Virtuelle Gesellschafterversammlungen – Pandemie-Provisorium wird ständiges Recht
Im Zuge der Corona-Pandemie wurde eine gesetzliche Grundlage geschaffen, Versammlungen von Gesellschaftern oder Organmitgliedern ohne physische Anwesenheit „online“ durchzuführen. Virtuelle Versammlungen jeder Art sind in der Folge alltäglich geworden und geblieben. Nun liegt ein Gesetzesentwurf (Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz, VirtGesG) vor, der diese Möglichkeit auf Dauer etablieren soll. Für viele Gesellschaften wird dies allerdings bedeuten, dass sie ihre Satzungen anpassen müssen, wenn sie weiterhin virtuelle Versammlungen abhalten wollen.
Worum geht es?
Der gesetzliche – und jedenfalls bis zur Pandemie auch praktische – Grundfall für das Zusammenwirken von Organen oder die Abhaltung von Versammlungen ist die persönliche (physische) Zusammenkunft an einem Ort.
Vor den einschlägigen COVID-19-Regelungen gab es in Österreich keine allgemeine gesetzliche Grundlage, die von diesem Grundfall abweichend virtuelle Versammlungen von Gesellschaftern oder Gesellschaftsorganen ausdrücklich erlaubt hätte. In manchen Bereichen bestanden tatsächlich rechtliche Hindernisse gegen solche virtuelle Versammlungen (zB Hauptversammlung der AG (möglich war hier bei entsprechender Satzungsgestaltung nur eine Fernteilnahme, aber keine echte „virtuelle“ HV), in anderen Bereichen wurden virtuelle Versammlungen zwar für zulässig erachtet (zB Beschluss Vorstand, Aufsichtsrat oder Generalversammlung der GmbH), meist aber daran geknüpft, dass es entsprechende Satzungsbestimmungen gibt (die es oft eben nicht gibt) oder dass die Zustimmung aller Teilnehmer erforderlich ist (was Blockademöglichkeiten eröffnet).
Während der Pandemie waren persönliche Zusammenkünfte zT aber gar nicht oder nur eingeschränkt erlaubt. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber in der Pandemie mit dem COVID-19-GesG und der COVID-19-GesV recht zügig und pragmatisch eine gesetzliche Grundlage für virtuelle Versammlungen für alle relevanten Gesellschaftsformen und deren Organe geschaffen. Damit sollte erreicht werden, dass die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit von Gesellschaften während Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen aufrechterhalten werden kann.
Diese gesetzliche Grundlage war sehr praktisch, denn einerseits brachte sie ausreichend Rechtssicherheit, andererseits war es aber nicht notwendig, die Satzungen etc der betroffenen Gesellschaften anzupassen. Die Praxis hat in der Folge auch sehr regen Gebrauch von virtuellen Versammlungen gemacht und tut dies weiterhin.
Die als Pandemie-Provisorium erlassenen Regelungen laufen – nachdem zuvor einige Verlängerungen erfolgt sind – nun am 30.06.2023 aus. Weil sich virtuelle Versammlungen aber als sehr taugliches und viel genutztes Instrument erwiesen haben, sollen sie auch weiterhin zulässig sein. Dafür bedarf es einer neuen bzw anderen gesetzlichen Grundlage.
Gesetzesentwurf
(Fast) rechtzeitig liegt nun ein Gesetzesentwurf über das sogenannte Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz im Begutachtungsverfahren vor. Die Begutachtungsfrist endet am 26.05.2023. Es ist daher möglich, dass es noch zu Änderungen kommt. Das Gesetz soll am 14. Juli 2023 in Kraft treten; das ist 14 Tage nachdem die aktuellen Regelungen zur virtuellen Versammlung aufhören zu gelten.
Was regelt das neue Gesetz?
Das VirtGesG übernimmt in Teilen Regelungen aus dem COVID-19-GesG bzw der COVID-19-GesV und regelt grob Folgendes:
- Das VirtGesG gilt für Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, kleine Versicherungsvereine und Sparkassen.
- Geregelt werden ausschließlich Gesellschafterversammlungen (Versammlungen von Gesellschaftern, Aktionären und Mitgliedern), wobei jeweils alle Teilnahmeberechtigten einer solcher Versammlung (dh auch sonstige Personen, wie zB Organmitglieder, Auskunftspersonen etc) virtuell teilnehmen können.
- Voraussetzung für die Durchführung von virtuellen Versammlungen nach dem VirtGesG ist, dass es eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag (Satzung, Statuten) gibt. Geregelt werden muss außerdem, ob die Versammlungen immer virtuell stattzufinden haben oder die Entscheidung darüber dem einberufenden Organ überlassen wird. Weiters kann vorgesehen werden, dass hybride Versammlungen zulässig sind.
Hier ist Vorsicht geboten: Bislang konnte man – auch ohne Satzungsbestimmung – virtuelle Versammlungen auf die relevanten COVID-19-Regelungen stützen. Das geht künftig nicht mehr, die Satzung muss entsprechende Grundlagen vorsehen. Andernfalls droht, dass in virtuellen Versammlungen unwirksame Beschlüsse gefasst werden. Insofern werden bei vielen Gesellschaften die Satzungen anzupassen sein.
- Bei der Satzungsgestaltung ist abzuwägen, dass Einberufungsberechtigten (der Gesetzesentwurf spricht etwas unglücklich von „einberufendem Organ“, worunter ausweislich der Materialien aber auch andere Einberufungsberechtigte fallen (zB GmbH-Gesellschafter, wenn der Gesellschaftsvertrag dies vorsieht)) iZm der Einberufung und Abwicklung virtueller Versammlungen Entscheidungsbefugnisse, insbesondere technischer und organisatorischer Natur, eingeräumt werden können. Dies ermöglicht einerseits eine gewisse Flexibilität, andererseits kann hierin in streitigen Situationen Konfliktpotential liegen.
Was regelt das neue Gesetz nicht?
- Das VirtGesG ist auf Privatstiftungen und Personengesellschaften nicht anwendbar. Das überrascht insofern, als beide vom COVID-19-GesG gerade schon erfasst waren.
- Weiters ist auch bei den umfassten Gesellschaftsformen lediglich die Gesellschafterversammlung, nicht jedoch wie bei den COVID-19-Reglungen die Versammlungen von Organmitgliedern (va Aufsichtsrat) geregelt. Dem Gesetz und den Materialen ist zu entnehmen, dass bei Versammlungen von Organmitgliedern gelten soll, was nach den einschlägigen gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Regelungen ohnehin – also auch ohne das VirtGesG – gilt, wobei die Materialien beispielhaft eine Literaturstelle zur Zulässigkeit von virtuellen Aufsichtsratssitzungen bei AG zitieren.
Überzeugend ist das nicht, denn mit demselben Argument hätte man virtuelle Versammlungen von Organmitgliedern wohl auch bei den COVID-19-Gesetzen ausklammern können.
Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre eine gesetzliche Regelung auch betreffend virtuelle Versammlungen von Gesellschaftsorganen zu begrüßen.
Arten virtueller Versammlung
- Einfache virtuelle Versammlungen
Der Grundfall der virtuellen Versammlung ist, den Regelungen der COVID-19-GesV folgend, die sog „einfache virtuelle Versammlung“. Eine solche erfordert, dass eine Teilnahmemöglichkeit mittels einer akustischen und optischen Zweiweg-Verbindung in Echtzeit besteht und sich jeder Teilnehmer zu Wort melden, an Abstimmungen teilnehmen und Widerspruch erheben kann. Ausweislich der Materialien hat der Gesetzgeber hier die „herkömmlichen Videokonferenzen“ vor Augen, die während der Pandemie üblich und weitverbreitet geworden sind.
- Moderierte virtuelle Versammlungen
In Fällen, in denen die einfache virtuelle Versammlung etwa aufgrund der Teilnehmeranzahl an ihre Grenzen stößt, offeriert das VirtGesG eine moderierte virtuelle Versammlung. Voraussetzung ist, dass die Versammlung für die Teilnehmer optisch und akustisch in Echtzeit übertragen wird und Gesellschafter sich während der Versammlung jederzeit durch elektronische Kommunikation zu Wort melden können. Es ist ihnen eine Redemöglichkeit per Video zu ermöglichen. Auch Stimmen und Widersprüche werden per elektronischer Kommunikation abgegeben.
- Hybride Versammlungen
Einzelne Teilnehmer können zwischen physischer und virtueller Teilnahme wählen, im letzteren Fall gelten dann die Bestimmungen für die einfache oder moderierte virtuelle Versammlung. Teilnehmer vor Ort und virtuelle Teilnehmer müssen gleichwertig behandelt werden.
Sonderbestimmungen für börsenotierte Aktiengesellschaften
Virtuelle (einfache oder moderierte) oder hybrideVersammlungen stehen auch der Hauptversammlung von börsenotierten Aktiengesellschaften offen, für sie gelten aber noch zusätzliche Bestimmungen, unter anderem:
- Fragen und Anträge vorab: Die börsenotierte AG muss den Aktionären einen elektronischen Kommunikationsweg zur Verfügung stellen, auf dem sie Fragen und Beschlussanträge bis zum dritten Werktag oder einem festzusetzenden späteren Zeitpunkt vor der Versammlung an die Gesellschaft übermitteln können. Die auf diesem Weg gestellten Fragen und Beschlussanträge sind in der Versammlung zu verlesen oder den Teilnehmern auf andere geeignete Weise zur Kenntnis zu bringen (zB (allenfalls anonymisierte) Veröffentlichung auf der Website). Die Möglichkeit von Wortmeldungen und Anträgen in der Hauptversammlung bliebt davon unberührt.
- Stimmabgabe vorab: Die Satzung kann auch vorsehen oder den Vorstand ermächtigen vorzusehen, dass die Aktionäre ihre Stimmen schon bis zu einem festzusetzenden Zeitpunkt vor der Hauptversammlung auf elektronischem Weg abgeben können. Solche Aktionäre können ihre Stimmabgabe bis zur Abstimmung in der virtuellen oder hybriden Hauptversammlung widerrufen und allenfalls erneut abstimmen. Im Übrigen gelten in diesem Zusammenhang die Bestimmungen im AktG über die Fernabstimmung sinngemäß.
- Stimmrechtsvertreter als Service: Die börsenotierte AG muss den Aktionären auf ihre Kosten bei der HV zumindest zwei besondere Stimmrechtsvertreter zur Verfügung stellen. Anders als nach dem COVID-19-GesG ist die Ausübung der Aktionärsrechte nicht auf diese Vertreter (nach dem COVID-19-GesG waren es vier) beschränkt; Aktionäre sind nicht verpflichtet, sich der besonderen Stimmrechtsvertreter zu bedienen. Es handelt sich vielmehr um ein zusätzliches, für die Aktionäre kostenloses Angebot zur Partizipation durch einen Bevollmächtigten.
- Minderheitsaktionäre können Präsenzversammlung verlangen: Wenn die ordentliche Hauptversammlung nach dem VirtGesG virtuell durchgeführt wurde, so können Aktionäre, die (gemeinsam) mindestens 10% des Grundkapitals halten, bis zum Ende des Geschäftsjahrs die Einberufung der nächsten ordentlichen Hauptversammlung in einer Form verlangen, die eine physische Teilnahme der Aktionäre ermöglicht (Präsenzversammlung oder hybride Versammlung). Dadurch kann eine qualifizierte Minderheit alle zwei Jahre eine Versammlung mit physischer Teilnahmemöglichkeit (mit Präsenz oder hybrid) erzwingen.
- Befristung von Satzungsbestimmungen: Satzungsbestimmungen, die eine Durchführung virtueller oder hybrider Versammlungen vorsehen oder die Entscheidung hierüber dem einberufenden Organ überlassen (§ 1 Abs. 2 bis 4) sind auf längstens fünf Jahre zu befristen. Die Materialen führen dazu an, dass damit die Aktionäre die Art der Durchführung der Hauptversammlung periodisch neu bewerten und legitimieren müssen.
Fazit
Das VirtGesG bildet einen wichtigen Meilenstein in der weiteren Digitalisierung des Gesellschaftsrechts. Wehrmutstropfen ist, dass aber wohl viele Gesellschaften eine entsprechende Änderung des Gesellschaftsvertrags vornehmen werden müssen, um die gelebte Praxis virtueller Versammlungen beibehalten zu können. Leider lässt das VirGesG einige auch praxisrelevante Bereiche ungeregelt, darunter Versammlungen in Personengesellschaften und Privatstiftungen sowie generell den gesamten Bereich der virtuellen Versammlung von Organmitgliedern. Gerade bei letzteren wäre eine gesetzliche Regelungen im Sinne der Rechtssicherheit wünschenswert.
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