Introducing the Digital Markets Act (I)
Der am 1. November 2022 in Kraft getretene, als EU-Verordnung erlassene, Digital Markets Act („DMA“) hat zum Ziel, die Märkte im digitalen Sektor fairer und wettbewerbsfähiger zu gestalten und empfundenen Regelungslücken, die aufgrund der Dynamik und Schnelllebigkeit digitaler Geschäftsmodelle entstanden sind, entgegenzuwirken. Der DMA soll in Form einer zusätzlichen ex ante-Kontrolle das Kartellrecht flankieren, das potenzielle Wettbewerbsverstöße grundsätzlich einer ex post-Betrachtung unterzieht.
A. Normzweck
Der DMA soll, unbeschadet der weiterhin gegebenen Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts, unverfälschten Wettbewerb schützen.1 Gleichwohl unterscheidet er sich vom Wettbewerbsrecht. Er strebt ein „ein anderes rechtliches Interesse“2 an - gemeint sind hier Fairness und Bestreitbarkeit.
Die Bestimmungen des DMA sollen zu einem ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarktes in der digitalen Wirtschaft beitragen, indem sie zentrale Plattformdienste zu „Fairness“ gegenüber anderen (idR schwächeren) Marktteilnehmern verpflichten.3 Der DMA versteht „unfair“ als ein Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten gewerblicher Nutzer von zentralen Plattformdiensten, durch das Gatekeeper einen unverhältnismäßigen Vorteil erlangen.4 Alle Marktteilnehmer sollen frei von diskriminierenden oder einseitig unausgewogenen Bedingungen die Möglichkeit erhalten, die angemessen Erträge aus ihren innovativen oder sonstigen Bemühungen zu beziehen.
Neben dem Begriff der „Fairness“ ist „Bestreitbarkeit“ ein weiterer Leitbegriff im DMA. Bestreitbarkeit iSd Verordnung wird als die Fähigkeit von Unternehmen verstanden, Hindernisse für einen Markteintritt oder eine Expansion wirksam zu überwinden und Gatekeeper mit besseren Produkten oder Dienstleistungen herauszufordern.5 Damit bedient sich der DMA des Begriffes der Bestreitbarkeit aus der Mikroökonomie, der als Maß der Zugänglichkeit eines Marktes für einen potenziellen Konkurrenten dient, in der europäischen Wettbewerbsrechtsterminologie jedoch neu ist.
Netzwerk-, Größen- und Datenvorteile beschränken die Bestreitbarkeit der dominanten Marktposition von Gatekeepern. Dies verringert für Gatekeeper den Anreiz für Innovation sowie die Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen, was für Verbraucher Wohlfahrtsverluste mit sich bringt. Daher verbietet der DMA Gatekeepern Praktiken, die geeignet sind, Hindernisse für Markteintritte oder Expansionen ihrer (potentiellen) Mitbewerber zu vergrößern, weil dadurch Marktabschottung bewirkt werden könnte.
Ein geringes Maß an Bestreitbarkeit kann einem Gatekeeper ermöglichen, unfaire Praktiken anzuwenden. Umgekehrt können Gatekeeper unfaire Praktiken zur Verhinderung der Bestreitbarkeit einsetzen. Zwischen diesen beiden Begriffen besteht demnach eine Wechselwirkung.
B. Anwendungsbereich
1. Voraussetzungen
Der DMA ist ausschließlich auf sog „Gatekeeper“ anwendbar. Hierbei handelt es sich (a) um Unternehmen, die Betreiber zentraler Plattformdienste („BzPD“ bzw „zPD“) sind und (b) zusätzlich folgende drei, kumulativ zu erfüllende, qualitative Voraussetzungen nach Art 3 Abs 1 DMA (hierzu im folgenden Punkt Näheres) aufweisen:
- Der BzPD muss erhebliche Einfluss auf den Binnenmarkt haben;
- Der zPD muss gewerblichen Nutzern als wichtiges Zugangstor zu Endnutzern dienen;
- Der BzPD hat eine gefestigte und dauerhafte Position am Markt inne oder es ist absehbar, dass er eine solche Position in naher Zukunft erlangen wird.
Dass lediglich auf die „Gatekeeper-Eigenschaft“ abgestellt wird und es nicht auf die tatsächlichen, möglichen oder vermuteten Auswirkungen ankommt, dient insbesondere der Beschleunigung der Verfahren. Anders als im Kartellrecht können im DMA-Verfahren umfassende Untersuchungen komplexer Fakten zum Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung unterbleiben.
Was unter einem zPD zu verstehen ist, wird in Art 2 Z 2 DMA abschließend aufgezählt:
- Online-Vermittlungsdienste und -Suchmaschinen;
- Online-Dienste sozialer Netzwerke;
- Video-Sharing-Plattform-Dienste;
- Nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste;
- Betriebssysteme;
- Cloud-Computing-Dienste sowie Werbedienste einschließlich Werbenetzwerken;
- Werbebörsen und sonstiger Werbevermittlungsdienste, die von dem Betreiber eines der bisher genannten zentralen Plattformdienste betrieben werden.
Der Begriff „zentrale Plattformdienste“ ist technologieneutral zu verstehen,6 demnach unabhängig davon, auf welchem Gerät oder Medium dieser bereitgestellt wird.
2. Vermutungstatbestände
Aus der Überschreitung der Schwellenwerte des Art 3 Abs 2 DMA ergibt sich eine Vermutung der Eigenschaft als Gatekeeper.[7] Betreibern ist es zwar unter außergewöhnlichen Umständen möglich nachzuweisen, dass trotz Erfüllung der aufgestellten quantitativen Vermutungstatbestände die oben angeführten qualitativen Voraussetzungen des Art 2 Abs 1 DMA dennoch nicht erfüllt sind. Die Beweislast, dass trotz Überschreitung keine Gatekeeper-Eigenschaft vorliegt, liegt aber bei den Betreibern. Umgekehrt hat die EK hat jedoch die Kompetenz einen BzPD als Gatekeeper zu benennen, obgleich die Schwellenwerte nicht erreicht werden.[8]
Zu den einzelnen quantitativen Vermutungstatbeständen:
2.1 Erheblicher Einfluss auf den Binnenmarkt
Erheblicher Einfluss auf den Binnenmarkt wird gem Art 3 Abs 2 lit a DMA vermutet9, wenn
a. das Unternehmen dem der BzPD angehört, (i) in den vergangenen drei Geschäftsjahren im EWR einen Jahresumsatz von mind 7,5 Mrd EUR erzielt hat oder (alternativ) wenn (ii) die durchschnittliche Marktkapitalisierung oder sein entsprechender Marktwert im vergangenen Geschäftsjahr mind 75 Mrd EUR betrug und
b. dieser BzPD in mind drei Mitgliedstaaten denselben zPD bereitstellt.
Bei der Beurteilung der EK, ob trotz Schwellenüberschreitung die Anforderungen für die Benennung als Gatekeeper nicht erfüllt sind, werden nur jene Belege und Argumente der Betreiber berücksichtigt, die sich unmittelbar auf die quantitativen Kriterien beziehen. Die EK untersucht die Auswirkungen des Unternehmens auf den Binnenmarkt und geht über eine bloße Betrachtung der Umsätze und Marktkapitalisierung hinaus. Es werden auch die absolute Größe des Unternehmens, die Zahl der Mitgliedstaaten, in denen es tätig ist, die die Schwellenwerte übersteigenden Nutzerzahl, die Bedeutung des Unternehmens, der Gesamtumfang der Tätigkeit des zentralen Plattformdienstes sowie die Anzahl der Jahre, in denen die Schwellenwerte überschritten wurden, berücksichtigt. Demgegenüber wird im DMA explizit hervorgehoben, dass Effizienzgewinne keinen Rechtfertigungsgrund bilden, da diese für die Benennung als Gatekeeper irrelevant sind.10
2.2 Zugangstorsqualität
BzPD gelten als Gatekeeper, wenn der zPD ein wichtiges Zugangstor gewerblicher Nutzer zu Endnutzern darstellt. Dies ist der Fall, wenn eine sehr große Zahl gewerblicher Nutzer auf einen zPD angewiesen ist, um eine große Zahl von monatlich aktiven Endnutzern zu erreichen, wodurch der BzPD einen wesentlichen Teil der gewerblichen Nutzer zu seinem Vorteil beeinflussen kann.11
Von einem wichtigen Zugangstor kann nach der Vermutung des Art 3 Abs 2 lit b DMA ausgegangen werden, sofern im vergangenen Geschäftsjahr (i) mehr als 45 Millionen in der Union niedergelasse oder aufhältige monatlich aktiveEndnutzer und (ii) mehr als 10 000 in der Union niedergelassene jährlich aktivegewerbliche Nutzer von diesem Gebrauch gemacht haben. Der Begriff „monatlich aktive Endnutzer“ stellt auf die durchschnittliche Zahl der Endnutzer ab12, die während des überwiegenden Teils des vergangenen Geschäftsjahres monatlich aktiv waren.
2.3 Stabile Marktposition
Ein BzPD muss hinsichtlich seiner Tätigkeit eine gefestigte und dauerhafte Position innehaben oder es muss absehbar sein, dass eine solche in naher Zukunft erlangt wird.13
Eine stabile Marktposition wird gem Art 3 Abs 2 lit c DMA vermutet, wenn diese nur beschränkt durch andere Marktteilnehmer bestreitbar14 ist. Hierfür müssen die herangezogenen Schwellenwerte der Nutzer zur Beurteilung als Zugangstor über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren in mindestens drei Mitgliedstaaten erreicht worden sein.15
3. Ratio hinter Art 3 DMA
In den Erwägungsgründen findet sich eine Begründung für die Wahl ebendieser drei obgenannten Kriterien. Wenn ein Unternehmen über hohe Umsatzzahlen verfügt und die Schwellenwerte erreicht, sei davon auszugehen, dass dieses Unternehmen in der Lage ist, seine Nutzer zu monetarisieren. Bei hoher Marktkapitalisierung sei von verhältnismäßig hohem Potenzial auszugehen, diese Nutzer in naher Zukunft zu monetarisieren. Von diesem Monetarisierungspotenzial ließe sich auf die Zugangstorqualität schließen.16
Die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens würden eine Stärkung der Marktposition ermöglichen, wie auch Vorteile beim Erwerb anderer Unternehmen bieten, wobei sich hieraus negative Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit gezeigt hätten.
Im Zentrum der Erwägungen zum DMA standen auch die Einflussmöglichkeiten der Gatekeeper, wenn gewerbliche Nutzer auf einen zentralen Plattformdienst angewiesen sind, um eine große Zahl an Endnutzern zu erreichen.17
4. Feststellung der Gatekeeper-Eigenschaft
Die Prüfung, ob die Gatekeeper-Eigenschaft vorliegt, und damit der Anwendungsbereich des DMA eröffnet ist, erfolgt durch die EK im Rahmen eines im DMA beschriebenen Verfahrens. Als Indikatoren zieht die EK Aspekte wie extreme Größen- oder Verbundvorteile, sehr starke Netzwerkeffekte, Datenvorteile, die durch die Mehrseitigkeit dieser Dienste bedingte Fähigkeit, viele gewerbliche Nutzer mit vielen Endnutzern in Verbindung zu bringen, Bindungseffekte, fehlende Parallelverwendung mehrerer Dienste, eine konglomeratsartige Unternehmensstruktur oder eine vertikale Integration, heran. Zudem können eine sehr hohe Marktkapitalisierung, ein im Verhältnis zum Gewinn sehr hohes Eigenkapital oder ein sehr hoher durch Endnutzer eines einzigen zentralen Plattformdienstes erzielter Umsatz berücksichtigt werden.18
Die Prüfung der Gatekeeper-Eigenschaft erfolgt durch die EK im Rahmen einer beantragten oder amtswegigen Marktuntersuchung. Bei Vorliegen der Vermutungen gem Art 3 Abs 2 DMA erfolgt ein Benennungsbeschluss durch die EK binnen 45 Arbeitstagen.19 Hingegen ohne Erreichung der Schwellenwerte, aber bei Erfüllung der qualitativen Voraussetzungen nach Art 3 Abs 1 DMA benennt die EK nach dem Verfahren des Art 17 DMA, der eine Marktuntersuchung vorschreibt.
Wird ein BzPD als Gatekeeper designiert, hat dieser die aus dem DMA entspringenden Verpflichtungen gem Art 3 Abs 10 DMA innerhalb von sechs Monaten einzuhalten. Die EK prüft dabei regelmäßig (mindestens alle drei Jahre), ob die Gatekeeper-Eigenschaft weiterbesteht20, um dem raschen Wandel und der Komplexität zPD gerecht zu werden.21 Die EK hat eine Liste der Gatekeeper sowie der zPD zu veröffentlichen und diese laufend zu aktualisieren.
C. Resümee
Insgesamt lässt sich sagen, dass der DMA eine umfassende Reform der Regulierung des digitalen Marktes darstellt, die erhebliche Auswirkungen auf Gatekeeper als Adressaten, wie auch gewerbliche Nutzer und Endnutzer als geschützte Personenkreise haben wird.
Der DMA kann als Ergänzung zur komplexen und oft langwierigen ex post-Rechtsdurchsetzung im Kartellrechtsverfahren angesehen werden und besticht durch eine rasche und unkomplizierte Rechtsdurchsetzung. Die Notwendigkeit einer solchen Beschleunigung wettbewerbsrechtlicher Verfahren zeigt sich etwa am Verfahren gegen Google Shopping wegen des Vorwurfs einer unzulässigen Selbstbevorzugung. Dieser Prozess dauerte von 2010 bis 2017. Die Umsetzung und Handhabung durch die Behörden bleibt gespannt abzuwarten.
Im nächsten Teil unserer Blogreihe zum DMA werden wir uns mit den einzelnen verbotenen Verhaltensweisen sowie den verfahrensrechtlichen Aspekten beschäftigen.
1 obgleich nur „auf bestimmten Märkten“- siehe ErwG 11 DMA.
2 ErwG 11 DMA.
3 ErwG 7 DMA.
4 ErwG 33 DMA.
5 ErwG 32 DMA.
6 ErwG 14 DMA.
7 ErwG 23 DMA; zu den Schwellenwerten siehe unten.
8 Art 3 Abs 8 DMA: „Die Kommission benennt jedes Unternehmen, das zentrale Plattformdienste bereitstellt und sämtliche in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Anforderungen erfüllt, aber nicht jeden der in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Schwellenwerte erreicht, nach dem Verfahren des Artikels 17 als Torwächter.“
9 vgl „es wird davon ausgegangen“, Art 3 Abs 2 DMA.
10 ErwG 23 DMA.
11 ErwG 20 DMA.
12 Aus ErwG 20 DMA ergibt sich, dass bei der Festlegung des Schwellenwertes für Endnutzer auf einen erheblichen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung der Union abgestellt wurde, während man sich bei der Schwelle für die gewerblichen Nutzer nur an der Zahl der Unternehmen, die zentrale Plattformdienste nutzen, orientierte.
13 Art 3 Abs 1 lit c DMA.
14 Siehe hierzu oben.
15 ErwG 21 DMA.
16 ErwG 17 DMA.
17 ErwG 20 DMA.
18 ErwG 25 DMA.
19 Art 3 Abs 4 DMA.
20 Art 4 DMA.
21 ErwG 30 DMA.
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