinfachte Verfahren, wenn vom Schuldner gewollt, in der Ediktsdatei veröffentlicht werden kann, was eine Anerkennung innerhalb der EU erleichtern würde. Die ReO sieht diese Möglichkeit für das reguläre Verfahren vor, für das vereinfachte Verfahren ist das Gesetz leider undeutlich. Für grenzüberschreitend tätige Unternehmen mit ausländischen Gläubigern ist eine solche Anerkennung aber sehr wesentlich.
Anteilsinhaber als neue Akkordstörer?
Trotz breit vorgetragener Kritik im Zuge des Gesetzwerdungsverfahrens können nach der ReO Anteilsinhaber nicht gegen ihren Willen in einen Restrukturierungsplan einbezogen werden. Auch weiterhin kann somit ein debt-to-equity-swap nicht gegen die Anteilsinhaber durchgesetzt werden.
Selbst „aus dem Geld befindlichen" Anteilsinhabern kommen daher potenziell Blockademöglichkeiten zu, auch wenn das Gesetz ein Obstruktionsverbot vorsieht. Wenn die Anteilsinhaber aus welchen Gründen immer nicht „mitmachen“, müssen aussichtsreiche und im Interesse des Unternehmens und der Gläubiger liegende Restrukturierungen auch weiterhin (soweit rechtlich möglich) an den Anteilsinhabern „vorbeistrukturiert" werden. Damit wurde aus unserer Sicht eine Chance vergeben, die für Restrukturierungen relevanten insolvenz- und gesellschaftsrechtlichen Instrumentarien (endlich) näher zusammenzuführen.
Anfechtungsschutz für Finanzierungen ausgehöhlt?
Ein Baustein erfolgreicher Restrukturierungen ist die Bereitschaft von Vertragspartnern und insbesondere Geldgebern, (weiter) mit dem betroffenen Unternehmen zu kontrahieren und Geschäftsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Das Risiko einer Anfechtung in einer möglichen späteren Insolvenz gefährdet dies. Die RL (EU) 2019/1023 verlangt daher anfechtungsrechtliche Erleichterungen für im Zusammenhang mit einer Restrukturierung erfolgte Zwischen- oder Neufinanzierungen und auch sonstige Transaktionen (wie etwa Lieferantenzahlungen).
Der Ministerialentwurf zur ReO sah eine bereits relativ eingeschränkte anfechtungsrechtliche Privilegierung vor, wonach zumindest eine Anfechtung eines Rechtsgeschäfts wegen mittelbarer Nachteiligkeit wegen Überschuldung nicht mehr möglich sein sollte (alle weiteren Anfechtungstatbestände der Insolvenzordnung blieben unberührt). In der nunmehr in Kraft getretenen Fassung der ReO wurde dies noch einmal eingeschränkt: Anfechtungsschutz besteht nur mehr dann, wenn dem Anfechtungsgegner „die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht bekannt war“. Was wie eine sprachliche Anpassung klingen mag, könnte tatsächlich zu einer Aushöhlung des Anfechtungsschutzes führen. Wie generell in der Insolvenzordnung (siehe § 67 Abs 2) wird der Begriff der Zahlungsunfähigkeit auch im Anfechtungsrecht mit dem Begriff der Überschuldung gleichgesetzt. Nachdem die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens die wahrscheinliche Insolvenz und die Vorlage einer (bedingten) Fortbestehensprognose bedarf (siehe dazu bereits in unserem letzten Newsletter), wäre die Kenntnis von einer möglichen Überschuldung in den allermeisten Fällen wohl offensichtlich. Andererseits werden die Anfechtungsfristen der Insolvenzordnung durch ein Restrukturierungsverfahren nicht gehemmt (wie dies im Ministerialentwurf noch vorgesehen war).
Dass dieses Ergebnis so gewollt war, kann dem Gesetzgeber aber aus unserer Sicht nicht unterstellt werden. Vielmehr ist Zahlungsunfähigkeit hier einschränkend auszulegen und umfasst nicht auch die Überschuldung. Alles andere wäre nicht nur sanierungsfeindlich, sondern würde uE auch den Vorgaben der RL (EU) 2019/1023 widersprechen.
Gesetzgeber hält weiter am URG fest
Der Gesetzgeber hält weiterhin an dem in der Praxis selten bis gar nicht genutzten Reorganisationsverfahren nach dem URG fest. In Zukunft stehen einem um Sanierung bemühten Schuldner somit womöglich sogar gleichzeitig (etwa bei drohender Zahlungsunfähigkeit) ein reguläres Restrukturierungsverfahren (nach der ReO), ein vereinfachtes Restrukturierungsverfahren (nach der ReO), ein Reorganisationsverfahren (nach dem URG) sowie ein Sanierungsverfahren mit oder ohne Eigenverwaltung (nach der IO) zur Verfügung. Flexibilität und ein breites Instrumentarium sind zwar grundsätzlich zu begrüßen. Dass in Zukunft das Verfahren nach dem URG mehr genutzt wird, ist aber nicht wahrscheinlich. Es wäre besser gewesen, das URG aufzuheben.
Fazit
Die ReO bietet ein gemischtes Bild. Mutigen Neuerungen wie dem vereinfachten Verfahren stehen Schwachpunkte wie etwa das Fehlen eines debt-to-equity-swaps gegenüber.
Das Gesetz kann die außergerichtliche Restrukturierungspraxis unterstützen, das vereinfachte Verfahren hat Potenzial. Wie weit sich die ReO am breiten Markt durchsetzen und insbesondere für kleinere Unternehmen relevant werden wird, muss sich erst zeigen. Nun liegt es an der Praxis, die neuen Instrumente zu nutzen und die ReO zum Leben zu erwecken. Angesichts der vielen unbestimmten Begriffe und neuen Konzepte wird dies eine spannende Aufgabe.
Insgesamt erwarten wir (vorerst) keine großen Veränderungen am heimischen Markt. Nachdem die EU bereits an weiteren insolvenzrechtlichen Harmonisierungsinitiativen arbeitet, könnten aber schon bald weitere Reformen folgen.
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