EU-Kompass für Wettbewerbsfähigkeit
Am 29. Jänner 2025 hat die Europäische Kommission (EK) den EU-Kompass für Wettbewerbsfähigkeit („EU-Kompass“) vorgestellt, der die EU wettbewerbsfähiger machen und nachhaltigen Wohlstand sichern soll. Dieses Strategiepapier definiert die wirtschaftspolitischen Prioritäten der EU und soll die Marschrichtung für eine zukünftige Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten vorgeben. Wir zeigen, welche Chancen und Risiken Unternehmen bereits jetzt daraus ableiten können.
Der EU-Kompass basiert auf dem sog. Letta-Bericht vom April 2024 sowie auf dem Draghi-Bericht vom September 2024 und zielt darauf ab, strukturelle Schwächen zu überwinden und die Produktivitätslücke zu schließen, die Europa in den letzten Jahrzehnten hinter andere große Volkswirtschaften (wie China oder die USA) zurückfallen ließ.
Klar ist, dass sich Europa nicht mehr auf frühere Wachstumsfaktoren verlassen kann: starke externe Nachfrage durch ein offenes globales Handelssystem, Zugang zu billiger fossiler Energie und relative geopolitische Stabilität.
Europa soll in Zukunft wieder ein Wirtschaftsstandort sein, an dem „Technologien, Dienstleistungen und saubere Produkte erfunden, hergestellt und auf den Markt gebracht werden“.
A. Welche Chancen tun sich für Unternehmen auf?
Es scheint, dass nun Brüssel auf die angespannte wirtschaftliche Lage reagiert. Auch wenn der EU-Kompass relativ allgemein gehalten ist, könnten sich daraus erhebliche Chancen und Vorteile für EU-Unternehmen ergeben. Der EU-Kompass könnte also zur Abwechslung einmal eine gute Nachricht für österreichische Unternehmen sein.
- Bürokratie und Verwaltungsaufwand sollen insgesamt abgebaut werden – insbesondere die Harmonisierung von EU-weiten Vorschriften soll vorangetrieben werden, um das Wirtschaften im EU-Binnenmarkt zu erleichtern.
- Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in digitale Infrastrukturen sollen gestärkt werden. Ein neuer Rahmen für öffentliche Mittel könnte sich positiv auf zukünftige Finanzierungen auswirken. Synergieeffekte durch neue Regelungen für den Technologietransfer sind zu erwarten.
- Die Gründung von Start-up- und Scale-up-Unternehmen wird insbesondere in den Bereichen des Gesellschafts-, Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrechts erleichtert.
- Den hohen und schwankenden Energiepreisen soll durch Investitionen in Netze und erneuerbare Energien entgegengewirkt werden. Für energieintensive Sektoren sollen maßgeschneiderte Aktionspläne erarbeitet werden.
Dazu der EU-Kompass im groben Überblick:
B. Die drei Säulen des „EU-Kompass“
Die EK setzt auf drei Säulen, um ihre Ziele zu erreichen: Innovation, Dekarbonisierung und Sicherheit:
1. Schließung der Innovationslücke.
Die EK will eine neue Dynamik für die europäische Industriestruktur schaffen, indem:
- ein förderliches Umfeld für junge, innovative Unternehmen (Start-ups und Scale-ups) geschaffen wird. Dabei geht es insbesondere um die Beseitigung von Hindernissen, die der Gründung und Expansion neuer Unternehmen im Wege stehen;
- die industrielle Führungsrolle in wachstumsstarken Sektoren auf Basis von Deep Tech gestärkt wird;
- die Verbreitung von Technologien in etablierten Unternehmen und KMU vorangetrieben wird.
Zu diesem Zweck sollen „KI-Gigafabriken“ und Initiativen wie „KI anwenden“ implementiert werden, um die Entwicklung und Nutzung von künstlicher Intelligenz in wichtigen Industriezweigen zu fördern. Darüber hinaus hat die EK angekündigt, Aktionspläne für fortgeschrittene Werkstoffe, Quanten- und Biotechnologien, Robotik und Weltraumtechnologien zu entwickeln.
2. Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit
Um hohen und schwankenden Energiepreisen zu begegnen, will die EK den Zugang von EU-Unternehmen zu sauberer und erschwinglicher Energie erleichtern. Dazu wurden Initiativen wie der Clean Industrial Deal, der Aktionsplan für erschwingliche Energie sowie weitere maßgeschneiderte Aktionspläne für energieintensive Sektoren (Stahl-, Metall- und Chemieindustrie) vorgestellt.
3. Reduzierung von Abhängigkeiten und Erhöhung der Sicherheit
Die EU möchte ihre wirtschaftliche und technologische Sicherheit stärken. Hier sind die wichtigsten Punkte:
- Reduzierung von Abhängigkeiten: Die EU möchte ihre Abhängigkeit von externen Lieferketten verringern, insbesondere in strategisch wichtigen Bereichen wie Halbleitern, Batterien und kritischen Rohstoffen.
- Stärkung der Resilienz: Die EU plant, ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber globalen Krisen zu erhöhen. Dies umfasst Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit und zur Vorbereitung auf zukünftige Schocks.
- Schutz kritischer Infrastrukturen: Der Schutz von kritischen Infrastrukturen, wie Energie- und Kommunikationsnetzen, ist ein weiterer Schwerpunkt. Die EU will sicherstellen, dass diese Infrastrukturen robust und gegen Bedrohungen geschützt sind.
- Förderung der Cybersicherheit: Die EU setzt auf die Stärkung der Cybersicherheit, um sich gegen wachsende Bedrohungen im digitalen Raum zu wappnen. Dies umfasst Investitionen in Technologien und Maßnahmen zur Abwehr von Cyberangriffen.
C. Horizontale Faktoren für Wettbewerbsfähigkeit
Die drei Säulen werden durch fünf horizontale Faktoren ergänzt, die für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in allen Sektoren entscheidend sind:
- Vereinfachung: Durch den EU-Kompass wird das Ziel festgelegt, den Verwaltungsaufwand für Unternehmen um mindestens 25 % und für KMU um mindestens 35 % in unterschiedlichen Bereichen zu senken. Insbesondere sollen Verfahren für den Zugang zu EU-Mitteln und Verwaltungsentscheidungen der EU „einfacher, schneller und schlanker“ gestaltet werden. So wurde erst kürzlich der Omnibus-Vorschlag (wir berichteten bereits im Dezember 2024), der die Berichterstattungspflichten vereinheitlichen soll, veröffentlicht.
- Abbau von Hindernissen für den Binnenmarkt: Mit einer horizontalen Binnenmarktstrategie soll die „wirtschaftspolitische Steuerung“ modernisiert und Hindernisse innerhalb der EU beseitigt werden.
- Wettbewerbsfähige Finanzierung: Mit einer (neuen) Europäischen Spar- und Investitionsunion sollen neue Spar- und Anlageprodukte sowie Anreize für Risikokapital geschaffen werden. Außerdem soll der Zugang zu EU-Mitteln im Einklang mit den Prioritäten der EU gestrafft werden.
- Förderung von Kompetenzen und hochwertigen Arbeitsplätzen: Die EK will eine Initiative vorlegen, um eine „Union der Kompetenzen“ zu implementieren. Dabei liegen die Schwerpunkte auf „Investitionen, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen, dem Aufbau zukunftssicherer Kompetenzen und ihrem Erhalt, der fairen Mobilität, der Anwerbung und Integration qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland sowie der Anerkennung unterschiedlicher Arten der Ausbildung“.
- Bessere Koordinierung der politischen Maßnahmen: Die EK kündigt ein „Instrument zur Koordinierung der Wettbewerbsfähigkeit“ an, um gemeinsame politische Ziele der EU auf EU- und nationaler Ebene sicherzustellen und grenzüberschreitende Projekte von europäischem Interesse zu ermitteln.
D. Fazit für die Praxis
Es ist wohl in nächster Zeit mit Veränderungen zu rechnen. Allerdings ist es derzeit schwer abzuschätzen, wie die regulatorische EU-Landschaft in den nächsten Monaten/Jahren aussehen wird – dennoch gibt es gewisse Anzeichen. Wichtig ist es daher, diesen dynamischen Prozess stets im Auge zu behalten, um rechtzeitig von den neuen Möglichkeiten für Unternehmen zu profitieren – kontaktieren Sie uns gerne, um mehr zu erfahren!
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