Digital Markets Act – Regelungsgehalt und Rechtsdurchsetzung (II)
Am 6. September 2023 wird die Europäische Kommission in Umsetzung des Digital Markets Act (DMA) sog. “Gatekeeper“ benennen. Die ausgewählten Unternehmen erhalten daraufhin sechs Monaten, um den umfangreichen Katalog an Verpflichtungen gemäß des DMA zu erfüllen. In diesem Blogpost sollen einzelne dieser Regelungen von besonderer wirtschaftlicher Relevanz und deren Rechtsdurchsetzung näher betrachtet werden, nachdem unser vorhergehender Beitrag, Introducing the Digital Markets Act (I), einen allgemeinen Überblick über das Regelungssystem, die rechtspolitischen Hintergründe sowie die Gatekeeper-Definition bot. Darüber hinaus werden potenzielle Auswirkungen auf kleinere Unternehmen und Verbraucher beleuchtet und untersucht, wie die neuen Vorschriften das Gleichgewicht zwischen Innovation und Wettbewerb fördern sollen.
A. Verbotene Verhaltensweisen
Der DMA enthält eine Reihe von Verpflichtungen, die von den als Gatekeeper eingestuften Unternehmen eingehalten werden müssen, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und den Schutz kleinerer Unternehmen und Verbraucher zu gewährleisten.1 Diese Bestimmungen zielen darauf ab, die Marktmacht von Gatekeepern einzudämmen und ihre Interaktionen mit Drittanbietern sowie den Zugang zu bestimmten Diensten fairer zu gestalten. Im Folgenden wird ein Überblick über ebendiese Bestimmungen gegeben:
1. Beschränkung der Nutzung personenbezogener Daten (Art 5 Abs 2 DMA)
Gatekeeper trifft eine aus mehreren Unterpunkten bestehende Verpflichtung im Zusammenhang mit der Nutzung personenbezogener Daten. Der Gatekeeper darf nicht:
- personenbezogene Daten von Endnutzern, die zentrale Plattformdienste des Gatekeepers in Anspruch nehmen, zum Zweck des Betriebs von Online-Werbediensten verarbeiten, sofern diese Personen die Dienste Dritter nutzen;
- personenbezogene Daten aus dem betreffenden zentralen Plattformdienst mit solchen aus weiteren zentralen Plattformdiensten oder aus anderen vom Gatekeeper bereitgestellten Diensten oder mit personenbezogenen Daten aus Diensten Dritter zusammenführen;
- personenbezogene Daten aus dem betreffenden zentralen Plattformdienst in anderen vom Gatekeeper getrennt bereitgestellten Diensten, einschließlich anderer zentraler Plattformdienste, weiterverwenden und vice versa;
- Endnutzerin anderen Diensten des Gatekeepers anmelden, um personenbezogene Daten zusammenzuführen.
Das Verbot des Art 5 Abs 2 DMA gilt jedoch nicht, wenn der Gatekeeper dem Endnutzer eine echte Wahl zwischen dem zentralen Plattformdienst und einer weniger stark personalisierten, im Übrigen aber gleichwertigen Alternative, anbietet und der Endnutzer seine Zustimmung im Sinne der Art 4 Nr 11 und Art 7 DSGVO erteilt hat. Diese Norm ist angelehnt an die Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofes gegen Facebook.2 Darin wurde ausgesprochen, dass Facebook seine Marktmacht missbraucht habe, indem es seinen Nutzern eine erweiterte Leistung in Form eines stärker personalisierten Netzwerks aufgedrängt habe. Das Unternehmen hätte sich nach Ansicht der Richter aber die Möglichkeit gehabt sich kartellrechtskonform verhalten können, nämlich, wenn es den Nutzern eine echte Wahlmöglichkeit zwischen einem stärker personalisierten Netzwerk und einer „Light-Version“ des Netzwerkseingeräumt hätte. Facebook tat dies nicht, was als Marktmissbrauch festgestellt wurde.
2. Verbot von Bestpreisklauseln (Art 5 Abs 3 DMA)
Das Bundeskartellamt stellte bereits vor einigen Jahren in einem Verfahren gegen Amazon die Weichen für die Beseitigung von Paritätsverpflichtungen. Nunmehr darf gewerblichen Nutzern der Plattformdienste von Gatekeepern gem Art 5 Abs 3 DMA nun nicht mehr untersagt werden, ihre Produkte bzw Dienstleistungen über andere Vermittlungsdienste oder ihre eigenen Online-Vertriebskanäle zu günstigeren Konditionen anzubieten. Damit soll eine Verringerung der Abhängigkeit kleinerer Unternehmen von Gatekeepern erreicht werden.
3. Keine Kontaktschranken zu Endkunden (Art 5 Abs 4 DMA)
Auch Art 5 Abs 4 DMA verfolgt primär das Ziel, die Abhängigkeit gewerblicher Nutzer von dem zentralen Plattformdienst zu verringern. Gewerblichen Nutzern von Plattformdiensten soll es nunmehr unentgeltlich ermöglicht werden, Endnutzern, die der gewerbliche Nutzer über den zentralen Plattformdienst anwerben konnte, Angebote mitzuteilen und zu bewerben sowie mit diesen Endnutzern zu kontrahieren. Dabei ist es unerheblich, ob die Endnutzer zu diesem Zweck den zentralen Plattformdienst des Gatekeepers verwenden.
4. Keine Vorschreibung bestimmter Dienste (Art 5 Abs 7 DMA)
Gem Art 5 Abs 7 DMA dürfen gewerblichen Nutzer von Gatekeepern nicht mehr zur Nutzung eines bestimmten Identifizierungsdienstes, Webbrowsers, Zahlungsdienstes oder technischen Dienstes zur Unterstützung von Zahlungsdiensten verpflichtet werden. Diese Regelung steht im Einklang mit dem kartellrechtlichen Kopplungsverbot („Tying“) und soll die Autonomie kleinerer Unternehmen bei der deren Gestaltung ihres konkreten Geschäftsmodells stärken.
5. Datennutzung zu Wettbewerbszwecken (Art 6 Abs 2 DMA)
Art 6 Abs 2 DMA sieht vor, dass ein Gatekeeper Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind und bei der Nutzung des zentralen Plattformdienstes oder eines damit verbundenen Dienstes entstehen, nicht zu Wettbewerbszwecken verwenden darf. Diese Norm resultiert aus den Erfahrungen aus dem Verfahren der Kommission gegen Amazon betreffend Händlerdaten.3 Amazon wurde vorgeworfen eine marktbeherrschende markbeherrschende Stellung dadurch zu missbrauchen, indem es Daten von Händlern auf seiner Plattform vermeintlich dazu nutzte den eigenen Marktauftritts als Eigenverkäufer profitabler zu gestalten.
6. Deinstallation von vorinstallierten Apps (Art 6 Abs 3 DMA)
Auch Art 6 Abs 3 DMA enthält eine Bestimmung, die in die gleiche Richtung zielt wie das kartellrechtliche Kopplungsverbot. Den Gatekeeper trifft nun die Verpflichtung, Endnutzern die Möglichkeit zu geben, auf ihrem Betriebssystem vorinstallierte Software-Anwendungen zu deinstallieren und Voreinstellungen auf Betriebssystemen, virtuellen Assistenten und Webbrowsern auf einfache Weise zu ändern. Diese Norm stellt ebenso die Reaktion auf eine richtungsweisende Entscheidung im kartellrechtlichen Kontext dar: Bereits 2007 entschied das EuG, dass die Koppelung des Microsoft Media Player an das Windows Betriebssystem einen Verstoß gegen Art 102 Satz 2 lit d AEUV darstelle.4
7. Verbot der Selbstbevorzugung (Art 6 Abs 5 DMA)
Besonderes Aufsehen erregte das Verfahren gegen Alphabet Inc. (Google) im Zusammenhang mit der Selbstbevorzugung eigener Produkte und Dienstleistungen bei Rankings und Indexierungen.5 Die darauffolgende Entscheidung des EuG kann als Grundlage für die Schaffung der Regelung zum Verbot der Selbstbevorzugung nach Art 6 Abs 5 DMA angesehen werden.6 Diese Norm verbietet es Gatekeepern, eigene Dienste und Produkte ohne sachliche Rechtfertigung zu bevorzugen.
B. Verfahren und Behördenzuständigkeit
Grundsätzlich obliegt der Kommission die exklusive Kompetenz für die Durchsetzung des DMA. Damit soll in der ganzen Union eine einheitliche Rechtsdurchsetzung gewährleistet werden. Da die Beurteilung der vom DMA erfassten Sachverhalte ein außerordentlich hohes Maß an technologischem Know-How erfordert, ist zu erwarten, dass die Kommission personelle Ressourcen schaffen wird.
Die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission erfährt jedoch eine entscheidende Einschränkung: Es bleibt den Mitgliedstaaten vorbehalten, die nationalen Wettbewerbsbehörden zu ermächtigen, möglichen Verstöße gegen den DMA nachzugehen. Allerdings muss die nationale Wettbewerbsbehörde gem Art 38 Abs 7 DMA in so einem Fall den Beginn der konkreten Ermittlungen sowie die jeweiligen Ergebnisse der Kommission mitteilen, sodass durch nationale Wettbewerbsbehörden keine Verhängung von Strafen erfolgen kann.
Neben der Einleitung von Verfahren von Amts wegen durch die Kommission haben auch Endnutzer und Wettbewerber digitaler Dienste die Möglichkeit, Sachverhaltsdarstellungen direkt an die Kommission zu übermitteln. Dieser kommt in weiterer Folge ein Ermessensspielraum dahingehend zu, ob sie Folgemaßnahmen ergreift.
C. Konsequenzen bei Normverstößen
Bei Verstößen gegen die in Art 5 bis 7 DMA angeordneten Verhaltensweisen drohen den betroffenen Unternehmen Bußgelder in Höhe von bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes (Art 30 Abs 1 DMA). Diese Geldstrafen können sogar bis zu 20 % des Jahresumsatzes betragen, wenn ein Unternehmen wiederholt gegen die im DMA angeordneten Verhaltensregeln verstößt (Art 30 Abs 2 DMA).
Eine weitere Konsequenz bei systematischen Verstößen ist, dass den Gatekeepern die Durchführung von Zusammenschlüssen für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden kann. Um Gatekeeper zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen anzuhalten, kann die Kommission gem Art 31 Abs 1 DMA auch tägliche Zwangsgelder („periodic penalty payments") von bis zu 5 % des weltweiten durchschnittlichen Tagesumsatzes verhängen.
D. Doppelbestrafung?
Der DMA verfolgt, nach ausdrücklicher Anordnung im Regelungstext, (primär) keine kartellrechtlichen Ziele (Art 1 Abs 6 des DMA). Nach dieser Norm sollen die Bestimmungen des DMA die Anwendung der Art 101 und 102 AEUV unberührt lassen. Auch die Wahl der Kommission von Art 114 AEUV als Kompetenzgrundlage deutet in diese Richtung.
Aus einer Gesamtbetrachtung lässt sich ableiten, dass die Kommission mit dieser Verordnung keine Ausweitung des Wettbewerbsrechts im engeren Sinne bezweckte, sondern den DMA als notwendige regulierungsrechtliche Ergänzung zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes betrachtet. Trotz, oder gerade wegen dieser rechtsdogmatischen Einordnung des DMA als Regulierungsrecht gilt der DMA neben den bestehenden auf den Schutz des Wettbewerbs abzielenden Normen. Bei dieser zweigleisigen Anwendbarkeit stellt sich die Frage, ob eine Verhaltensweise sowohl einer Sanktion nach dem DMA unterliegt und gleichzeitig eine Geldbuße nach Kartellrecht denkbar ist oder, ob dies dem Doppelbestrafungsverbot7 zuwiderlaufen würde.
Der EuGH sprach bereits in der Rs bpost8 aus, dass es in bestimmten Fällen kein absolutes Verbot der Doppelbestrafung gäbe. Eine zweite Strafe zum selben Sachverhalt ist dann möglich, wenn eine Rechtfertigung der doppelten Bestrafung nach Art 52 Abs 1 GRC möglich ist. Gerechtfertigt kann sie dann sein, wenn diese (i) gesetzlich vorgesehen ist und (ii) den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten, konkret eben den Wesensgehalt des Grundrechts von „ne bis in idem“ wahrt. Eine Einschränkung dieses Grundrechts, dh eine Doppelbestrafung, muss auch verhältnismäßig sein, dh erforderlich sein und dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen.9 Nur dann nämlich höhlt eine weitere Strafe nicht das Grundrecht auf Verbot der Doppelbestrafung aus. In der Rs Nordzucker10 führte der EuGH auch aus, dass eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen als gerechtfertigt zu erachten sei, wenn zur Erreichung des betreffenden Ziels mit diesen Sanktionen komplementäre Zwecke verfolgt werden, die verschiedene Aspekte desselben rechtswidrigen Verhaltens betreffen.
Da gem ErwG 11 zum DMA dieser ausdrücklich andere rechtliche Interessen als das Kartellrecht schützen soll, müsste eine Bestrafung nach den Regelungen des DMA zusätzlich zu einer kartellrechtlichen Sanktion daher grds möglich sein.
E. Resümee
Bei näherer Betrachtung der im DMA statuierten Verpflichtungen für Gatekeeper wird deutlich, dass diese sich stark an abgeschlossenen oder anhängigen Kartellrechtsverfahren auf nationaler oder EU-Ebene orientierten. Aufgrund dieser „Anlassfall-Regelungen“ könnte sich künftig das Problem ergeben, dass die einzelnen Gebote und Verbote zu wenig abstrakt und flexibel formuliert sind, um den Entwicklungen auf den digitalen Märkten Rechnung tragen zu können.
Diese Gefahr sah auch der Unionsrechtsgesetzgeber, weshalb die Kommission in Art 12 DMA ermächtigt wurde, die Verordnung im Bedarfsfall in Bezug auf die in den Artikeln 5 und 6 DMA festgelegten Verpflichtungen zu ergänzen. Dies steht naturgemäß in einem Spannungsverhältnis zu den primärrechtlichen Vorgaben in Art 290 Abs 1 UAbs 2 Satz 2 AEUV, wonach die Übertragung von Rechtssetzungsbefugnissen an die Kommission nur die Ergänzung oder Änderung spezifischer und nicht wesentlicher Vorschriften umfassen darf.
Ob durch die Bestimmungen zur Regulierung des Geschäftsverhaltens großer digitaler Plattformen die Vielfalt des Wettbewerbs tatsächlich erhalten und gefördert werden kann, und, ob das erklärte Ziel erreicht wird, kleinere Unternehmen erheblich zu schützen, wird sich im Zuge der Rechtsdurchsetzung zeigen.
Aufgrund der erheblichen Ressourcenbindung bei der Kommission, die mit der Durchsetzung des DMA verbunden ist, bleibt jedoch abzuwarten, wie effizient Verstöße geahndet werden. Die erste Evaluierung des DMA ist in drei Jahren vorgesehen. Bis dahin wird sich zeigen, ob der DMA ein innovatives Instrument zur raschen und unkomplizierten Rechtsdurchsetzung darstellt, oder ob das Kartellrecht auch im digitalen Bereich seine „beherrschende Stellung“ behält.
1 Zum Begriff „Gatekeeper“ siehe Teil 1 unserer Dilogie zum DMA. (https://www.bindergroesswang.at/law-blog/2023/introducing-the-digital-markets-act-i)
2 BGH 29. Juli 2021 - III ZR 179/20 und III ZR 192/20.
3 Stellungnahme des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen vom 12. Dezember 2022 in den Sachen AT.40462 – Amazon Marketplace und AT.40703 – Amazon Buy Box.
4 EuG 17.09.2007, T-201/04.
6 EuG 14.09.2022, T-604/18.
7 Art 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
8 EuGH 22.03.2022, C-117/20 – bpost Rz 40 ff.
9 vgl auch https://www.bindergroesswang.at/law-blog/2022/der-eugh-zum-doppelbestrafungsverbot-ne-bis-in-idem-im-wettbewerbsrecht und https://www.bindergroesswang.at/law-blog/2023/follow-up-das-doppelbestrafungsverbot-ne-bis-in-idem-im-wettbewerbsrecht-zuckerkartell-part-ii.
10 EuGH 22.03.2022, C-151/20 - Nordzucker Rz 49 ff.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.