Follow-up: Das Doppelbestrafungsverbot „ne bis in idem“ im Wettbewerbsrecht – Zuckerkartell Part II
Im März 2022 erließ der Gerichtshof der Europäischen Union („EuGH“) sein Urteil in Sachen Zuckerkartell als Antwort auf das vom Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht („KOG“) als Kartellobergericht angeregte Vorabentscheidungsverfahren. Darin setzte sich der Gerichtshof mit Fragen zur Anwendbarkeit des Doppelbestrafungsverbotes auseinander.1 Jene Erkenntnisse verwertete nunmehr wiederum das KOG. Wie von der Bundeswettbewerbsbehörde („BWB“) vorgebracht entschied dieser unter anderem, dass das Doppelbestrafungsverbot im vorliegenden Fall aufgrund mangelnder Identität der Taten nicht greift.
1. Ausgangslage – Rechtssache Nordzucker AG u.a. (C-151/20) vor dem Gerichtshof der Europäischen Union
Im Ausgangsverfahren hat der EuGH im Wesentlichen vier Vorlagefragen behandelt. Das daraus resultierende Urteil lässt sich wiederum auf vier wesentliche Aussagen herunterbrechen, welche die Fragen zum Grundsatz „ne bis in idem“ im Kartellrecht, aber auch im Allgemeinen klären:
- Eine Doppelbestrafung ist nicht zwangsläufig unzulässig.
- Sanktionen und Verfolgungsmaßnahmen können kumuliert werden.
- Eine Sanktionierung kann auch durch unterschiedliche nationale Wettbewerbsbehörden erfolgen.
- Auch in Verfahren mit Kronzeugenregelung ist „ne bis in idem“ anzuwenden.
Sämtliche genannten Punkte gelten jedoch nicht bedingungslos. Die jeweiligen Voraussetzungen dazu wurden in Part I im Detail behandelt.
An das KOG erging der Auftrag, die rechtskräftige Entscheidung des deutschen Bundeskartellamtes („BKartA“) zum Zuckerkartell in seine eigene Würdigung aufzunehmen. Insbesondere hatte er zu prüfen, ob sich die Entscheidung des BKartA bei der Beurteilung des wettbewerbswidrigen Zwecks sowie der wettbewerbswidrigen Wirkung nicht nur auf den deutschen, sondern auch auf den österreichischen Markt erstreckte. Der EuGH hielt dies auch bezüglich der Frage für relevant, auf welcher Grundlage die Geldbuße berechnet wurde. Das KOG musste folglich ermitteln, ob das BKartA für die Berechnung der Geldbuße nur die in Deutschland erzielten Umsätze herangezogen hatte.
2. Finale? – Feststellungen des OGH als KOG (16 Ok 2/22p)
Hinsichtlich der jeweiligen Bußgeldbescheide des BKartA hat das KOG nun festgestellt, dass in diesen keine Bewertung der einzelnen Sachverhaltselemente hinsichtlich ihrer wettbewerbswidrigen Natur und deren Einfluss auf die Verhängung des Bußgeldes vorgenommen wurde. Es kann diesen insbesondere auch nicht entnommen werden, welche konkrete Bedeutung dem wesentlichen Tatbestandselement für den Österreichkonnex, nämlich einem Telefonat zwischen den Vertretern eines deutschen und eines österreichischen Unternehmens – beigemessen wurde. Die Höhe der Geldbuße wurde nur mit einem pauschalen Verweis auf das dem BKartA zustehende Ermessen begründet. Auf einen bestimmten Umsatz auf einem bestimmten (hier deutschen oder österreichischen) Markt wurde dabei ebenfalls nicht Bezug genommen. Gleiches gilt für die jeweiligen Anhörungsschreiben2 des BKartA, die gemeinsam mit den Bußgeldbescheiden den Gegenstand der Bußgeldverfahren bildeten.
Vor diesem Hintergrund war für das KOG ersichtlich, dass die vom BKartA geführten Bußgeldverfahren ausschließlich darauf abzielten, wettbewerbswidriges Verhalten zu ahnden, welches sich auf den deutschen Markt erstreckte bzw sich dort auswirkte. Das BKartA nahm nur randweise auf das den österreichischen Markt betreffende Telefonat Bezug, um die Absprache auf dem deutschen Markt zu untermauern, zumal darin der wettbewerbliche Friede auf dem deutschen Markt in Frage gestellt wurde. Konkret wurde angedroht, das bisher von beiden Seiten eingehaltene Heimatmarktprinzip fortan zu ignorieren und in die angestammten Kernmärkte des anderen Unternehmens vorzudringen.
Dass der wettbewerbswidrige Zweck oder die wettbewerbswidrige Wirkung dieses Telefonats hinsichtlich des österreichischen Hoheitsgebiets für die Verhängung der Geldbuße oder die Festlegung deren Höhe maßgeblich gewesen wäre, ließen laut Ansicht des KOG weder die beiden Bußgeldbescheide noch das Anhörungsschreiben erkennen. Die daraus resultierende Beschränkung (auch) des Wettbewerbs auf dem österreichischen Markt fand im deutschen Wettbewerbsverfahren eben keine Berücksichtigung.
Für diese Ansicht sprach auch eine Stellungnahme des Präsidenten des BKartA, wonach die beiden deutschen Bußgeldbescheide „allein Deutschland“ betroffen hätten und – entsprechend den Bußgeldleitlinien der Behörde – nur auf die Inlandsumsätze abgestellt worden sei. Sanktioniert wurden also bloß die Auswirkungen des Kartells auf den deutschen Markt. Bei dieser Stellungnahme handelt es sich zwar nur um eine (nicht bindende) nachträgliche Interpretation der Bußgeldbescheide. Trotzdem konnte sich das KOG im Rahmen seiner „Würdigung aller relevanten Umstände“ darauf stützen.
Im Endergebnis kam der OGH als KOG also zu dem Entschluss, dass das Doppelbestrafungsverbot im vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommt.
3. Was bedeutet das für das Ausgangsverfahren vor dem Kartellgericht?
Die Entscheidung des Kartellgerichts, den Antrag auf Feststellung einer kartellrechtswidrigen Absprache sowie auf Verhängung eines Bußgeldes abzuweisen, erging nach Ansicht des KOG zu Unrecht und ist entsprechend abzuändern.
Da sich das Kartellgericht im erstinstanzlichen Verfahren aber nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob und in welchem Ausmaß eine Geldbuße zu verhängen ist, wurden auch keine ausreichenden Feststellungen zu den für die Bemessung der Geldbuße maßgeblichen Kriterien getroffen. Der erstinstanzliche Beschluss wurde somit vom KOG zur Verfahrensergänzung vor dem Kartellgericht (teilweise) aufgehoben. Dieser betonte dabei unter anderem, dass nur mit einer angemessen hohen Geldbuße eine abschreckende Wirkung erzielt werden kann. Zudem seien auch in Österreich zur wirksamen Bekämpfung von Kartellverstößen Geldbußen in einer Größenordnung zu verhängen, wie sie auf Unionsebene und in zahlreichen Mitgliedstaaten bereits seit langem üblich sind.
Im konkreten Fall wird das Kartellgericht insbesondere zu beurteilen haben, ob und in welchem Zeitraum sich die wettbewerbswidrige Abrede auswirkte, welcher Markt davon betroffen war und in welchem Umfang allenfalls konkrete Lieferungen nach Österreich unterblieben.
Das Zuckerkartell hat also auch nach dem vierten Halt bei Gericht sein Finale noch nicht erlebt. Mit Spannung wird nun der Ausgang des Verfahrens vor dem Kartellgericht erwartet.
1 Part I ist abrufbar unter https://www.bindergroesswang.at/law-blog/2022/der-eugh-zum-doppelbestrafungsverbot-ne-bis-in-idem-im-wettbewerbsrecht.
2 Das Anhörungsschreiben bildet zunächst einen Zwischenschritt im Verfahren, der dem Unternehmen die Möglichkeit einräumt, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und weitere Rechtfertigungsgründe oder Lösungsvorschläge vorzutragen.
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