GWB-Digitalisierungsgesetz: Deutschlands Alleingang gegen die Tech-Giganten
2020 könnte man im Kartellrecht rückblickend als das Jahr des „Big Tech“ bezeichnen. Beinahe im Wochentakt leiteten Kartellbehörden auf der ganzen Welt Verfahren gegen Google, Amazon und Facebook ein. Die enorme Marktmacht dieser Unternehmen und die Ohnmacht der Behörden wirkungsvoll dagegen vorzugehen, trat zudem umfassende Regulierungsdiskussionen los. Während auf EU-Ebene derzeit an einer gesamteuropäischen Lösung gearbeitet wird, entschied sich Deutschland mit dem neuen GWB-Digitalisierungsgesetz für einen eigenen Weg und nimmt damit eine internationale Vorreiterrolle bei der Regulierung digitaler Märkte ein.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen (kurz „GWB-Digitalisierungsgesetz“) traten am 19.01.2021 zahlreiche Gesetzesänderungen in Kraft. Erklärtes Ziel der Novelle ist die Offenhaltung der Märkte, die Förderung von Innovation durch neue Datenzugangsregeln und die rasche Unterbindung von etwaigem Missbrauchsverhalten von Big Tech Unternehmen. Auf Verfahrensebene soll dem deutschen Bundeskartellamt („BKartA“) ein schnelleres und effizienteres Handeln ermöglicht werden. Das GWB-Digitalisierungsgesetz kann damit als weltweit erster Vorstoß eines nationalen Gesetzgebers unmittelbar gegen die Big Tech Unternehmen angesehen werden. Es handelt sich hierbei – glaubt man Hansjörg Durz (CSU) – um die Geburtsstunde der sozialen digitalen Marktwirtschaft.
§ 19a GWB – Marsch auf die GAFAs?
Als Herzstück der Novelle betrifft § 19a GWB das missbräuchliche Verhalten von Unternehmen mit überragender Bedeutung für den Wettbewerb und richtet sich dabei erstrangig an die sogenannten GAFAs (Google, Amazon, Facebook, Apple). Das BKartA kann nun mit einer befristeten Verfügung feststellen, dass ein Unternehmen für den Wettbewerb von überragender Bedeutung, das heißt besonders marktmächtig ist. Darauf aufbauend, können dem Unternehmen ohne vorhergehendes Verfahren bestimmte wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen untersagt werden, so etwa die Bevorzugung eigener Angebote beim Vermitteln des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten oder die Behinderung des Wettbewerbs durch Erschweren oder Verweigern der Interoperabilität von Produkten.
Von der Aufzählung der untersagungsfähigen Praktiken in § 19a Abs. 2 GWB sind jene in Z. 2, Z. 4 und Z. 7 besonders interessant:
- Z. 2 verbietet etwa die Behinderung von Unternehmen, die mit einem der GAFAs zwar nicht unmittelbar in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, für die der Marktzugang aber dennoch von Bedeutung ist. In der Gesetzesbegründung wird als Beispiel die Vorinstallation einer Suchmaschine in Browsern, auf mobilen sowie Desktop-Geräten und Sprachassistenten genannt. Ein Schelm, wer dabei an Google denkt.
- Z. 4 erlaubt es dem BKartA, Unternehmen zu verbieten, die Nutzung von Diensten davon abhängig zu machen, dass der Nutzer der Verarbeitung von Daten aus anderen Diensten des Unternehmens oder eines Drittanbieters zustimmt, ohne dass ihm dabei ausreichend Wahlmöglichkeiten eingeräumt werden. Dem geht das noch laufende Facebook-Verfahren (B-22/16) voraus, im Zuge dessen Facebook Anfang 2019 durch das BKartA untersagt wurde, Nutzern die Einwilligung in die Zusammenführung ihrer Daten mit solchen, die Facebook auf unternehmenszugehörigen Drittdiensten wie z.B. Instagram oder Oculus sammelt, abzuverlangen.
- Z. 7 erlaubt es dem BKartA künftig zu verbieten, dass für die Behandlung von Angeboten eines anderen Unternehmens Vorteile gefordert werden, die in keinem Verhältnis zum Grund der Forderung stehen. Als Inspirationsquelle dienten hier wohl Google und Amazon, die sich von ihren gewerblichen Kunden weitreichende Nutzungsrechte an deren Verkaufsmaterialen einräumen ließen.
§ 73 Abs 5 GWB – Missbrauchsverfahren im Eiltempo
Der deutsche Bundesgerichtshof („BGH“) entscheidet künftig in erster und letzter Instanz über alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit § 19a GWB, einschließlich aller selbstständig anfechtbaren Verfahrenshandlungen. Hintergrund ist, dass sich strukturelle Schäden auf digitalen Märkten nach einem langwierigen Gerichtsverfahren oft nicht mehr beheben lassen. Für andere Beschwerden, die nicht § 19a GWB betreffen, bleibt weiterhin das Oberlandesgericht Düsseldorf in erster Instanz zuständig.
EU-Digital Markets Act vs. § 19a GWB
Der neu gefasste § 19a GWB steht im Spannungsverhältnis mit einem europäischen Verordnungsentwurf, dem Digital Markets Act („DMA“). Der Entwurf spricht der Europäischen Kommission hinsichtlich besonders mächtiger Online-Plattformen (auch hier sind vorrangig die GAFAs gemeint) umfassende Regulierungsrechte zu. Es soll zukünftig möglich sein, diesen Plattformen bestimmte Praktiken per se zu untersagen, so etwa Selbstbevorzugung, Zusammenführung von Plattformnutzerdaten mit Daten aus Drittdiensten und Interoperabilitätsbeschränkungen. Vergleicht man den DMA und das GWB-Digitalisierungsgesetz, findet man eine Vielzahl übereinstimmender Regelungen. Das wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis diese beiden Vorschriften zukünftig stehen werden.
Im Unterschied zum GWB-Digitalisierungsgesetz handelt es sich beim DMA grundsätzlich nicht um ein Regelwerk zum Schutz des Wettbewerbsrechts. Kompetenzgrundlage des DMA ist nicht Art 103 AEUV, der für die Verwirklichung der Art 101 und 102 AEUV vorgesehen ist, sondern Art 114 AEUV, der das Binnenmarktrecht mit Harmonisierungsabsicht normiert. Die Europäische Kommission stützt diese Entscheidung darauf, dass es für das Funktionieren digitaler Märkte einer einheitlichen Lösung bedarf. Es handelt sich demnach um eine Art sektorspezifisches Regulierungsrecht, welches beispielsweise im Telekommunikationssektor bereits existiert. Vorschriften des nationalen Kartellrechts werden dabei grundsätzlich nicht berührt, dennoch macht Art. 1 Abs. 5 erster Satz DMA explizit klar, dass eine Vollharmonisierung angestrebt wird: „Member States shall not impose on gatekeepers further obligations by way of laws, regulations or administrative action for the purpose of ensuring contestable and fair markets.“ Demzufolge hätte § 19a GWB nach Inkrafttreten der Verordnung in ca. ein bis zwei Jahren praktisch keine Bedeutung mehr, da die Mitgliedsstaaten von der Anwendung eigener, nationaler Vorschriften ausgeschlossen wären. Bis es so weit ist, hat das BKartA aber noch ausreichend Gelegenheit, den neuen § 19a GWB anzuwenden.
Und wie geht es jetzt weiter?
Bereits kurz nach Inkrafttreten des GWB-Digitalisierungsgesetzes kündigte das BKartA bereits an, sein laufendes Missbrauchsverfahren gegen Facebook in Hinblick auf die Verknüpfung von Oculus-Virtual-Reality-Produkten mit dem firmeneigenen sozialen Netzwerk auszuweiten und dabei zu prüfen, ob Facebook unter die neuen Regelungen des § 19a GWB fällt.
Es gilt nun zu beobachten, wie das BKartA in den ersten Anwendungsfällen mit seinen neuen Befugnissen umgeht, wie der BGH darauf reagiert und welche Rückschlüsse die Europäische Kommission daraus für den DMA zieht. Im Mittelpunkt sollte dabei keinesfalls das Kräftemessen zwischen dem deutschen BKartA und der Europäischen Kommission stehen, sondern vielmehr die Frage, ob es nun endlich gelingt, GAFAs in ein wirkungsvolles normatives Korsett einzubinden.
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