Wirksam, verhältnismäßig, abschreckend? – Zur Sanktionspraxis nach der UTP-Richtlinie
Die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken (UTP-RL) soll faire Wettbewerbsbedingungen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette gewährleisten. Mangels Harmonisierung besteht bisher aber eine heterogene Sanktionspraxis: Während etwa Österreich eine weitreichende Bußgeldanwendung anstrebt, verfolgt Deutschland einen zurückhaltenden Vollzugsansatz. Das derzeit beim EuGH anhängige Verfahren C-311/24 könnte wesentliche Leitlinien für die künftige Praxis liefern.
1 ) Hintergrund und Zielsetzung der UTP-RL
Mit der Richtlinie (EU) 2019/633 („UTP-RL“) wurde ein unionsweiter Rechtsrahmen geschaffen, der angeblichen Missbrauch von Nachfragemacht gegenüber kleineren Lieferanten verhindern soll. In Österreich wurde die UTP-RL im zweiten Abschnitt des Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetzes („FWBG“) umgesetzt, in Deutschland im Agrarorganisationen- und Lieferketten-Gesetz („AgrarOLkG“).
Die Richtlinie bedient sich dabei eines formalen Systems fester Umsatzschwellen, anhand derer normativ festgelegt wird, wann ein Abnehmer als „marktmächtig“ und ein Lieferant als schutzwürdig gilt. Werden diese Umsatzschwellen erreicht, gilt ein verbindlicher Katalog verbotener Handelspraktiken. Das Konzept der UTP-RL unterscheidet sich damit deutlich vom klassischen Kartellrecht, welches im Bereich des Missbrauchsverbots zwar einen großen Teil der Tatbestände der UTP-RL erfasst, aber den Nachweis von tatsächlicher Marktmacht verlangt und iwF auch den Missbrauch dieser.
Aufgrund der tatbestandlichen Nähe zum Missbrauchsverbot stellt sich hier daher auch die Frage, inwieweit das Sanktionsregime der UTP-RL dem kartellrechtlichen folgen sollte. Gem Art 6 Abs. 1 UTP-RL müssen Verstöße wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sanktioniert werden, die genaue Ausgestaltung bleibt den Mitgliedstaaten offen.
2 ) Österreich: Sanktionsrahmen und aktuelle Diskussion
In Österreich ist die Bundeswettbewerbsbehörde („BWB“) als Durchsetzungsbehörde für die FWBG-Bestimmungen tätig. Das Kartellgericht kann auf Antrag der BWB gemäß § 6 Abs 2 FWBG eine Geldbuße bis zu EUR 500.000 verhängen. Die Bußgeldbemessung richtet sich dabei nach den Grundsätzen des KartG (§ 33 KartG 2005). Bereits im Gesetzgebungsverfahren kritisierte die BWB die fixe Bußgeldobergrenze als zu niedrig. Die BWB hatte sich, aufgrund der Nähe zum kartellrechtlichen Missbrauchsverbot, ebenso für eine umsatzabhängige Bemessung der Geldbuße ausgesprochen. Der Gesetzgeber folgte diesem Ansatz nicht.
In ihrer Vollzugspraxis legt die BWB die Sanktionsmöglichkeit nach § 6 Abs 2 FWBG jedoch weit aus: Wird eine unlautere Handelspraktik mehrmals oder gegenüber mehreren Lieferanten gesetzt, wertet sie jede Handlung als separaten Verstoß. Nach dieser Interpretation könnte die Summe der Einzelsanktionen die nominelle Höchstgrenze übersteigen. Etwa würde demnach eine problematische AGB-Klausel, die mehrmals in unterschiedlichen Transaktionen, gegenüber unterschiedlichen Lieferanten angewendet wird, zu einer Vielzahl an Verstößen führen, deren kumulierte Geldbußen die gesetzliche Höchstgrenze weit übersteigen könnte.
Diese Interpretation ist Gegenstand eines beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens (Rs C-311/24). Anlass war ein Fall, in dem ein Lebensmitteleinzelhändler mehrere seiner Lieferanten um eine freiwillige Zahlung bat, um Umstrukturierungsmaßnahmen zu finanzieren.* Die BWB sah darin eine Vielzahl von eigenständigen Verstößen und begründet dies mit der spezifischen Ausgestaltung des Sanktionsregimes des FWBG. Demgegenüber sieht aber das österreichische Sanktionenrecht hier eine Tateinheit, wonach nur einmal die Höchststrafe verhängt werden könnte. Das Kartellgericht ersuchte den EuGH um Klärung, inwieweit das Unionsrecht (die UTP-RL) entgegen der normalerweise geltenden österreichischen Praxis in solchen Fällen eine Mehrfachsanktionierung erforderlich ist.
In seinen im September 2025 veröffentlichten Schlussanträgen betonte Generalanwalt Rantos, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich bei der Sanktionsausgestaltung über einen weiten Spielraum verfügen. Eine nationale Regelung, die mehrere Verstöße als eine Tat wertet, sei zulässig, sofern die Sanktion insgesamt wirksam, verhältnismäßig und abschreckend bleibe. Auch eine absolute Bußgeldobergrenze könne bestehen bleiben, dürfe jedoch nicht so restriktiv angewendet werden, dass die Abschreckungswirkung entfalle.
Mit einer endgültigen EuGH-Entscheidung ist 2026 zu rechnen. Sie dürfte maßgebliche Leitlinien für die künftige Sanktionspraxis der BWB vorgeben und auch den Ausgang weiterer anhängiger Verfahren beeinflussen. Etwa hat die BWB auch 20 eigenständige Geldbußenanträge gegen eine große Drogeriekette erhoben, die bei einer mehrfachen Anwendung der Höchstgrenze des § 6 Abs 2 FWBG zu einer kumulierten Geldbuße von bis zu EUR 10 Mio. führen könnten.
3 ) Vollzugspraxis in Deutschland
In Deutschland ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung („BLE“) für die Durchsetzung der Umsetzungsbestimmungen (AgrarOLkG) der UTP-RL zuständig. Das BLE kann hierbei, anders als die BWB, eigenständig Untersagungsverfügungen erlassen und Bußgelder (bis zu EUR 750.000) verhängen.
Bei den bis heute veröffentlichten Untersagungsentscheidungen der BLE zeigt sich ein vom österreichischen gänzlich unterschiedliches Sanktionsregime. Die BLE hat bis dato von der Verhängung von Bußgeldern abgesehen. Stattdessen setzt die BLE auf die Veröffentlichung der Untersagungsentscheidung. Die Behörde geht davon aus, dass bereits die Bekanntmachung einer Zuwiderhandlung eine ausreichende präventive Wirkung entfaltet.
Das OLG Düsseldorf scheint selbst diese Veröffentlichung der Untersagungsentscheidungen in Teilen als überschießend anzusehen. So sah das OLG Düsseldorf (Urteil vom 09.07.2025 – Kart 4/24 [V]) die förmliche Feststellung eines (offensichtlichen und bereits beendeten) Verstoßes als nicht verhältnismäßig und daher ermessensfehlerhaft. Konkret berücksichtigte das Gericht, dass (i) es sich bei den Regeln des AgrarOLkG um ein neues Gesetz handele, und (ii) das belangte Unternehmen sogar eine Rechtsanwältin beauftragt hatte, um die Verträge zu prüfen, diese aber die problematische Klausel schlicht übersehen hatte. Zudem (iii) sei auch das Interesse der Lieferanten an einer Feststellung (und Veröffentlichung) als gering einzuschätzen, da die Klausel unstreitig unzulässig wäre, und zivilrechtliche Schadenersatzansprüche dahingehend nicht von einer förmlichen Feststellung dieser Tatsache abhingen. Damit stände das Interesse der Lieferanten und der Aspekt der Generalprävention in keinem angemessenen Verhältnis zu der Beeinträchtigung des belangten Unternehmens, nämlich der Prangerwirkung einer förmlichen Feststellung des Verstoßes und der Veröffentlichung der Entscheidung.
Es bleibt abzuwarten, ob diese (zurückhaltenden) Sanktionsmaßstäbe auch auf die österreichische Rsp überschwappen oder stattdessen weiterhin Geldbußen als Mittel der Wahl angesehen werden.
4 ) Offene Fragen und Ausblick
Damit widmet sich die deutsche Praxis im Grunde der Frage, ob ein Verstoß überhaupt entscheidungsmäßig festgestellt werden dürfe, während konträr in Österreich diskutiert wird, wie oft die Geldbußenobergrenze von EUR 500.000 auf einen Komplex von Verstößen angewendet werden dürfe.
Die Verhängung von Geldbußen auf Basis der Umsetzungsbestimmungen der UTP-RL ist europaweit insgesamt sehr heterogen. Im Jahr 2023 wurden europaweit Geldbußen basierend auf der UTP-RL in Höhe von ca. EUR 22 Mio verhängt, wobei EUR 20 Mio auf eine einzige Entscheidung aus Polen entfallen. Angesichts der derzeitigen europäischen legislativen Anstrengungen (RL 2024/0318 (COD)) zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Ermittlung von Verstößen und Durchsetzung der UTP-RL ist wohl auch eine gewisse Harmonisierung der Sanktionsregime wünschenswert.
Für Österreich bleiben vorerst viele Fragen offen. Die Entscheidung des EuGH kann jedoch dringend benötigte Antworten liefern, um eine kohärente und zielgerichtete Anwendung des FWBG sicherzustellen. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH einerseits diese Klarheit schafft und andererseits auch klare Worte dafür findet, dass besonders hohe Geldbußen nur dort ihren Platz haben, wo schwerwiegendere Tatbestände des Konditionen- bzw Ausbeutungsmissbrauchs gem Art 102 AEUV/ § 5 KartG vorliegen und sie hingegen bei UTP-Verstößen nicht ausufern.
Wir werden diese Entwicklung verfolgen und versuchen, das Unsrige dazu beizutragen, dass es zu maßvollen und ausbalancierten Lösungen für diesen wichtigen Bereich der Lebensmittelversorgung kommt.
* Binder Grösswang vertritt in der Causa das belangte Unternehmen.
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