Kartellrecht in Zeiten von Corona – Sanierungsfusion

Neben Fragen nach der Zulässigkeit von Kooperationen zwischen Wettbewerbern stellen sich in Zeiten einer Wirtschaftskrise auch regelmäßig solche, nach einer Übernahmemöglichkeit von finanziell angeschlagenen Mitbewerbern. Anmeldebedürftige Unternehmenszusammenschlüsse zwischen Wettbewerbern mit gemeinsam hohen Marktanteilen sind nach dem Zusammenschlussrecht oftmals nur schwer (dh meist mit weitgehenden Auflagen) oder gar nicht möglich. Allerdings gibt es hier die wenig genutzte Ausnahme der Sanierungsfusion („failing company defence“), die gerade in Krisenzeiten mehr Bedeutung bekommen kann.

Voraussetzungen der Sanierungsfusion

Konzept der Sanierungsfusion ist, dass der angeschlagene Wettbewerber (Zielunternehmen) ohnedies demnächst aus dem Markt ausgeschieden wäre und damit die Marktanteile auf den Erwerber übergegangen wären. Essentiell ist hier daher, dass es keine anderen Unternehmen gibt, die das Zielunternehmen aufgefangen hätten (bzw auf die Marktanteile entsprechend übergegangen wären).

Marktausscheiden wegen Sanierungsbedürftigkeit

Bekanntlich bedarf ein Zusammenschluss bei Erreichen der relevanten EU- oder österreichischen Umsatz- bzw. Transaktionsschwellen einer vorherigen Anmeldung bei der zuständigen Wettbewerbsbehörde und Freigabe durch diese. Das Vorliegen des Kriteriums der Sanierungsbedürftigkeit des zu übernehmenden Unternehmens und des dadurch in naher Zukunft drohenden Marktausscheidens muss diesfalls daher gegenüber der Wettbewerbsbehörde nachgewiesen werden. Aussagekräftigste Indikatoren dafür sind ein bestehendes Insolvenzverfahren oder die bevorstehende Einleitung eines solchen. Zum Nachweis müssen in der Regel den Wettbewerbsbehörden auch geeignete Unterlagen, wie zB Wirtschaftsprüfergutachten, Kosten- und Marktaustrittsrechnungen, Jahresabschlüsse vorgelegt werden sowie uU auch eine Glaubhaftmachung durch Gesellschafter erfolgen.

Auch eine Sanierungsbedürftigkeit eines Tochterunternehmens oder eines bisher unselbständigen Geschäftsbereiches könnte bei hinreichender wirtschaftlicher und organisatorischer Abgrenzbarkeit vom Restbetrieb eine Übernahme im Wege einer Sanierungsfusion ermöglichen („failing division defence“). Besteht keine hinreichende Abgrenzbarkeit, scheidet eine Sanierungsfusion allerdings mangels wirtschaftlicher Überprüfungsmöglichkeit der Sanierungsbedürftigkeit einzelner Geschäftsbereiche in der Regel aus.

Keine wettbewerblich weniger schädliche Alternative

Die Ausnahme der Sanierungsfusion ist nicht gegeben, wenn Veräußerungsalternativen an andere Interessenten bestehen (und eine solche den Wettbewerb weniger einschränken würde, zB zu einer geringeren Marktanteilsaddition führen würde). Für den Nachweis mangelnder Veräußerungsalternativen verlangen die Wettbewerbsbehörden in der Regel, dass aktive Bemühungen des Veräußerers um alternative Erwerber erfolglos blieben. Eine geeignete Veräußerungsalternative liegt aber nur vor, wenn ein Weiterbetrieb des Unternehmens bei einer Übernahme durch einen alternativen Erwerber tatsächlich kurzfristig in Betracht kommt und damit das Fortbestehen des bisherigen Wettbewerbs längerfristig gewährleistet ist. Überdies müsste eine Veräußerungsalternative auch rechtzeitig vor dem Marktausscheiden realisierbar sein. Ansonsten würde auch bei Veräußerung an den alternativen Erwerber letztendlich der Verlust der Marktposition drohen.

Zufallen der Marktposition des Erwerbers bzw Ausscheiden der Vermögenswerte

Bei diesem Kriterium werden anhand eines Alternativszenarios die Marktverhältnisse ohne Zusammenschluss untersucht. Dh, ob auch ohne Zusammenschluss die Marktposition des ausscheidenden Unternehmens – zumindest weitgehend – auf den Erwerber übergehen würde bzw die relevanten Vermögenswerte (zB Produktionsmittel) aus dem Markt ausscheiden würden. Bei letzterem wird mitberücksichtigt, ob ohne Zusammenschluss eine Verschlechterung der Marktbedingungen durch Versorgungsprobleme und Preissteigerungen wahrscheinlich wäre.

Aktuelle Situation

Obwohl die Voraussetzungen der Sanierungsfusion daher unter normalen Marktbedingungen nur selten erfüllt sein werden (und dieses daher in der Vergangenheit eher ein Schattendasein geführt hat), könnte diese in Zeiten des Coronavirus hilfreich sein. Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Nachweis des Vorliegens dieser Voraussetzungen unter so extremen wirtschaftlichen Bedingungen, wie sie derzeit bestehen, wesentlich erleichtert werden könnte. Das gilt wohl insbesondere, wenn durch die erheblichen finanziellen Einbußen einer großen Anzahl von Unternehmen ein und derselben Branche schneller Handlungsbedarf zur Vermeidung eines kurzfristigen Marktausscheidens derselben besteht. Insbesondere bei drohendem Marktausscheiden von für die Krisenbewältigung wichtigen Unternehmen könnte eine weniger restriktive Handhabung der Nachweispflicht für die Sanierungsfusion durch die Wettbewerbsbehörden angezeigt sein – dies auch im Hinblick auf die Notwendigkeit schneller Gegenmaßnahmen.

Wettbewerbsbehörden könnten eine Sanierungsfusion allerdings auch dann vorläufig ablehnen, sofern ein Marktausscheiden eines sanierungsbedürftigen Unternehmens nicht nur durch Zusammenschluss, sondern auch durch eine für die Krisenzeit befristete Kooperation, wie zB bei Einkauf, Produktion oder Logistik, verhindert werden kann. Dabei wird aber zu bedenken sein, dass Kooperationen immer nur in gewissen und meist relativ beschränkten Bereichen möglich sind (abgesehen davon, dass auch hier die richtigen Kooperationspartner verfügbar sein müssen). Ein Zusammenschluss hingegen kann wesentlich weitergehend und auch mittel- bis langfristig Effizienzen, zB im Kosten- oder Personalbereich, heben. Je nachdem wird man daher entscheiden, welches Instrumentarium für die derzeitige Herausforderung am besten geeignet ist.

 

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