Erheblichkeitsschwelle bei DSGVO-Schadensersatzansprüchen?
In einem vor kurzem bekannt gewordenen Beschluss hat das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe, die Frage nach einer Erheblichkeitsschwelle für DSGVO-Schadenersatzansprüche dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vorgelegt (Beschluss vom 14. Januar 2021, 1 BvR 2853/19). Im Hinblick auf den in Art. 82 DSGVO geregelten Schadenersatzanspruch seien nach wie vor viele Fragen offen, insbesondere, ob eine erlittene Beeinträchtigung eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten muss.
Ausgangspunkt des Verfahrens war, dass der Beschwerdeführer am 7. Dezember 2018 eine Werbe-E-Mail an seine berufliche E-Mail-Adresse erhielt. Daraufhin klagte er den Absender vor dem Amtsgericht Goslar u.a. auf Unterlassung und (immateriellen) Schadenersatz. Während dem Unterlassungsanspruch stattgegeben wurde, wurde der Schadenersatzanspruch abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass kein Schaden ersichtlich sei. Es habe sich lediglich um eine einzige Werbe-Email gehandelt, die nicht zur Unzeit versandt worden sei, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes deutlich gezeigt habe, dass es sich um Werbung handele, und die ein längeres Befassen mit ihr nicht notwendig gemacht habe. Nach Zurückweisung einer Anhörungsrüge rügt der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach dem deutschen Grundgesetz.
Das BVerfG gab der Beschwerde statt, weil das Amtsgericht zu Unrecht davon abgesehen habe, dem EuGH die Frage der Erheblichkeitsschwelle für DSGVO-Schadenersatzansprüche zur Vorabentscheidung vorzulegen. Liegt nämlich zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch nicht vor oder hat er die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), so wird das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat.
Der zu beurteilende Sachverhalt warf die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen Art. 82 DSGVO einen Geldentschädigungsanspruch gewährt und wie der Erwägungsgrund 146 Satz 3 DSGVO zu verstehen ist, der eine weite Auslegung des Schadensbegriffs vorsieht. Dieser Anspruch ist in der Rechtsprechung des EuGHs weder erschöpfend geklärt noch kann er unmittelbar aus der DSGVO bestimmt werden. Auch in der vorliegenden Literatur, die sich im Hinblick auf Erwägungsgrund 146 für ein weites Verständnis des Schadensbegriffes ausspricht, sind die Details und der genaue Umfang des Anspruchs noch unklar (vgl. Gola/Piltz, in: Gola, DSGVO, 2. Aufl., 2018, Art. 82 Rn. 12 f.; Quaas, in: BeckOK Datenschutzrecht, 34. Ed., 11/2020, Art. 82 Rn. 23 f.; Bergt, in: Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 3. Aufl., 2020, Art. 82 Rn. 17 f.; Frenzel, in: Paal/Pauly, DSGVO BDSG, 2. Aufl., 2018, Art. 82 Rn. 10).
Vor nicht allzu langer Zeit hat das OLG Innsbruck festgehalten (Urteil vom 13.02.2020 - Az.: 1 R 182/19 b), dass ein Datenschutzverstoß in die Gefühlssphäre des Geschädigten eingreifen muss, damit überhaupt von einem wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO entstandenen immateriellen Schaden gesprochen werden kann. Selbst wenn keine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechtes für den Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens gefordert wird, muss dennoch ein objektiviertes Verständnis der persönlichen Beeinträchtigung maßgeblich sein. Eine Rechtsverletzung per se stellt jedenfalls keinen immateriellen Schaden dar, sondern es muss eine Konsequenz oder Folge der Rechtsverletzung gegeben sein, die als immaterieller Schaden qualifiziert werden kann und die über den an sich durch die Rechtsverletzung hervorgerufenen Ärger bzw. Gefühlsschaden hinausgeht. Ob und inwieweit das der Fall ist, ist anhand einer im Datenschutz sensibilisierte Maßfigur zu beurteilen, die allerdings erst durch die Judikatur entwickelt werden muss. Ob durch eine einzige Werbe-E-Mail die Erheblichkeitsschwelle überschritten wird, ist zweifelhaft.
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