Update Öffentliches Wirtschaftsrecht Dezember 2018
In dieser Newsletter-Serie beschäftigen wir uns mit den Grundlagen und aktuellen Fragen der europäischen und österreichischen Wirtschaftsordnung und weisen auf aktuelle Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung hin. Tipps für die Unternehmenspraxis sollen dabei nicht fehlen.
Noch einmal möchten wir die Wirtschaftsfreundlichkeit in der heimischen Politik aufgreifen und an unsere Ausführungen in der Vorausgabe anknüpfen. Auch sonst wollen wir Sie am Laufen(den) halten.
1.) Der neue Staat – situationselastisch, aber lernfähig
Das Abgesangs-Kapitel des letzten Newsletters lautete:
Der Wirtschaftsstandort Österreich „under construction“.
Damals hielten wir uns diplomatisch zurück und referierten nüchtern über den damals hohe Wellen schlagenden Ministerialentwurf für ein „Standort-Entwicklungsgesetz“ (StEntG). Standortrelevante Vorhaben, die im besonderen öffentlichen Interesse der Republik liegen, sollten – insoweit für Umweltschutz und sonstige berechtigte Anliegen von Verfahrensparteien, welche nicht Projektwerber heißen, ernüchternd – mit verfahrensrechtlichen Segnungen ausgestattet werden. Besonders erwähnenswert:
- die ex lege Genehmigung, sofern das durch eine Verordnung als standortrelevant eingestufte Vorhaben nicht binnen eines Jahres (à ab Kundmachung dieser ministeriellen Standortrelevanz-Verordnung) zurück- oder abgewiesen wird.
- der verdünnte Rechtsschutz gegen einen solchen Genehmigungsbescheid, indem – technisch elegant – das eigentlich auf Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof entwickelte Zulassungsmodell (Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung) auch auf Beschwerden an das Verwaltungsgericht angewandt wird.
Unser damals dezenter Hinweis, dass EU-Recht und nationales Verfassungsrecht diesen und anderen Ideen im Ministerialentwurf weniger aufgeschlossen gegenüberstehen dürften, fußte lediglich auf einer nahezu einhelligen Einschätzung in den Fachkreisen, dass fundamentale Prinzipien des Unions- und Verfassungsrechts durch einfachen Gesetzes(-hand-)streich nicht ausgehebelt werden können.
Einige Monate später befasst sich also jetzt der Nationalrat mit der runderneuerten Regierungsvorlage zu einem „Bundesgesetz über die Entwicklung und Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes Österreich“ (weiterhin vulgo Standort-Entwicklungsgesetz – StEntG). Heute (7. Dezember 2018) wurde das geänderte Vorhaben im Wirtschaftsausschuss des Nationalrats abgesegnet. Die Grundidee ist noch erkennbar: Standortrelevante Vorhaben im besonderen öffentlichen Interesse der Republik Österreich sollen durch Verordnung zweier Bundesminister (BMDW und BMVIT) besonderen Verfahrensvorschriften unterliegen. Die „Goodies“ sind allerdings weniger einschneidend, als noch im Ministerialentwurf vorgesehen. Anders formuliert: Die deutlichen Anpassungen kulminieren in der veränderten Einschätzung des Verhältnisses zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union. Ein Auszug aus der vereinfachten wirkungsorientierten Folgenabschätzung:
Ministerialentwurf (67/ME) | Regierungsvorlage (372 d.B.) |
Die vorgesehenen Regelungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union.
| Die vorgesehenen Regelungen unterliegen den Bestimmungen der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der Fassung der Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014. |
Wenn aber die EU-UVP-Richtlinie (und weitere Schranken, z.B. die UN/ECE-Konvention über UVP-Verfahren bei grenzüberschreitenden Auswirkungen) als zwingender Maßstab anerkannt wird, müssen weniger invasive Möglichkeiten die in der Praxis ausbaufähige Verfahrensökonomie stärken. Angelehnt an zivilprozessuale Vorbilder wird der UVP-Behörde eine straffe Führung des UVP-Verfahrens ermöglicht:
- Den Parteien kann eine Frist für ihr Vorbringen (Stellungnahmen und Beweisanträge) erstattet werden. Verspätung führt zu einem weitgehenden Verlust der Parteirechte (Präklusion).
- Zeitplan für das Ermittlungsverfahren mit Begleitmaßnahmen für die mündliche Verhandlung: Redezeitbeschränkungen, Untersagung von Vorbringen außerhalb des Verhandlungsgegenstandes als unbeachtlich.
- Die Parteien unterliegen einer weitergehenden Pflicht zur Verfahrensförderung (verbunden mit Kostenfolgen für schuldhaft verspätetes Vorbringen).
- Kundmachungen (u.U. auch Zustellungen) erfolgen mittels Edikt.
Über den Genehmigungsantrag hat die Behörde ohne unnötigen Aufschub, spätestens 12 Monate nach Antragstellung zu entscheiden. Gelingt dies nicht, ist das standortrelevante Vorhaben mit Bescheid zu genehmigen, es sei denn das Vorhaben widerspricht unzweifelhaft einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen derart gravierend, dass die Mängel mit Auflagen, Bedingungen, Befristungen, Projektmodifikationen oder Ausgleichsmaßnahmen nicht behoben werden können. In diesem Fall ist der Genehmigungsantrag abzuweisen.
Parallel dazu erhält der Projektwerber eine stärkere Handhabe gegen die Säumnis der UVP-Behörde. Entscheidet diese nämlich nicht binnen 12 Monaten nach Antragstellung, kann der Projektwerber mittels Säumnisbeschwerde (in jedem Fall) erzwingen, dass das Verwaltungsgericht in der Sache entscheiden muss.
Schließlich werden auch Vorkehrungen getroffen, um das Problem übergangener Parteien (Stichwort: Zustellfiktion) noch verfahrensökonomischer zu regeln.
Unser Fazit: Die Regierungsvorlage für ein Standortentwicklungsgesetz ist aus unserer Sicht zu begrüßen: Sie hat das Potential, UVP-Verfahren zu standortrelevanten Vorhaben signifikant zu beschleunigen, ohne gleichzeitig etablierte Verfahrensgarantien und materielle Genehmigungsvoraussetzungen über Bord zu werfen.
Vernünftige Politik sollte zwingendem höherrangigen Recht folgen. Dann ist „weniger“ durchaus „mehr“ und ein neuer Ausgleich zwischen Interessen der Wirtschaft (oder wie hier oft der öffentlichen Unternehmen) und der Umwelt (bzw. den Umweltverbänden) rechtskonform umsetzbar.
Ein weiteres Beispiel gefällig? Kürzlich musste der österreichische Gesetzgeber das Bundes-Umwelthaftungsgesetz an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (C-529/17) anpassen. Der EuGH folgerte scharf, dass die ursprüngliche Definition „jede erhebliche Schädigung der Gewässer“ im österreichischen Bundes-Umwelthaftungsgesetz der einschlägigen EU-Richtlinie widerspreche, weil sie einen „Umweltschaden“ generell und ohne Weiteres ausschließe, wenn der Schaden am Gewässer durch eine Bewilligung in Anwendung des österreichischen Wasserrechtsgesetzes (WRG 1959) gedeckt ist. Weber/Barbist haben dies bereits 2009 (Kurzkommentar Bundesumwelthaftung, Verlag Österreich, 2009) vorhergesehen. Nunmehr erfolgt die Reparatur in BGBl. I Nr. 74/2018 – der Wirtschaftsstandort Österreich wird auch das aushalten.
2.) „Neue“ Regulierungssystematik Strom
Betreiber von Stromnetzen unterliegen einem strengen Regulierungsregime. Ein Ziel ist es dabei, Anreize für einen effizienten Netzbetrieb zu schaffen und so die Netzentgelte für die Endverbraucher (Unternehmer und Konsumenten) niedrig zu halten.
Kürzlich hat die österreichische Regulierungsbehörde (à E-Control) die „Regulierungs-systematik für die vierte Regulierungsperiode der Stromverteilernetzbetreiber 1. Jänner 2019 - 31. Dezember 2023“ verabschiedet. Wie so oft ein Wechselbad der elektrisierenden Gefühle für Netzbetreiber: Einerseits bleibt das kostenseitige Benchmarking (Best-of Abrechnung), obwohl der vorläufige Entwurf noch exklusiv auf standardisierte Kosten fixiert war. Auch die Abbaudauer der Ineffizienzen wurde entgegen der ursprünglichen Pläne wieder etwas verlängert (à 7,5 Jahre), wenn auch nicht auf das bisherige Niveau (à10 Jahre). Andererseits drehte die E-Control die Produktivitäts-vorgabe in der letzten Phase doch noch hinauf: Der neue Xgen-Wert von 0,815 mutet dabei skurril an, ist aber nicht Null Acht Fünfzehn (à ein Komma macht nicht nur in der Mathematik den Unterschied). Gleichwohl ist nicht jede Interessenvertretung zufrieden – die stromabnehmende Wirtschaft kann sich immerhin mit der Aussicht trösten, dass in der Zukunft die Netzbetreiber zu mehr Effizienz „motiviert“ werden könnten. Regulierungsökonomen und die E-Control bezeichnen das als „Yardstick-System“. Anders gewendet: die eigenen Kosten des Netzbetreibers sollen für die Ermittlung der Kostenausgangsbasis vielleicht in der nächsten Periode nicht mehr (allein) ausschlaggebend sein. Das klingt sympathisch, wäre aber für die Netzbetreiber „Anspannung pur“. Schauen wir einmal.
3.) Digital law – oder dieser Tage kommt kein Newsletter ohne Digitalisierung aus
Zu guter Letzt eine freche These:
„Recht ist nicht genuin fortschrittsresistent.“
„Dem Recht wird vorgeworfen, systemerhaltend zu wirken und auf Veränderungen nur langsam, zu spät und – z.T. – mit falschen Regulierungsansätzen/-zielen zu antworten.
Dieser Befund mag in „Stammtischrunden“ Applaus ernten, ist aber gleichermaßen unfair, undifferenziert und letztlich falsch.“
Mehr wird zu dieser Thematik wird noch nicht verraten, denn wer einen systematischen Überblick über die Rechtsentwicklungen in den verschiedensten Anwendungsbereich der Digitalisierung erhalten möchte ist gut beraten im von Binder Grösswang herausgegebenen Sammelband „Digital Law – Rechtliche Aspekte der Digitalisierung“ zu schmökern.