EU-Harmonisierung im Insolvenzrecht schreitet voran – Vorschlag für eine neue Richtlinie liegt vor
Am 7. Dezember 2022 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts (COM(2022) 702 final) (der „Kommissionsvorschlag“) veröffentlicht, der eine weitere Harmonisierung im Zusammenhang mit Insolvenzen innerhalb der Europäischen Union bringen soll. Der Kommissionsvorschlag kommt insofern nicht überraschend, als die Kommission bereits im Rahmen ihres Aktionsplans zum Aufbau einer europäischen Kapitalmarktunion eine weitere Harmonisierung in Aussicht gestellt hat. Andererseits wurde die jüngste Harmonisierungsinitiative in diesem Bereich, die Richtlinie (EU) 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz („RIRL“), noch nicht einmal in allen Mitgliedstaaten umgesetzt. Im Folgenden sollen ausgewählte Aspekte des Kommissionsvorschlags zusammengefasst und analysiert werden, einschließlich erster Überlegungen zu möglichen Folgen für Österreich. Vorausgreifend kann bereits festgehalten werden, dass Pre-pack-Verfahren und vereinfachte Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen voraussichtlich den größten Änderungsbedarf in Österreich bringen würden.
1. Hintergrund und Gegenstand des Kommissionsvorschlags
Wie schon bei früheren Gelegenheiten wird in der Begründung des Kommissionsvorschlags erneut hervorgehoben, dass das Insolvenzrecht als Schlüsselbereich für die Verwirklichung einer echten Kapitalmarktunion identifiziert wurde. Der Umfang von grenzüberschreitenden Investitionen und Geschäftsbeziehungen kann demnach ohne größere Übereinstimmung bei den Insolvenzvorschriften sein Potenzial nicht ausschöpfen. Hauptziel der vorgeschlagenen Richtlinie ist es, zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beizutragen und Hindernisse für die Ausübung der Grundfreiheiten zu beseitigen, die sich aus Unterschieden zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Verfahren im Bereich des Insolvenzrechts ergeben (ErwGr 1 des Kommissionsvorschlags – Verweise in diesem Beitrag sind, wenn nicht anders angegeben, Verweise auf den Kommissionsvorschlag).
Aus diesem Grund soll eine Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts erfolgen, die sich auf die folgenden Themen konzentriert (siehe auch Art 1 Abs 1):
- Anfechtungsklagen;
- Aufspürung von zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögenswerten;
- Pre-pack-Verfahren;
- die Pflicht der Unternehmensleitung, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen;
- Vereinfachte Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen;
- Gläubigerausschüsse;
- Ausarbeitung eines Merkblatts mit wesentlichen Informationen über bestimmte Elemente ihres nationalen Insolvenzverfahrensrechts durch die Mitgliedstaaten.
Ähnlich wie andere europäische Gesetzgebungsinitiativen in diesem Bereich soll die vorgeschlagene Richtlinie nicht für Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute und dergleichen und auch nicht für natürliche Personen mit Ausnahme von Unternehmern gelten (Art 1 Abs 2).
2. Anfechtungsklagen (Titel II, Art 4 bis 12)
Art 4 bis 12 behandeln gemeinsame Regeln für Anfechtungsklagen, um den Wert der Insolvenzmasse für die Gläubiger zu schützen (ErwGr 5). Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte zusammengefasst, ergänzt um einige Anmerkungen aus Sicht des österreichischen Rechts:
2.1 Strengere Bestimmungen im nationalen Recht zulässig (Art 5)
Der Kommissionsvorschlag hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Vorschriften zu erlassen oder beizubehalten, die im Vergleich zum Kommissionsvorschlag einen besseren Schutz der Gesamtheit der Gläubiger vorsehen. Wie im Folgenden dargestellt, ist dies auch für das österreichische Recht von Bedeutung.
2.2 Bevorzugung (Art 6)
Rechtshandlungen, die einen Gläubiger oder eine Gruppe von Gläubigern durch Befriedigung, Besicherung oder in sonstiger Weise begünstigen, können für nichtig erklärt werden, wenn sie (i) innerhalb von drei Monaten vor Einreichung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sofern der Schuldner nicht in der Lage war, seine fälligen Schulden zu begleichen, oder (ii) nach Einreichung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vollendet wurden (Art 6 Abs 1).
Bei sogenannten kongruenten Deckungen (ErwGr 8), wenn also eine fällige Forderung eines Gläubigers in der geschuldeten Weise befriedigt oder gesichert wurde, kann eine Rechtshandlung nur dann für nichtig erklärt werden, wenn der betreffende Gläubiger darüber hinaus wusste oder hätte wissen müssen, dass der Schuldner nicht in der Lage war, seine fälligen Schulden zu begleichen, oder dass ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eingereicht worden ist (bei nahestehenden Parteien wird die Kenntnis des Gläubigers vermutet (Art 6 Abs 2).
Nach Art 6 Abs 3 lit a sind unter anderem Rechtshandlungen, die unmittelbar gegen eine angemessene Gegenleistung zu Gunsten der Insolvenzmasse vorgenommen werden, von dieser Anfechtungsvorschrift ausgenommen.
Was heißt das für Österreich?
Die Anforderungen des Art 6 scheinen bereits großteils durch die §§ 30 und 31 der österreichischen Insolvenzordnung („IO“) abgedeckt zu sein, die (i) eine Anfechtung von während materieller Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach der IO) erfolgten Befriedigungen oder Besicherungen (ii) abgestellt auf einen Zeitraum von bis zu einem Jahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ermöglichen. Die Tatsache, dass der Kommissionsvorschlag die Frist an die Einreichung des Eröffnungsantrags und nicht an die Eröffnung selbst knüpft, sollte uE aufgrund der insgesamt deutlich längeren österreichischen Anfechtungsfrist zu keinem Änderungsbedarf in Österreich führen. Auch das Konzept der kongruenten und inkongruenten Erfüllungen und Besicherungen wird in § 30 IO geregelt. Schließlich sehen §§ 30, 31 IO auch eine Zug-um-Zug-Ausnahme für Rechtshandlungen vor, die unmittelbar gegen eine angemessene Gegenleistung vorgenommen werden, sowie eine Beweislastumkehr bei nahestehenden Personen. Anzumerken ist, dass Art 6 scheinbar nur an die Zahlungsunfähigkeit anknüpft („der Schuldner nicht in der Lage war, seine fälligen Schulden zu begleichen“). Die Bestimmungen im österreichischen Recht sind strenger, da §§ 30 und 31 IO sowohl an die Zahlungsunfähigkeit als auch an die Überschuldung im Sinne der IO anknüpfen. Diese Unterscheidung ist nicht nur theoretischer Natur, weil Überschuldung oft deutlich früher als Zahlungsunfähigkeit eintritt und Insolvenzverwalter auch regelmäßig damit argumentieren. Solche strengeren nationalen Vorschriften sind zulässig (siehe oben Punkt 2.1), jedoch könnte der Kommissionsvorschlag – falls vom österreichischen Gesetzgeber gewollt – den Weg für eine Aufweichung der bestehenden Regelungen ebnen.
2.3 Rechtshandlungen ohne Gegenleistung oder gegen eine offensichtlich nicht angemessene Gegenleistung (Art 7)
Rechtshandlungen ohne oder gegen eine offensichtlich nicht angemessene Gegenleistung können für nichtig erklärt werden, wenn sie innerhalb einesJahres vor Einreichung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Einreichung des Antrags vollendet worden sind (Art 7 Abs 1). Dies gilt nicht für Zuwendungen und Spenden von symbolischem Wert (Art 7 Abs 2).
Was heißt das für Österreich?
Auch diese Bestimmung dürfte aus unserer Sicht bereits weitgehend durch § 29 IO abgedeckt sein, der eine Anfechtung von unentgeltlichen und ihnen gleichgestellten Rechtshandlungen bis zu zwei Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässt. Anzumerken ist noch, dass das österreichische Recht eine weitere Ausnahme vorsieht, nämlich wenn eine solche Rechtshandlung zur Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung vorgenommen wurde.
2.4 Rechtshandlungen, die die Gläubiger absichtlich benachteiligen (Art 8)
Schließlich können absichtlich benachteiligende Rechtshandlungen für nichtig erklärt werden, wenn (i) diese Rechtshandlungen entweder innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren vor Einreichung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Einreichung eines solchen Antrags vollendet wurden und (ii) die andere Partei der Rechtshandlung wusste oder hätte wissen müssen, dass der Schuldner die Absicht hatte, einen Nachteil für die Gesamtheit der Gläubiger zu verursachen. Wie in Art 6 Abs 2 wird auch hier eine Beweislastumkehr für nahestehende Parteien statuiert (Art 8 Abs 1).
Was heißt das für Österreich?
Das österreichische Recht ist in Bezug auf absichtlich benachteiligende Handlungen teils strenger und teils weniger streng als der Kommissionsvorschlag. Nach § 28 Abs 1 IO können Rechtshandlungen bis zu zehn Jahre vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefochten werden, wenn der andere Teil wusste, dass der Schuldner in der Absicht handelte, seine Gläubiger zu benachteiligen. Wusste der andere Teil nicht von dieser Absicht, hätte er jedoch davon wissen müssen, beträgt die Anfechtungsfrist „nur“ zwei Jahre vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Sollte der Kommissionsvorschlag in der aktuellen Form in eine beschlossene Richtlinie einfließen, gäbe es im letzteren Punkt Änderungsbedarf im österreichischen Recht.
2.5 Folgen von Anfechtungsklagen (Art 9 bis 12)
Die Folgen von (erfolgreichen) Anfechtungsklagen bestehen vor allem darin, dass (i) Forderungen, Rechte oder Pflichten, die sich aus für nichtig erklärten Rechtshandlungen ergeben, nicht geltend gemacht werden können, um aus der Insolvenzmasse befriedigt zu werden, (ii) die andere Partei den durch die nichtig erklärte Rechtshandlung der Insolvenzmasse verursachten Nachteil ausgleichen muss und (iii) die Aufrechnung mit Anfechtungsansprüchen der Insolvenzmasse ausgeschlossen ist (Art 9 Abs 5). Die Verjährungsfrist für Anfechtungsansprüche soll drei Jahre ab Insolvenzeröffnung betragen.
Mitgliedsstatten sollen schließlich sicherstellen, dass Anfechtungsansprüche an Gläubiger oder Dritte abgetreten werden können (Art 9 Abs 4).
Was heißt das für Österreich?
Im Großen und Ganzen scheinen die Bestimmungen des Kommissionsvorschlags über die Folgen von Anfechtungsklagen den §§ 38 bis 43 IO zu entsprechen. Besonders hervorzuheben ist, dass die Verjährungsfrist für alle Ansprüche aus einer anfechtbaren Rechtshandlung drei Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens beträgt (Art 9 Abs 3) und daher wesentlich länger als die Einjahresfrist des § 43 Abs 2 IO ist; eine dreijährige Frist erscheint mit Blick auf die Interessen anderer Parteien auf Planungssicherheit zu lange. Das Erfordernis, dass Anfechtungsansprüche der Insolvenzmasse auch an einen Gläubiger oder einen Dritten abtretbar sein sollen, ist in Österreich seit der OGH-Entscheidung 17 Ob 6/19k erfüllt (aber noch nicht explizit in der IO geregelt). Der Ausschluss einer Aufrechnungsmöglichkeit mit Anfechtungsansprüchen der Insolvenzmasse entspricht § 42 IO.
Insgesamt sei noch darauf hinzuweisen, dass die Terminologie zwischen IO und Kommissionsvorschlag teilweise ähnlich, aber nicht gänzlich übereinstimmend ist. Diskussionen sind in diesem Zusammenhang nicht auszuschließen.
2.6 Verhältnis zur RIRL (Art 12)
Art 12 stellt klar, dass die Bestimmungen im Kommissionsvorschlag Art 17 und 18 RIRL unberührt lassen. Zahlungen oder Besicherungen im Zusammenhang mit Neu- oder Zwischenfinanzierungen, die im Rahmen eines Restrukturierungsversuchs nach der RIRL gewährt werden, gelten als Rechtshandlungen, die unmittelbar gegen eine angemessene Gegenleistung zugunsten der Insolvenzmasse vorgenommen werden (ErwGr 10).
Zusammenfassung aus österreichischer Sicht
Insgesamt sollten die Anfechtungsbestimmungen des Kommissionsvorschlags uE keinen nennenswerten Änderungsbedarf in Österreich auslösen. Das österreichische Recht ist in vielen Aspekten strenger als die Bestimmungen des Kommissionsvorschlags; gemäß Art 5 ist dies zulässig. Wie erwähnt würde der Kommissionsvorschlag daher wohl nur ein paar geringfügige Änderungen im österreichischen Recht erfordern. Ob auch eine breitere Diskussion zum derzeitigen österreichischen Anfechtungsregime (wieder-)entfacht wird (etwa über die Tatsache, dass die §§ 30, 31 IO auch an die insolvenzrechtliche Überschuldung anknüpfen), bleibt abzuwarten.
3. Pre-pack-Verfahren (Titel IV, Art 19 bis 35)
Art 19 bis 35 enthalten detaillierte Bestimmungen zu Pre-pack-Verfahren – ein Sanierungsinstrument, das es in vielen Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, noch nicht gibt. Die Europäische Kommission nutzt das Momentum aus dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Heiploeg vom 28. April 2022 (C-237/20), in welchem der EuGH ausgeführt hat, unter welchen Bedingungen ein Pre-pack-Verfahren unter die Insolvenzausnahme des Art 5 Abs 1 der Richtlinie (EU) 2001/23/EG über den Übergang von Unternehmen („Betriebsübergangs-RL“) fallen kann. Der Kommissionsvorschlag verweist ausdrücklich auf diese Quellen und stellt klar, dass nicht beabsichtigt ist, den Arbeitnehmerschutz gemäß der Betriebsübergangs-RL zu beeinträchtigen (siehe Seite 4 des Kommissionsvorschlags).
Die Bestimmungen über Pre-pack-Verfahren sind von der generellen Annahme getragen, dass bei einer Liquidation mehr Wert erzielt werden kann, wenn das Unternehmen oder Teile davon als fortgeführtes Unternehmen (going-concern) verkauft werden, als bei einer stückweisen Liquidation. Dies soll dadurch gefördert werden, dass ein in finanzieller Notlage befindlicher Schuldner mit Hilfe eines „Sachwalters“ (uE wenig geglückte Übersetzung vom englischen „Monitor“) mögliche Kaufinteressenten sucht und den Verkauf des Unternehmens going-concern bereits vor der förmlichen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorbereiten kann, sodass die Vermögenswerte kurz nach Verfahrenseröffnung rasch verwertet werden können. Pre-pack-Verfahren bestehen daher aus zwei Phasen, nämlich einer Vorbereitungsphase und einer Liquidationsphase (ErwGr 22).
Im Folgenden wird ein genereller Überblick zu diesem Thema gegeben werden. Da es in Österreich bislang keinen formellen Rahmen für Pre-pack-Verkäufe gibt, werden erst am Ende dieses Abschnitts zusammenfassende Anmerkungen aus österreichischer Sicht gemacht.
3.1 Allgemeines (Art 19 und 20)
- (Kein) Eingriff in nationales Insolvenzrecht: Pre-pack-Verfahren nach nationalem Recht müssen die Bedingungen in Titel IV des Kommissionsvorschlags erfüllen. Für alle übrigen Fragen, einschließlich der Rangfolge der Forderungen und der Regeln für die Verteilung des Erlöses, gelten die Bestimmungen der nationalen Liquidationsverfahren (gemeint sind insolvenzrechtliche Liquidationsverfahren), sofern sie mit dem Unionsrecht und den Bestimmungen über Pre-pack-Verfahren vereinbar sind (Art 19 Abs 2).
- Verhältnis zu anderen EU-Rechtsakten: Die Liquidationsphase im Rahmen des Kommissionsvorschlags gilt als Insolvenzverfahren im Sinne der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren („EuInsVO 2015“) (dies bringt insbesondere Rechtssicherheit in Bezug auf die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und Anerkennungsfragen) und gilt auch als Konkurs- oder Insolvenzverfahren im Sinne von Art 5 Abs 1 der Betriebsübergangs-RL (dies ist die bereits erwähnte Orientierung am Heiploeg-Urteil des EuGH) (Art 20).
3.2 Vorbereitungsphase (Art 22 bis 24)
- Sachwalter (Monitor): Das Gericht bestellt auf Antrag des Schuldners einen Sachwalter. Der Sachwalter hat (i) jeden Schritt des Verkaufsprozesses zu dokumentieren und offenzulegen, (ii) zu begründen, inwiefern der Verkaufsprozess als wettbewerbsbestimmt, transparent und fair angesehen werden kann und den Marktstandards entspricht, (iii) den Bieter mit dem besten Gebot als Pre-pack-Käufer vorzuschlagen und (iv) anzugeben, ob das beste Gebot seiner Einschätzung nach keinen offensichtlichen Verstoß gegen das Kriterium des Gläubigerinteresses darstellt (Art 22 Abs 1 und 2) – kurz gesagt: der Sachwaltersoll sicherstellen, dass der Verkaufsprozess nicht missbraucht wird und zum bestmöglichen Ergebnis führt.Sachwalter müssen die für Insolvenzverwalter geltenden Zulassungskriterien erfüllen und können in der anschließenden Liquidationsphase auch tatsächlich als Insolvenzverwalter bestellt werden (Art 22 Abs 3). Im Falle der Nichterfüllung seiner Pflichten haftet er für Schäden (Art 31).
- Schuldner in Eigenverwaltung: Der Schuldner muss während der Vorbereitungsphase die Kontrolle über seine Vermögenswerte und den täglichen Betrieb des Unternehmens behalten (Art 22 Abs 4).
- Aussetzung: Befindet sich der Schuldner in einer Situation, in der er wahrscheinlich insolvent oder nach nationalem Recht zahlungsunfähig ist, ist er gemäß Art 23 berechtigt, die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen im Sinne der Art 6 und 7 RIRL zu beanspruchen. Dies steht im Einklang mit der hinter der RIRL stehenden Überlegung, dass präventive Restrukturierungsrahmen nicht notwendigerweise ein formalisiertes Verfahren sein sollen, sondern als modulares System gedacht sind, bei dem Schuldner im Einzelfall nach Bedarf zwischen verschiedenen Instrumenten wählen können sollen. Der Verweis auf die RIRL umfasst aus unserer Sicht nicht nur eine Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen als solche, sondern auch ein Ruhen der Insolvenzantragspflicht (Art 7 Abs 1 RIRL) sowie eines Aufschubs des Rechts der Gläubiger, einen Insolvenzantrag zu stellen (Art 7 Abs 2 RIRL).
- Nicht-öffentliches Verfahren: Der Kommissionsvorschlag sieht keine Veröffentlichung der Vorbereitungsphase vor, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass sie nicht öffentlich sein soll (siehe jedoch zur Bekanntmachung an mögliche Kaufinteressenten im Folgenden).
- Für den Verkaufsprozess geltende Grundsätze: Es ist sicherzustellen, dass (i) der Verkaufsprozess wettbewerbsbestimmt, transparent und fair ist und den Marktstandards entspricht (Art 24 Abs 1) und (ii) in Fällen, in denen im Verkaufsprozess nur ein einziges verbindliches Angebot eingeht, davon ausgegangen wird, dass dieses Angebot dem Marktpreis des Unternehmens entspricht (Art 24 Abs 2). In diesem Prozess spielt der Sachwalter eine wesentliche Rolle und ist auch dafür verantwortlich, dass der Verkauf diesen Standards entspricht (siehe bereits oben). Die Einhaltung der Marktstandards in diesem Zusammenhang setzt dem Kommissionsvorschlag zufolge voraus, dass das Verfahren mit den normalen Vorschriften und der üblichen Praxis in Bezug auf Zusammenschlüsse und Übernahmen in den betreffenden Mitgliedstaaten vereinbar ist, was eine Einladung von potenziell interessierten Parteien zur Teilnahme am Verkaufsprozess, die Offenlegung der gleichen Informationen an potenzielle Käufer, die Ermöglichung der Ausübung der Sorgfaltspflicht durch interessierte Käufer und die Einholung der Angebote der interessierten Parteien im Wege eines strukturierten Prozesses einschließt (ErwGr 26). Mitgliedstaaten können von den oben genannten Bestimmungen abweichen, wenn das Gericht in der Liquidationsphase eine öffentliche Auktion durchführt (Art 24 Abs 3, siehe unten).
3.3 Liquidationsphase (Art 25 bis 29)
- Wiederbestellung des Sachwalters: Das Gericht hat den Sachwalter in der Liquidationsphase als Insolvenzverwalter zu bestellen (Art 25).
- Verkauf auf Grundlage eines Vorschlags des Sachwalters oder einer öffentlichen Auktion: Der Verkauf erfolgt entweder (i) an den vom Sachwalter vorgeschlagenen Käufer, sofern der Sachwalter in einer Stellungnahme bestätigt hat, dass der in der Vorbereitungsphase durchgeführte Verkaufsprozess den oben genannten formalen Anforderungen genügt (Art 26 Abs 1), oder (ii) es wird eine öffentliche Auktion gemäß Art 24 Abs 3 durchgeführt, die nicht länger als vier Wochen dauert und innerhalb von zwei Wochen nach Eröffnung der Liquidationsphase eingeleitet wird. In letzterem Fall dient das vom Sachwalter ausgewählte Angebot als „Stalking-Horse-Gebot“ (ErwGr 27) und wird als erstes Gebot in der öffentlichen Auktion verwendet (Art 26 Abs 2).
- (Automatische) Abtretung oder Kündigung noch zu erfüllender Verträge: Noch zu erfüllende Verträge des Schuldners, die für die Weiterführung der Geschäftstätigkeit des Schuldners erforderlich sind und deren Aussetzung die Geschäftstätigkeit zum Erliegen brächte, werden automatisch und ohne Zustimmung des Schuldners oder der Gegenpartei an den Käufer abgetreten (Art 27 Abs 1, der nicht gilt, wenn der Käufer ein Wettbewerber der Gegenpartei des Schuldners ist). Nur das Gericht kann die Kündigung eines noch zu erfüllenden Vertrags beschließen, wenn die Kündigung im Interesse des Unternehmens des Schuldners oder eines Teils davon ist (für alternative Kündigungsbedingungen siehe Art 27 Abs 2). Darlehens- und Kreditverträge sind uE nicht als noch zu erfüllende Verträge zu betrachten. Dasselbe gilt für Arbeitsverträge (sonst würde der oben erwähnte Verweis auf die Betriebsübergangs-RL keinen Sinn ergeben).
- Keine Erwerberhaftung: Käufer erwerben das Unternehmen des Schuldners (oder den betreffenden Teil davon) frei von Schulden und Verbindlichkeiten, es sei denn, der Käufer stimmt ausdrücklich zu (Art 28).
3.4 Kriterien für die Auswahl des besten Angebots (Art 30 und 35)
- Nationales Recht gilt: Die Kriterien für die Auswahl des besten Angebots im Pre-pack-Verfahren müssen den Kriterien entsprechen, die in Liquidationsverfahren für die Wahl zwischen konkurrierenden Angeboten angewendet werden (Art 30).
- Transaktionsrisiken können zum Ausschluss führen: Besteht eine erhebliche Gefahr für eine Verzögerung durch ein wettbewerbsrechtliches Verfahren oder eine ablehnende Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde so hat der Sachwalter die Einreichung weiterer Gebote zu erleichtern (Art 35 Abs 1). Besteht bei einem Angebot ein erhebliches Verzögerungsrisiko aufgrund der genannten Gründe, so kann dieses Angebot unberücksichtigt bleiben, sofern es nicht das einzige bestehende Angebot ist und die Verzögerung des Abschlusses des Pre-pack-Verkaufs mit dem betreffenden Bieter zu einem Schaden für das Unternehmen des Schuldners oder einen Teil davon führen würde (Art 35 Abs 3). Nachdem auch andere Transaktionsrisiken (zB Investitionskontrolle) bestehen können, erscheint der nur auf wettbewerbsrechtliche Verfahren abstellende Wortlaut des Kommissionsvorschlags zu eng.
3.5 Strengerer Maßstab bei dem Schuldner nahestehenden Bietern (Art 32)
- Zusätzliche Schutzmechanismen: Wahrscheinlich mit Blick auf die kontroversen Diskussionen über sogenannte „Phönix-Pre-packs“ sieht Art 32 strengere Maßstäbe bei dem Schuldner nahestehenden Parteien vor. Unter anderem muss (i) der Umstand der Nahebeziehung dem Sachwalter und dem Gericht zeitnah offengelegt werden, (ii) andere am Verkaufsprozess beteiligte Parteien müssen angemessene Informationen über die Existenz solcher nahestehenden Parteien erhalten und (iii) nicht nahestehenden Parteien muss ausreichend Zeit für die Abgabe eines Angebots eingeräumt werden (Art 32 Abs 1).
- Verstöße können zu Erwerberhaftung führen: Mitgliedsstaaten können vorsehen, dass Verstöße gegen solche Offenlegungspflichten dazu führen, dass das Gericht die Begünstigungen gemäß Art 28 (siehe oben) widerrufen kann, was zu einer möglichen Erwerberhaftung für die Verbindlichkeiten des insolventen Verkäufers führen kann (Art 32 Abs 1 aE). Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung scheinen aber auch andere Sanktionen möglich.
- Kriterium des Gläubigerinteresses muss erfüllt sein: Ist das Angebot der nahestehenden Partei das einzige vorhandene Angebot, müssen die Mitgliedstaaten zusätzliche Schutzmaßnahmen einführen, die zumindest die Pflicht des Sachwalters umfassen, ein Angebot abzulehnen, wenn es nicht das Kriterium des Gläubigerinteresses erfüllt (Art 32 Abs 2). Warum diese Prüfung lediglich an Angebote nahestehender Parteien geknüpft werden soll (in anderen Fällen muss der Sachwalter „nur“ darlegen, warum es sich nicht um einen offensichtlichen Verstoß gegen dieses Kriterium handelt, siehe weiter oben zu Art 22 Abs 2), ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar; ein Pre-pack-Verkauf sollte in jedem Fall zumindest denselben oder einem höheren Erlös erzielen als eine Zerschlagung des Unternehmens (falls nicht, sollte ein solcher Verkauf nicht genehmigt werden).
3.6 Wertmaximierende Maßnahmen (Art 33)
- Vorrang von Zwischenfinanzierungen: Um den Wert des Unternehmens des Schuldners zu maximieren, werden erforderliche Zwischenfinanzierungen in einem späteren Insolvenzverfahren vorrangig behandelt und den Gebern von Zwischenfinanzierungen können zur Besicherung der Rückzahlung Sicherungsrechte am Verkaufserlös eingeräumt werden.
- Kaufpreisverrechnung: Darüber hinaus dürfen Zwischenfinanzierungen mit dem im Rahmen eines Angebots zu zahlenden Kaufpreis verrechnet werden, wenn sie von interessierten Bietern gewährt wurden (sogenanntes „credit bidding“).
3.7 Gläubigerschutz (Art 34)
- Rechtliches Gehör: Sowohl Gläubiger als auch Anteilseigner haben das Recht, vor der Genehmigung oder Ausführung des Verkaufs des Unternehmens des Schuldners oder eines Teils davon vom Gericht gehört zu werden. Das muss nicht gelten, wenn Gläubigern oder Anteilseignern nach den normalen Liquidationsprioritäten keine Zahlung oder Beteiligung zusteht (Art 34 Abs 2 lit a) oder Gläubiger noch zu erfüllender Verträge vom Verfahren nicht betroffen sind (Art 34 Abs 2 lit b).
- Freigabe von Sicherheiten: Die Freigabe von Sicherungsrechten erfolgt im Pre-pack-Verfahren unter den gleichen Voraussetzungen wie in Liquidationsverfahren (Art 34 Abs 3). Aus Sicht des österreichischen Rechts bedeutet dies insbesondere, dass das Sicherungsgut nicht ohne Verwendung des Nettoverkaufserlöses zur Abdeckung der besicherten Schuld gegenüber dem Absonderungsgläubiger auf einen Erwerber übertragen werden kann (siehe insbesondere § 120 IO).
- Weitergehender Schutz nach nationalem Recht zulässig: Die Tatsache, dass Pre-pack-Verfahren über die Vorgaben des Kommissionsvorschlags hinaus nicht in andere Bestimmungen des nationalen Insolvenzrechts eingreifen sollen bedeutet, dass zusätzliche Schutzmechanismen nach nationalem Recht (wie Rechtsmittel, Akteneinsicht, Gläubigerausschüsse etc) bestehen bleiben oder eingeführt werden können.
Was heißt das für Österreich?
Insgesamt zeigen die praktische Relevanz und der wohl argumentierbare Erfolg von Pre-pack-Verfahren in den USA, England und – bis zur EuGH-Rechtsprechung zu Smallsteps and Plessers – auch in EU-Mitgliedstaaten wie den Niederlanden oder Belgien, dass solche Verfahren ein wertvolles und praktisches Instrument zur Sicherung der Unternehmenskontinuität, des Werterhalts sowie zum Schutz von Arbeitnehmern und Gläubigerrechten sein können. Gleichzeitig hat das Fehlen eines Verfahrensrahmens auch zu verschiedenen und oft auch berechtigten Bedenken hinsichtlich des Missbrauchs solcher Verfahren und der Umgehung schützenswerter Interessen geführt. Eine Initiative zur Einführung formalisierter Regeln für Pre-pack-Verfahren ist daher aus unserer Sicht zu begrüßen. Da viele Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, noch keinen formalisierten Rahmen für Pre-pack-Verfahren vorsehen, könnte der Kommissionsvorschlag in diesem Punkt zu Änderungsbedarf und damit voraussichtlich auch zu kontroversen Diskussionen führen. Da das österreichische Recht jedoch bereits jetzt schnelle und effiziente Unternehmensverkäufe im Insolvenzzusammenhang ermöglicht, die oft auch gut vorbereitet sind (wenn auch noch nicht in einem formalisierten Prozess), gehen wir davon aus, dass eine Umsetzung in Österreich nicht zwingend zu erheblichen Änderungen führen muss. Erfordernisse wie § 117 Abs 2 IO, einen Unternehmensverkauf mindestens 14 Tage (bzw bei drohendem Wertverlust sogar acht Tage gemäß § 117 Abs 3 IO) zu veröffentlichen sowie die sonstigen formalen Erfordernisse einer Zustimmung des Gläubigerausschusses und des Insolvenzgerichts (§ 117 Abs 1 IO), könnten mit einer neu eingeführten Vorbereitungsphase inklusive Vorauswahl des Bestbieters durch einen Sachwalter als „Stalking-Horse-Gebot“ relativ einfach verbunden werden. Mehr Änderungsbedarf würde sich ergeben, wenn der österreichische Gesetzgeber auch die Möglichkeit einer Veräußerung ohne öffentliche Auktion allein auf Basis der Stellungnahme des Sachwalters nutzen würde. Auch der Ausschluss einer Erwerberhaftung bei Veräußerungen aus der Insolvenz ist im österreichischen Recht bereits geregelt. In den Details könnte sich aber Änderungsbedarf ergeben, da etwa nach bestehendem Recht der automatische Vertragsübergang bei einem Betriebsübergang nach § 38 UGB in Insolvenzverfahren nicht gilt (dies wird teilweise und aus unserer Sicht zu Recht kritisiert und der Kommissionsvorschlag könnte einen guten Anlass für eine Diskussion in diesem Zusammenhang bilden).
4. Pflicht der Unternehmensleitung, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen, und zivilrechtliche Haftung (Titel V, Art 36 und 37)
4.1 Allgemeines (ErwGr 33)
Art 36 und 37 zielen darauf ab, Bestimmungen über die Pflicht zur Einreichung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für Unternehmensleiter juristischer Personen einzuführen. Mit diesen Bestimmungen soll verhindert werden, dass die Unternehmensleitung in ihrem eigenen Interesse handelt, indem sie die Einreichung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens trotz Anzeichen von Zahlungsunfähigkeit verzögert.
4.2 Pflicht zur Beantragung innerhalb von drei Monaten (Art 36)
Die Unternehmensleitung muss den Insolvenzantrag spätestens drei Monate, nachdem sie von der Zahlungsunfähigkeit der juristischen Person Kenntnis erlangt haben oder vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie Kenntnis davon erlangt hat, stellen.
4.3 Auslöser „Zahlungsunfähigkeit“ (Art 36)
Der Begriff „zahlungsunfähig“ ist im Kommissionsvorschlag nicht definiert, was aus unserer Sicht zu Unsicherheiten in Bezug auf Art 36 führen kann. Da im Anfechtungsrecht (siehe oben Punkt 2.2) als auch bei Kleinstunternehmen (siehe unten Punkt 5.3) die Formulierung „der Schuldner nicht in der Lage war, seine fälligen Schulden zu begleichen“ verwendet wird, könnte man argumentieren, dass der Begriff „zahlungsunfähig“ weiter gefasst ist und zB auch eine mögliche insolvenzrechtliche Überschuldung nach dem jeweiligen nationalen Recht umfassen könnte. Dies würde etwa auch der englische Text des Kommissionsvorschlags stützen, in welchem als Auslöser „insolvent“ genannt wird. Eine Klarstellung in diesem Punkt wäre hilfreich.
4.4 Zivilrechtliche Haftung (Art 37 Abs 1)
Im Falle einer Nichterfüllung der Insolvenzantragspflicht soll die Unternehmensleitung zivilrechtlich für den Schaden haften, der den Gläubigern durch einen verspäteten Antrag entstanden ist. Ob es sich dabei um eine direkte Haftung gegenüber den Gläubigern handelt oder ob die Haftungsansprüche gebündelt, zB durch einen Insolvenzverwalter, durchgesetzt werden sollen, wird im Kommissionsvorschlag nicht angesprochen.
4.5 Strengere Bestimmungen bleiben möglich (Art 37 Abs 2)
Die vorstehenden Bestimmungen lassen nationale Vorschriften unberührt, die strengere Bestimmungen für die Unternehmensleitung vorsehen (Art 37 Abs 2).
Was heißt das für Österreich?
Das österreichische Recht sieht bereits in § 69 Abs 2 IO eine Insolvenzantragspflicht mit einer kürzeren Frist von in der Regel 60 Tagen vor. Diese Pflicht gilt generell für Schuldner (natürliche Personen wie auch Unternehmen) und nicht nur für die Unternehmensleitung juristischer Personen; in der Praxis sind aber vor allem Letztere die relevanten Adressaten. Viele Fragen, die in Österreich vom Gesetzgeber oder von der Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden (Auslösungszeitpunkt umfasst sowohl Zahlungsunfähigkeit als auch die insolvenzrechtliche Überschuldung; direkte Haftung der Unternehmensleitung gegenüber Gläubigern für den Quotenschaden, wobei im Insolvenzverfahren die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen durch den Insolvenzverwalter gebündelt wird; Unterscheidung zwischen dem Schaden der Gesamtheit der Gläubiger und individuellen Gläubigerschäden; etc), werden im Kommissionsvorschlag nicht angesprochen, der in diesen Punkten an der Oberfläche bleibt. Auch ist im österreichischen Recht klar geregelt, dass die Anmeldefrist eine Höchstfrist ist, es muss daher ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber innerhalb von 60 Tagen ein Insolvenzantrag gestellt werden. Pflichtadressaten können von dieser Frist nur Gebrauch machen, wenn sie einen aussichtsreichen Sanierungsversuch verfolgen. Der reine Wortlaut des Kommissionsvorschlags könnte dahingehend missverstanden werden, dass Unternehmensleiter auf jeden Fall drei Monate Zeit haben, was uE aber dem Zweck der Pflichtenregelung zuwiderlaufen würde. Zusammenfassend würde im österreichischen Recht wohl kein Änderungsbedarf in diesem Bereich begründet.
5. Liquidation zahlungsunfähiger Kleinstunternehmen (Titel VI, Art 38 bis 57)
5.1 Allgemeines (ErwGr 35)
Da laut Kommissionsvorschlag die nationalen Insolvenzgesetze nicht immer geeignet sind, mit insolventen Kleinstunternehmen angemessen und verhältnismäßig umzugehen (insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit schnellerer, einfacherer und erschwinglicher Verfahren), sollen auf nationaler Ebene separate Insolvenzverfahren im Einklang mit den Bestimmungen des Kommissionsvorschlags eingeführt werden. Die Bestimmungen des Kommissionsvorschlags sind sehr detailliert, im Folgenden soll daher nur auf ausgewählte Aspekte eingegangen werden.
5.2 Definition von Kleinstunternehmen (Art 2 lit j)
Kleinstunternehmen werden gemäß dem Anhang der Kommissionsempfehlung 2003/361/EG definiert und somit als Unternehmen, das weniger als zehn Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz oder Bilanzsumme EUR 2 Mio nicht übersteigt. Aufgrund dieser Definition kann davon ausgegangen werden, dass dies doch eine beträchtliche Anzahl von Insolvenzverfahren in der EU betreffen würde (siehe auch unsere Einschätzung des österreichischen Rechts weiter unten).
5.3 Voraussetzung der Zahlungsunfähigkeit (Art 38 Abs 2)
Kleinstunternehmen gelten für die Zwecke des vereinfachten Liquidationsverfahrens als zahlungsunfähig, wenn sie generell nicht in der Lage sind, ihre Schulden bei Fälligkeit zu begleichen (siehe bereits oben). Die Voraussetzungen dafür müssen klar, einfach und für das betroffene Kleinstunternehmen leicht feststellbar sein (Art 38 Abs 2).
5.4 Eröffnung auch bei fehlendem kostendeckendem Vermögen (Art 38 Abs 3)
Die Eröffnung und Durchführung eines vereinfachten Liquidationsverfahrens dürfen nicht mit der Begründung verweigert werden, dass der Schuldner kein Vermögen hat oder das Vermögen nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Wie diese Kostentragung in solchen Fällen erfolgt, wird nicht näher geregelt, aber die Mitgliedstaaten müssen eine Deckung sicherstellen (Art 38 Abs 4).
5.5 Bestellung von Insolvenzverwaltern nur auf Antrag (Art 39)
Ein Insolvenzverwalter kann nur bestellt werden, wenn der Schuldner, ein Gläubiger oder eine Gruppe von Gläubigern einen entsprechenden Antrag stellt und die mit der Bestellung verbundenen Kosten von der Insolvenzmasse oder der Partei, die die Bestellung beantragt hat, getragen werden können. Andernfalls behält der Schuldner die Kontrolle über sein Vermögen und den täglichen Betrieb des Unternehmens. Das zuständige Gericht kann immer noch beschließen, dem Schuldner das Recht zu entziehen, das Vermögen zu verwalten und zu veräußern, doch muss dies auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung und unter Berücksichtigung aller relevanten rechtlichen und tatsächlichen Umstände geschehen (Art 43 Abs 3). Bemerkenswert ist, dass das Gericht, wenn kein Insolvenzverwalter bestellt wird, das Recht zur Verwaltung und Veräußerung des Vermögens auch einem Gläubiger übertragen kann (Art 43 Abs 4 lit b). Zusammenfassend werden durch diese Bestimmungen viele Aufgaben, die – in einem typischen österreichischen Fall – normalerweise von Insolvenzverwaltern wahrgenommen werden, auf die zuständigen Richter und die Gläubiger übertragen, wobei Letztere die Kosten tragen müssen, wenn sie einen Insolvenzverwalter hinzuziehen wollen.
5.6 Standardantragsformular (Art 41)
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kleinstunternehmen einen Antrag auf Einleitung eines vereinfachten Verfahrens unter Verwendung eines Standardformulars stellen können (Art 41 Abs 3), das von der Europäischen Kommission festgelegt wird (Art 41 Abs 5).
5.7 Automatische Aussetzung (Art 44)
Mit der Eröffnung des vereinfachten Liquidationsverfahrens wird eine automatische Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen verfügt (Art 44 Abs 1). Einzelne Forderungen können ausgenommen werden, wenn die berechtigten Erwartungen der Gesamtheit der Gläubiger durch die Aussetzung nicht gefährdet werden und die Aussetzung den Gläubiger der betroffenen Forderung unangemessen benachteiligen würde (Art 44 Abs 2). Um die Gleichbehandlung der Gläubiger zu gewährleisten, ist diese Ausnahme uE auf Fälle der Vollstreckung von Absonderungs- oder Aussonderungsrechten zu beschränken.
5.8 Angleichung an EuInsVO 2015 (Art 45)
Vereinfachte Liquidationsverfahren sind öffentlich und gelten als Insolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO 2015.
5.9 Vereinfachte Anmeldung und Feststellung von Forderungen (Art 46)
Forderungen von Gläubigern gelten ohne weitere Maßnahmen der betroffenen Gläubiger als angemeldet, wenn der Schuldner diese Forderung bereits in seinem Antrag auf Verfahrenseröffnung oder in einem späteren Schriftsatz während des Verfahrens angegeben hat (Art 46 Abs 1). Gläubiger können vom Schuldner nicht angegebene Forderungen anmelden oder Einwendungen oder Bedenken gegen Forderungen erheben, die in einem der Schriftsätze des Schuldners enthalten sind (Art 46 Abs 2). Erhebt kein Gläubiger Einwände oder Bedenken, so gilt eine Forderung als unbestritten (Art 46 Abs 3). Die zuständige Behörde oder ein Insolvenzverwalter, sofern ein solcher bestellt wurde, kann die Feststellung von Forderungen nach Maßgabe des nationalen Rechts auch zulassen oder verweigern (Art 46 Abs 4).
5.10 Beendigung des Verfahrens ohne Verteilung möglich (Art 49)
Wenn (i) keine Vermögenswerte in der Insolvenzmasse vorhanden sind, oder (ii) die Vermögenswerte einen so geringen Wert haben, dass die Kosten und der Zeitaufwand für den Verkauf und die Verteilung des Erlöses nicht gerechtfertigt wären, oder (iii) der offensichtliche Wert belasteter Vermögenswerte niedriger ist als der Betrag, der den gesicherten Gläubigern geschuldet wird, und die zuständige Behörde es für gerechtfertigt hält, diesen gesicherten Gläubigern die Übernahme der Vermögenswerte zu gestatten, (iv) kann die zuständige Behörde die Entscheidung über den sofortigen Abschluss des Verfahrens ohne jegliche Verwertung der Vermögensgegenstände treffen (Art 49 Abs 2).
5.11 Elektronische Auktionssysteme (Art 52 und 54)
Um eine effiziente Verwertung des Schuldnervermögens zu ermöglichen, werden elektronische Auktionsplattformen eingerichtet und unterhalten sowie über das europäische E-Justiz-Portal miteinander verbunden.
5.12 Entschuldung von Unternehmerschuldnern, Gründern, Eigentümern oder Gesellschaftern (Art 55 Abs 2 und 56)
Die Aufhebung eines vereinfachten Liquidationsverfahrens führt auch zur Entschuldung der Unternehmerschuldner und jener Gründer, Eigentümer oder Gesellschafter eines unbeschränkt haftenden Kleinstunternehmens, die gemäß Titel III RIRL persönlich für die Schulden des Schuldners haften. In der Entscheidung über den Abschluss des vereinfachten Liquidationsverfahrens wird auch die Frist für die Erteilung der Entschuldung festgelegt (Art 55 Abs 2). Dies gilt nicht für persönliche Bürgschaften, die für Schulden des Kleinstunternehmens übernommen wurden. Dennoch sind Insolvenzverfahren oder Einzelvollstreckungsverfahren über solche persönlichen Bürgschaften, die von einem Gründer, Eigentümer oder Gesellschafter des Kleinstunternehmens (wenn dieses eine juristische Person ist) oder einem Familienmitglied des (natürlichen) Kleinstunternehmers übernommen wurden, mit dem vereinfachten Liquidationsverfahren zu koordinieren oder zusammenzulegen (Art 57).
Was heißt das für Österreich?
Um diesen Abschnitt des Kommissionsvorschlags richtig einzuordnen, ist darauf hinzuweisen, dass dies potenziell eine sehr große Zahl österreichischer Unternehmensinsolvenzen betreffen würde (nach den Statistiken bevorrechteter Gläubigerschutzverbände betrifft eine große Zahl solcher Insolvenzen etwa Unternehmen mit Verbindlichkeiten von EUR 2 Mio oder weniger). Die Aussage, dass Kleinstunternehmen Zugang zu effizienten Liquidationsverfahren haben sollten, ist sicherlich auch für Österreich richtig. Auch wenn das österreichische Recht keine spezielle Verfahrensart für solche Unternehmenstypen vorsieht, gehen wir dennoch davon aus, dass viele der im Kommissionsvorschlag angesprochenen Aspekte in Österreich bereits Realität sind, um nur einige zu nennen: Die Tatsache, dass die Anmeldungen der meisten Gläubiger durch die bevorrechteten Gläubigerschutzverbände gebündelt werden, gewährleistet ein kosten- und zeiteffizientes Verfahren. Stellt ein Gläubiger einen Insolvenzantrag, kann das Gericht vom Gläubiger einen Kostenvorschuss verlangen, wenn kein kostendeckendes Vermögen vorhanden ist (§ 71a IO). Ist kein Vermögen in der Masse vorhanden, kann ein bereits eröffnetes Verfahren ohne Verteilung eingestellt werden (§ 123a IO).
Dennoch würde der Kommissionsvorschlag zu einem gewissen Umsetzungsbedarf führen, da es etwa kein „Sicherheitsnetz“ gibt, das die Verfahrenseröffnung sicherstellt, wenn niemand einen Kostenvorschuss leistet (Diskussionen über einen breit finanzierten „Insolvenzeröffnungsfonds“ könnten womöglich wiederbelebt werden). Auch werden nach wie vor in jedem Verfahren Insolvenzverwalter bestellt. Schon weil diese meist erfolgsabhängig vergütet werden ist es aus unserer Sicht zweifelhaft, ob eine Begrenzung solcher Bestellungen im derzeitigen österreichischen System notwendig ist. Fraglich ist, ob die bei haftungsbeschränkten Rechtsträgern neben einer Zahlungsunfähigkeit auch zur Insolvenzeröffnung berechtigende (und zur Beantragung verpflichtende) insolvenzrechtliche Überschuldung dem Kriterium der „Klarheit, Einfachheit und leichten Feststellbarkeit“ entspricht (siehe oben Punkt 5.3). Bisherige Erfahrungswerte lassen weiters vermuten, dass die geforderte Entschuldung von Gründern, Eigentümern oder Gesellschaftern eines unbeschränkt haftenden Kleinstunternehmens, die automatisch mit dem Verfahren des Unternehmens als solchem verbunden sein müsste, zu kontroversiellen Diskussionen in Österreich führen wird. Ein ähnlicher Zusammenhang ist derzeit nur bei Sanierungsplänen vorgesehen (§ 165 IO). Insgesamt bleibt abzuwarten, wie die endgültigen EU-Vorgaben für ein solches vereinfachtes Verfahren für Kleinstunternehmen aussehen werden. Wir gehen aber davon aus, dass viele Anforderungen bereits durch die ohnehin effizienten und kostengünstigen Verfahren der österreichischen IO abgedeckt sind.
6. Sonstige Bestimmungen des Kommissionsvorschlags
Weitere Bestimmungen, insbesondere zur Aufspürung von Vermögenswerten (Titel III) und zu Gläubigerausschüssen (Titel VII), werden in diesem Beitrag nicht behandelt. Im Großen und Ganzen scheint das österreichische Recht diesen Anforderungen aber bereits zu entsprechen. Es bleibt abzuwarten, ob und welcher Änderungsbedarf sich ergibt. Sollte der Kommissionsvorschlag umgesetzt werden, müsste jedenfalls auch von Österreich ein Merkblatt nach Art 68 vorgelegt werden.
Wie geht es weiter?
Ob, wann und in welcher Form eine konkrete Richtlinie von der EU verabschiedet wird, bleibt abzuwarten. Dass die EU und insbesondere die Europäische Kommission auch nach der RIRL die Harmonisierung des Insolvenzrechts weiter auf ihrer Agenda haben, ist zu begrüßen. Ob solche weiteren Harmonisierungsbestrebungen zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal die RIRL in allen Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt ist, ihr volles Potenzial entfalten können, ist aber fraglich. Der Appetit der Mitgliedstaaten für weitere Änderungen in diesem Bereich könnte beschränkt sein. Dies könnte auch der Grund dafür sein, dass gleich wie in der EuInsVO 2015 und der RIRL „Reizthemen“ wie etwa eine Definition des Begriffs „Insolvenz“ und dessen Anwendungsbereich nach wie vor nicht harmonisiert werden sollen. Eine gemeinsame harmonisierte Definition des Insolvenzbegriffs könnte ein richtiger Game-Changer für eine Stärkung des Binnenmarkts sein, die von der Europäischen Kommission als Ziel ausgerufen wird.
Während in einigen Ländern Bestimmungen wie die vorgeschlagenen Anfechtungsbestimmungen oder die Insolvenzantragspflicht zu den meisten Kontroversen und potenziellem Änderungsbedarf führen könnten, wäre in Österreich das vorgeschlagene Pre-pack-Verfahren vermutlich die größte Innovation. Wie in unserer obigen Einschätzung erwähnt, sind wir aber zuversichtlich, dass ein solches Verfahren in Kombination mit vielen bereits bestehenden Instrumenten leicht umgesetzt werden könnte und auch auf dem österreichischen Markt seinen Platz finden würde.
Es ist zu erwarten, dass die Diskussionen und Verhandlungen in den kommenden Monaten und Jahren noch zu möglicherweise erheblichen Änderungen der aktuell vorliegenden Vorschläge und Regelungen führen werden. Es würde uns dennoch nicht überraschen, wenn die wichtigsten Punkte und Themen im Wesentlichen gleichbleiben. Daher sollten die Mitgliedstaaten diese Initiative durchaus ernst nehmen und früh genug mit den Vorbereitungen und Analysen beginnen. Beim letzten Mal, im Fall der RIRL, dauerte es zwischen Kommissionsvorschlag und RL-Verabschiedung zirka 2,5 Jahre.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.