Informationsfreiheit in Österreich
Das Jahr 2024 geht in die österreichische (Rechts-)Geschichte ein – es ist das Jahr, in dem das österreichische Parlament eine proaktive Informationspflicht für staatliche Stellen verankert und den „Rechtsunterworfenen“ einen rechtlich durchsetzbaren Zugang zu Informationen gewährt. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, und die Rechtsvorschriften treten auch erst mit 1. September 2025 in Kraft. Dass der eherne Grundsatz des Amtsgeheimnisses abgeschafft wird, ist für Österreich gleichwohl revolutionär.
Status quo
In Österreich besteht – seit jeher – eine verfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht aller mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie aller Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts. Diese sind zur Verschwiegenheit über alle ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet, soweit bestimmte öffentliche Interessen berührt sind (Amtsverschwiegenheit, Art 20 Abs 3 B-VG). Nur soweit diese Verschwiegenheitspflicht nicht greift, sind die Verwaltungsorgane zur Auskunft (Art 20 Abs 4 B-VG iVm den Auskunftspflichtgesetzen des Bundes und der Länder) und zur Veröffentlichung der von ihnen beauftragten Studien, Gutachten und Umfragen (Art 20 Abs 5 B-VG) verpflichtet.
Systematik der neuen Regelung
Dieses Prinzip der Amtsverschwiegenheit als Regel und der Auskunftspflicht als Ausnahme wird also jetzt beseitigt. Für diesen Paradigmenwechsel musste die österreichische Bundesverfassung (B-VG) geändert werden. Die Koalitionspartner ÖVP und Die Grünen sicherten sich die Zustimmung der SPÖ, und so konnte der Nationalrat am 31. Januar 2024 das neue Gesetzespaket verabschieden. Der Bundesrat wird dieser Tage auch noch seine Zustimmung erteilen.
Das Gesetzespaket besteht aus einer Änderung des B-VG und einem Bundesgesetz über den Zugang zu Informationen (Informationsfreiheitsgesetz – IFG). ChatGPT reimt dazu noch etwas holprig, aber umso interessanter: “In einem Land, wo Paragraphen regieren, tritt ein Bundesgesetz, um uns zu lehren. Allgemeine Bestimmungen, trocken im Ton, öffnen Pfade zu Infos, nicht jedermanns Lohn.”
Kreis der Verpflichteten
Das B-VG und das IFG richten sich an eine Vielzahl von staatlichen und dem Staat zurechenbaren Stellen. Der Kreis der Verpflichteten und das einzuhaltende Verfahren variieren je nach Art der betroffenen Information:
- Information: jede amtlichen oder unternehmerischen Zwecken dienende Aufzeichnung im Wirkungsbereich eines Organs, im Tätigkeitsbereich einer Stiftung, eines Fonds oder einer Anstalt oder im Geschäftsbereich einer Unternehmung, unabhängig von der Form, in der sie vorhanden und verfügbar ist.
- Informationen von allgemeinem Interesse: solche Informationen, die einen allgemeinen Personenkreis betreffen oder für einen solchen relevant sind. Dabei soll es auf die Bedeutung für einen hinreichend großen Adressaten- bzw. Personenkreis ankommen. Davon umfasst sein werden idR Geschäftseinteilungen, Geschäftsordnungen, Tätigkeitsberichte, Amtsblätter, amtliche Statistiken, von informationspflichtigen Stellen erstellte oder in Auftrag gegebene Studien, Gutachten, Umfragen, Stellungnahmen und Verträge (jedenfalls bei einem Auftragswert von mindestens EUR 100.000). Nicht umfasst sind hingegen nicht-öffentliche Beratungen oder interne Sitzungen.
Informationen von allgemeinem Interesse sind im Internet zu veröffentlichen und bereit zu halten, sofern und solange sie nicht der Geheimhaltung unterliegen und solange ein allgemeines Interesse daran besteht. Diese proaktive Informationspflicht (Grundsatz) besteht für
- Organe und Hilfsorgane der Gesetzgebung des Bundes (Nationalrat, Bundesrat, Rechnungshof, Volksanwaltschaft),
- mit der Besorgung von Geschäften der Bundesverwaltung oder der Landesverwaltung betraute Organe (Bundesministerien, Landesregierungen, Bezirkshauptmannschaften, etc.),
- Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit,
- die Verwaltungsgerichte,
- den Verwaltungsgerichtshof
- den Verfassungsgerichtshof
- Gemeinden mit mindestens 5.000 Einwohnern.
Soweit Informationen (von allgemeinem Interesse) nicht ohnehin öffentlich zugänglich sind, kann ein Auskunftswerber den Zugang zu Informationen begehren. Dieses Recht besteht aber nicht unbeschränkt; in gewissen Fällen greift die Pflicht zur Geheimhaltung. Informationspflichtige Stellen haben den Zugang zur Information grds ohne unnötigen Aufschub (spätestens binnen 4 Wochen) zu gewähren. Das weitere Verfahren unterscheidet sich, je nachdem, ob es sich um “öffentliche” Informationspflichtige oder private Informationspflichtige handelt:
Öffentliche Informationspflichtige
Dabei handelt es sich um:
- Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände,
- Organe der gesetzlich eingerichteten Selbstverwaltungskörper,
- Organe sonstiger juristischer und natürliche Personen, soweit diese mit der Besorgung von Geschäften der Bundesverwaltung oder der Landesverwaltung betraut sind.
Öffentliche Informationspflichtige können den Zugang zur Information, abgesehen von Fällen der Geheimhaltungspflicht, auch dann ablehnen, wenn der Antrag auf Information offensichtlich missbräuchlich ist oder die Erteilung der Information die sonstige Tätigkeit des Organs wesentlich und unverhältnismäßig beeinträchtigen würde.
Nachdem öffentliche Informationspflichtige (auch) hoheitliche Aufgaben erfüllen und damit einen Bescheid erlassen können, haben sie für den Fall der Nichtgewährung des Zugangs zur Information über entsprechenden schriftlichen Antrag des Informationswerbers binnen zwei Monaten bescheidmäßig zu entscheiden. Dieser Bescheid kann durch Beschwerde beim Verwaltungsgericht bekämpft werden.
Private Informationspflichtige
Dabei handelt es sich um der Kontrolle des (Landes-)Rechnungshofes unterliegende
- Stiftungen, Fonds und Anstalten sowie
- Unternehmungen im direkten / indirekten Eigentum des Staates (Beteiligung des Bundes, des Landes oder der Gemeinde allein oder gemeinsam mit anderen der Zuständigkeit des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgern von mindestens 50 % des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals) sowie
- Unternehmungen unter der direkten / indirekten Kontrolle des Staates (tatsächliche Beherrschung durch den Bund, das Land oder die Gemeinde allein oder gemeinsam mit anderen der Zuständigkeit des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgern durch finanzielle oder sonstige wirtschaftliche oder organisatorische Maßnahmen),
die nicht mit der Besorgung von Geschäften der Bundes- oder Landesverwaltung betraut sind.
Private Informationspflichtige können den Zugang zur Information über die für öffentliche Informationspflichtige geltenden Vorschriften hinaus auch dann nicht gewähren, soweit und solange dies “zur Abwehr einer Beeinträchtigung von deren Wettbewerbsfähigkeit erforderlich ist”. Über diese Ausnahme wird noch trefflich gestritten werden. Börsennotierte Gesellschaften und deren abhängige Unternehmungen sind von der Informationspflicht hingegen ausdrücklich befreit (andere öffentliche Unternehmungen hätten sich diese Privilegierung sicherlich auch gerne gewünscht).
Nachdem die privaten Informationspflichtigen keine hoheitlichen Aufgaben erfüllen und daher auch keine Bescheide erlassen können, kann der Informationswerber für den Fall, dass private Informationspflichtige den Zugang zur Information ablehnen, binnen vier Wochen nach Ablauf der Frist zur Informationserteilung unmittelbar die Entscheidung durch das zuständige Verwaltungsgericht beantragen. Das Verwaltungsgericht hat binnen zwei Monaten zu entscheiden.
Ausnahme: Pflicht zur Geheimhaltung
Wie oben erwähnt besteht zwar im Grundsatz eine Pflicht zur Veröffentlichung von Informationen von allgemeinem Interesse sowie ein Recht auf Zugang zur Information. Es gibt aber einen umfangreichen Katalog von Geheimhaltungstatbeständen. Demnach können Informationen
- aus zwingenden integrations- oder außenpolitischen Gründen,
- im Interesse der nationalen Sicherheit,
- im Interesse der umfassenden Landesverteidigung,
- im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit,
- im Interesse der unbeeinträchtigten Vorbereitung einer Entscheidung, im Sinne der unbeeinträchtigten rechtmäßigen Willensbildung und ihrer unmittelbaren Vorbereitung,
- zur Abwehr eines erheblichen wirtschaftlichen oder finanziellen Schadens der Organe, Gebietskörperschaften oder sonstigen Selbstverwaltungskörper oder
- im überwiegenden berechtigten Interesse eines anderen
geheim gehalten werden. Dazu sind aber im Vorfeld alle in Betracht kommenden Interessen (Interesse an der Erteilung der Information vs. Interesse an der Geheimhaltung der Information) gegeneinander abzuwägen. Selbst wenn das Geheimhaltungsinteresse überwiegen sollte, muss die Geheimhaltung erforderlich und verhältnismäßig sein. Ggf. darf nur ein Teil der Information geheim gehalten werden.
ChatGPT meint dazu: “Geheimhaltung, ein Kapitel so trüb, aus vielerlei Gründen, mal eng, mal im Trieb. Sicherheit, Wirtschaftswohl, so der Rat, Gegengewicht zur Offenheit, im Gesetz, ein harter Pfad.”
In diesem Zusammenhang sei auf das richtungsweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu „Public Watch Dogs“ verwiesen (EGMR 8.11.2016, Magyar Helsinki Bizottsag, 18030/11). Die darin aufgestellten Kriterien sollte der Rechtsanwender bei der Interessenabwägung genau studieren.
Ausblick
Der Paradigmenwechsel von Amtsverschwiegenheit zur Informationsfreiheit ist vollzogen. Informationshungrige müssen sich allerdings noch bis 1. September 2025 gedulden (erst dann tritt das IFG in Kraft).
Das IFG wird in der Praxis erhebliche Anwendungsprobleme aufwerfen. Man braucht kein Hellseher zu sein um vorhersagen zu können, dass die Verwaltungsgerichte und Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gerade in den ersten Jahren viele Rechtsfragen klären werden müssen, v.a. im Hinblick auf die Reichweite einzelner Geheimhaltungstatbestände, die Abwägung der wechselseitigen Interessen und den zusätzlichen Ausnahmetatbestand für öffentliche Unternehmungen (“zur Abwehr einer Beeinträchtigung von deren Wettbewerbsfähigkeit erforderlich”). Allesamt spannende Themen, welche uns zu den Grundrechten führen.
Wir bleiben für Sie jedenfalls am Ball.
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