Erste Entscheidung zur ReO liegt vor, aber ist das Restrukturierungsverfahren dadurch auch (endlich) in der Praxis angekommen?
Mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten (siehe dazu hier) ist es um die Restrukturierungsordnung (ReO) mittlerweile wieder ruhig geworden. Nach wie vor ist kein eröffnetes Restrukturierungsverfahren bekannt. Eine kürzlich veröffentlichte Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Wien 6 R 200/22h (ZIK 2023, 128 – abrufbar hier) könnte zumindest wieder etwas Dynamik in den Diskurs zum nach wie vor jungen Gesetz bringen.
Sachverhalt
In Folge eines verlorenen Zivilprozesses und einer daraus resultierenden Zahlungsverpflichtung beantragte eine selbstständig tätige Buchhalterin und Personalverrechnerin die Eröffnung eines Restrukturierungsverfahrens samt Gewährung einer Vollstreckungssperre. Die Antragstellerin legte eine Vielzahl von Unterlagen wie unter anderem einen Restrukturierungsplan mit Restrukturierungskonzept, eine Unternehmensbewertung und einen Finanzplan, Jahresabschlüsse der letzten vier Jahre, eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben für die folgenden 90 Tage sowie eine Fortbestehensprognose vor. Im Restrukturierungsplan wurde eine Verteilungsquote von 41% aufgeteilt auf 30 Monate angeboten. Diese Quote würde die betroffenen Gläubiger laut Antrag im Vergleich zu einem Insolvenzverfahren besserstellen. Infolge eines Insolvenzverfahrens dürfe die Antragstellerin nämlich ihren Beruf nicht mehr ausüben, was eine erhebliche Verminderung der (verteilungsfähigen) Einnahmen zur Folge hätte. Das Erstgericht wies den Eröffnungsantrag mit der Begründung der Zahlungsunfähigkeit der Antragstellerin als unzulässig zurück. Das OLG Wien bestätigte diese Entscheidung.
Begründung des Gerichts
Die Zurückweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass ein Restrukturierungsverfahren nach der ReO zahlungsunfähigen Schuldnern nicht offensteht. Das ergibt sich nach dem OLG Wien bereits aus § 1 Abs 1 ReO sowie aus den Gesetzesmaterialien. Bei Verfahrenseinleitung bestehe zwar grundsätzlich keine umfassende Prüfpflicht hinsichtlich einer eventuell vorliegenden Zahlungsunfähigkeit. Gemäß § 7 Abs 3 ReO sei ein Antrag lediglich bei offenkundiger, aus den Exekutionsdaten hervorgehender Zahlungsunfähigkeit unzulässig. Wird aber gemeinsam mit dem Eröffnungsantrag auch eine Vollstreckungssperre beantragt, gelte die für die Vollstreckungssperre in § 19 Abs 2 Z 3 ReO verankerte vertiefte Prüfpflicht hinsichtlich der Zahlungsunfähigkeit auch für die Zulässigkeit des Eröffnungsantrages. Zahlungsunfähigkeit führe diesfalls nicht nur zur Abweisung des Antrags auf Gewährung einer Vollstreckungssperre, sondern auch zur Zurückweisung des Eröffnungsantrags. Auf zahlungsunfähige Schuldner seien die Bestimmungen des Insolvenzverfahrens zugeschnitten. Die Zahlungsfähigkeit des Schuldners sei zusammengefasst materielle und zwingende Voraussetzung für die Verfahrenseinleitung.
Die Zahlungsunfähigkeit der Antragstellerin ergibt sich laut OLG Wien sowohl aus den Exekutionsdaten als auch aus dem Umstand, dass die mit dem Zivilprozess zusammenhängende Forderung bereits seit langem fällig war. Nachdem der von der Antragstellerin vorgelegte Liquiditätsplan Forderungen der vom Restrukturierungsplan betroffenen Gläubiger nicht inkludiere, sei dieser ebenso kein Beleg für die Zahlungsfähigkeit.
Bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit im Eröffnungsstadium spiele das allgemeine Gläubigerinteresse laut Gericht ausdrücklich keine Rolle und habe daher auch keine Auswirkung auf die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags. Das Gläubigerinteresse sei erst während laufenden Verfahrens relevant, im Zusammenhang mit einer Vollstreckungssperre dann, wenn Zahlungsunfähigkeit während aufrechter Vollstreckungssperre eintritt (diesfalls ist gemäß § 24 Abs 3 ReO ein Insolvenzverfahren trotz Zahlungsunfähigkeit nicht zu eröffnen, wenn die Eröffnung nicht im allgemeinen Interesse der Gläubiger liegt).
Bedeutung für die Praxis
Nachdem die ReO das ordentliche Restrukturierungsverfahren als echtes „Verfahren“ (mit allen daran geknüpften Formalismen) konzipiert, kommen die gegenständliche Entscheidung und die darin getätigte Hervorhebung der Zahlungsfähigkeit als materielle und zwingende Einleitungsvoraussetzung nicht überraschend.
Ob die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit bereits beim Eröffnungsantrag erfolgen muss, ist uE aber nicht die entscheidende Frage, weil mit der Eröffnung des Restrukturierungsverfahrens noch keine Eingriffe in Gläubigerrechte erfolgen. Mit Blick auf die hinter der ReO stehenden europäischen Vorgaben der RL (EU) 2019/1023 und den dort beworbenen flexiblen Restrukturierungsrahmen könnte die Einleitung des „Verfahrens“ (oder eben eines modulareren „Rahmens“) im Übrigen auch deutlich flexibler erfolgen (in Ländern wie Deutschland oder den Niederlanden wird etwa in einem ersten Schritt „nur“ eine Eröffnungsanzeige beim zuständigen Gericht hinterlegt).
Die viel wichtigere Frage ist uE, wann und in welcher Form Eingriffe in Gläubigerrechte gerechtfertigt sind. Diese erfolgen in der ReO idR zum ersten Mal mit dem Antrag auf Gewährung einer Vollstreckungssperre. Dass hier in Sachen Zahlungsunfähigkeit und in sonstigen Aspekten eine strenge(re) Prüfung erfolgen muss, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern auch geboten. Wird der Antrag auf Gewährung einer Vollstreckungssperre mit dem Eröffnungsantrag kombiniert, ist es ebenso naheliegend, dass für beide Anträge diese strenge(re) Prüfung angelegt wird.
Wirklich interessant ist die zitierte Entscheidung uE aber erst an anderer Stelle:
Die doch sehr deutliche Aussage des Gerichts, dass das allgemeine Gläubigerinteresse im gegenständlichen Verfahrensstadium (also bei der Verfahrenseinleitung) noch nicht zu prüfen ist, erscheint uE losgelöst vom konkreten Fall als Grundsatz zumindest hinterfragenswert. Dies würde in dieser Absolutheit nämlich bedeuten, dass selbst perfekt vorbereitete und nachweislich im Gläubigerinteresse liegende Restrukturierungsverfahren von Vornherein nicht umgesetzt werden könnten, wenn zum Zeitpunkt der Eröffnung Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Tritt die Zahlungsunfähigkeit hingegen erst einige Wochen nach Verfahrenseröffnung und Gewährung einer Vollstreckungssperre ein, könnte das Verfahren „im allgemeinen Interesse der Gläubiger“ gemäß § 24 Abs 3 ReO sehr wohl fort- und umgesetzt werden.
In beiden Fällen könnte die Zahlungsunfähigkeit durch Forderungen einzelner vom Restrukturierungsplan betroffener Gläubiger bewirkt sein, deren Restrukturierung das Restrukturierungsverfahren ja gerade bezweckt. Was nun aus Gläubigerschutzerwägungen der Unterschied zwischen einer vor Verfahrenseröffnung oder während des Verfahrens fällig werdenden „betroffenen Forderung“ ist, erschließt sich nicht wirklich. Dass die (egal zu welchem Zeitpunkt eintretende) Fälligkeit solcher Forderungen die Umsetzung eines gerade (auch) im Interesse der Inhaber solcher Forderungen liegenden Restrukturierungsplans von Vornherein und ausnahmslos unmöglich macht, ist vielmehr kontraintuitiv. Zum Schutz der betroffenen Gläubiger scheint dies aufgrund der sonstigen engmaschigen Schutzmechanismen der ReO uE auch nicht zwingend erforderlich. Gleichzeitig ist aber festzuhalten, dass der primäre Zweck präventiver Verfahren wie der ReO stets die frühzeitige Abwendung einer Insolvenzsituation und nicht deren nachträgliche Beseitigung sein sollte.
Die Entscheidung des OLG Wien bestätigt zusammenfassend die auch in der Praxis zu beobachtende Präferenz für die etablierten und auch gut funktionierenden außergerichtlichen Prozesse und die Verfahren nach der Insolvenzordnung. Während die Zahl solcher stetig zunimmt, wurde die ReO durch die behandelte Entscheidung für die Praxis nicht gerade attraktiver. Angekommen ist das Restrukturierungsverfahren daher nach wie vor nicht.
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