In dieser Newsletter-Serie beschäftigen wir uns mit den Grundlagen und aktuellen Fragen der europäischen und österreichischen Wirtschaftsordnung und weisen auf aktuelle Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung hin. Tipps für die Unternehmenspraxis sollen dabei nicht fehlen.
Noch einmal möchten wir die Wirtschaftsfreundlichkeit in der heimischen Politik aufgreifen und an unsere Ausführungen in der Vorausgabe anknüpfen. Auch sonst wollen wir Sie am Laufen(den) halten.
1.) Der neue Staat – situationselastisch, aber lernfähig
Das Abgesangs-Kapitel des letzten Newsletters lautete:
Der Wirtschaftsstandort Österreich „under construction“.
Damals hielten wir uns diplomatisch zurück und referierten nüchtern über den damals hohe Wellen schlagenden Ministerialentwurf für ein „Standort-Entwicklungsgesetz“ (StEntG). Standortrelevante Vorhaben, die im besonderen öffentlichen Interesse der Republik liegen, sollten – insoweit für Umweltschutz und sonstige berechtigte Anliegen von Verfahrensparteien, welche nicht Projektwerber heißen, ernüchternd – mit verfahrensrechtlichen Segnungen ausgestattet werden. Besonders erwähnenswert:
- die ex lege Genehmigung, sofern das durch eine Verordnung als standortrelevant eingestufte Vorhaben nicht binnen eines Jahres (à ab Kundmachung dieser ministeriellen Standortrelevanz-Verordnung) zurück- oder abgewiesen wird.
- der verdünnte Rechtsschutz gegen einen solchen Genehmigungsbescheid, indem – technisch elegant – das eigentlich auf Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof entwickelte Zulassungsmodell (Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung) auch auf Beschwerden an das Verwaltungsgericht angewandt wird.
Unser damals dezenter Hinweis, dass EU-Recht und nationales Verfassungsrecht diesen und anderen Ideen im Ministerialentwurf weniger aufgeschlossen gegenüberstehen dürften, fußte lediglich auf einer nahezu einhelligen Einschätzung in den Fachkreisen, dass fundamentale Prinzipien des Unions- und Verfassungsrechts durch einfachen Gesetzes(-hand-)streich nicht ausgehebelt werden können.
Einige Monate später befasst sich also jetzt der Nationalrat mit der runderneuerten Regierungsvorlage zu einem „Bundesgesetz über die Entwicklung und Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes Österreich“ (weiterhin vulgo Standort-Entwicklungsgesetz – StEntG). Heute (7. Dezember 2018) wurde das geänderte Vorhaben im Wirtschaftsausschuss des Nationalrats abgesegnet. Die Grundidee ist noch erkennbar: Standortrelevante Vorhaben im besonderen öffentlichen Interesse der Republik Österreich sollen durch Verordnung zweier Bundesminister (BMDW und BMVIT) besonderen Verfahrensvorschriften unterliegen. Die „Goodies“ sind allerdings weniger einschneidend, als noch im Ministerialentwurf vorgesehen. Anders formuliert: Die deutlichen Anpassungen kulminieren in der veränderten Einschätzung des Verhältnisses zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union. Ein Auszug aus der vereinfachten wirkungsorientierten Folgenabschätzung:
Ministerialentwurf (67/ME) | Regierungsvorlage (372 d.B.) |
Die vorgesehenen Regelungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union. | Die vorgesehenen Regelungen unterliegen den Bestimmungen der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der Fassung der Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014. |
Wenn aber die EU-UVP-Richtlinie (und weitere Schranken, z.B. die UN/ECE-Konvention über UVP-Verfahren bei grenzüberschreitenden Auswirkungen) als zwingender Maßstab anerkannt wird, müssen weniger invasive Möglichkeiten die in der Praxis ausbaufähige Verfahrensökonomie stärken. Angelehnt an zivilprozessuale Vorbilder wird der UVP-Behörde eine straffe Führung des UVP-Verfahrens ermöglicht:
- Den Parteien kann eine Frist für ihr Vorbringen (Stellungnahmen und Beweisanträge) erstattet werden. Verspätung führt zu einem weitgehenden Verlust der Parteirechte (Präklusion).
- Zeitplan für das Ermittlungsverfahren mit Begleitmaßnahmen für die mündliche Verhandlung: Redezeitbeschränkungen, Untersagung von Vorbringen außerhalb des Verhandlungsgegenstandes als unbeachtlich.
- Die Parteien unterliegen einer weitergehenden Pflicht zur Verfahrensförderung (verbunden mit Kostenfolgen für schuldhaft verspätetes Vorbringen).
- Kundmachungen (u.U. auch Zustellungen) erfolgen mittels Edikt.
Über den Genehmigungsantrag hat die Behörde ohne unnötigen Aufschub, spätestens 12 Monate nach Antragstellung zu entscheiden. Gelingt dies nicht, ist das standortrelevante Vorhaben mit Bescheid zu genehmigen, es sei denn das Vorhaben widerspricht unzweifelhaft einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen derart gravierend, dass die Mängel mit Auflagen, Bedingungen, Befristungen, Projektmodifikationen oder Ausgleichsmaßnahmen nicht behoben werden können. In diesem Fall ist der Genehmigungsantrag abzuweisen.
Parallel dazu erhält der Projektwerber eine stärkere Handhabe gegen die Säumnis der UVP-Behörde. Entscheidet diese nämlich nicht binnen 12 Monaten nach Antragstellung, kann der Projektwerber mittels Säumnisbeschwerde (in jedem Fall) erzwingen, dass das Verwaltungsgericht in der Sache entscheiden muss.
Schließlich werden auch Vorkehrungen getroffen, um das Problem übergangener Parteien (Stichwort: Zustellfiktion) noch verfahrensökonomischer zu regeln.
Unser Fazit: Die Regierungsvorlage für ein Standortentwicklungsgesetz ist aus unserer Sicht zu begrüßen: Sie hat das Potential, UVP-Verfahren zu standortrelevanten Vorhaben signifikant zu beschleunigen, ohne gleichzeitig etablierte Verfahrensgarantien und materielle Genehmigungsvoraussetzungen über Bord zu werfen.
Vernünftige Politik sollte zwingendem höherrangigen Recht folgen. Dann ist „weniger“ durchaus „mehr“ und ein neuer Ausgleich zwischen Interessen der Wirtschaft (oder wie hier oft der öffentlichen Unternehmen) und der Umwelt (bzw. den Umweltverbänden) rechtskonform umsetzbar.
Ein weiteres Beispiel gefällig? Kürzlich musste der österreichische Gesetzgeber das Bundes-Umwelthaftungsgesetz an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (C-529/17) anpassen. Der EuGH folgerte scharf, dass die ursprüngliche Definition „jede erhebliche Schädigung der Gewässer“ im österreichischen Bundes-Umwelthaftungsgesetz der einschlägigen EU-Richtlinie widerspreche, weil sie einen „Umweltschaden“ generell und ohne Weiteres ausschließe, wenn der Schaden am Gewässer durch eine Bewilligung in Anwendung des österreichischen Wasserrechtsgesetzes (WRG 1959) gedeckt ist. Weber/Barbist haben dies bereits 2009 (Kurzkommentar Bundesumwelthaftung, Verlag Österreich, 2009) vorhergesehen. Nunmehr erfolgt die Reparatur in BGBl. I Nr. 74/2018 – der Wirtschaftsstandort Österreich wird auch das aushalten.