Gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2023 – Neues für Geschäftsführer*innen
Bisher gab es im österreichischen Gesellschaftsrecht – anders als etwa in der Gewerbeordnung und auch anders als in vielen anderen Ländern – keine ausdrücklichen gesetzlichen Anforderungen an oder Ausschlussgründe für Geschäftsführer*innen oder Mitglieder des Vorstands. Das hat das Gesellschaftsrechtliche Digitalisierungsgesetz 2023 geändert. Die Novelle führt nämlich unter anderem Gründe ein, die eine Person von der Ausübung einer solchen Position ausschließen. Die neuen Regelungen gelten seit dem 1. Jänner 2024 und betreffen GmbH, FlexCo, AG, SE und Genossenschaften.
Der Anstoß kommt aus Brüssel
Das Gesellschaftsrechtlichen Digitalisierungsgesetz 2023 (GesDigG 2023) erfolgt in Umsetzung von Art. 13i der Richtlinie (EU) 2019/1151 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, ABl. Nr. L 186 vom 11.07.2019 (Digitalisierungsrichtlinie). Der Großteil wurde bereits mit dem GesDigG 2022 in österreichisches Recht umgesetzt. Nun wurde auch die Bestimmung zur Disqualifikation von bestimmten Vertretungsorganen in nationales Recht umgesetzt.
Was regelt das GesDigG 2023?
Das GesDigG 2023 beinhaltet Änderungen des GmbHG, des AktG, des GenG, des SEG, des SCEG und des FBG und regelt zusammengefasst insb folgendes:
- Ausschlussgründe für Geschäftsführer*innen, Mitglieder des Vorstands, Direktoren*innen etc, (sog Disqualifikation)
- Rechtsfolgen einer Disqualifikation
- Informationserteilung über disqualifizierte Personen über das europäische System der Registervernetzung (BRIS).
Gründe für eine Disqualifikation
Die Digitalisierungsrichtlinie selbst gibt keine genauen Tatbestände vor, die zu einer Disqualifikation führen sollen. Die Festlegung obliegt daher den Mitgliedstaaten.
Der österreichische Gesetzgeber hat sich dabei – mit einigen Abweichungen – an den Bestimmungen der Gewerbeordnung (GewO) betreffend gewerberechtliche Geschäftsführer*innen orientiert.
Nach den Regelungen des GesDigG 2023 darf Geschäftsführer*in (Mitglied des Vorstands, Direktor*in etc) demnach nicht sein, wer von einem (in- oder ausländischen) Gericht rechtskräftig aufgrund eines „wirtschaftsstrafrechtsnahen“ Delikts zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Das Gesetz sieht folgenden Deliktskatalog vor:
- Betrug (§ 146 StGB),
- Untreue (§ 153 StGB), Geschenkannahme durch Machthaber (§ 153a StGB), Förderungsmissbrauch (§ 153b StGB), Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 153c StGB), Betrügerisches Anmelden zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (§ 153d StGB), Organisierte Schwarzarbeit (§ 153e StGB),
- Betrügerische Krida (§ 156 StGB),
- Schädigung fremder Gläubiger (§ 157 StGB),
- Begünstigung eines Gläubigers (§ 158 StGB),
- Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§ 159 StGB),
- Unvertretbare Darstellung wesentlicher Informationen über bestimmte Verbände (§ 163a StGB),
- Geldwäscherei (§ 165 StGB),
- Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren (§ 168b StGB), Ausgabenseitiger Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union (§ 168f StGB), Missbräuchliche Verwendung von Mitteln und Vermögenswerten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union (§ 168g StGB),
- Abgabenbetrug (§ 39 FinStrG), oder
- Grenzüberschreitender Umsatzsteuerbetrug (§ 40 FinStrG).
Erfasst sind auch Verurteilungen wegen einer vergleichbaren strafbaren Handlung durch ein ausländisches Gericht.
Der Gesetzgeber zielt damit vor allem auf Vermögensdelikte ab, die primär dem Schutz der Interesse der Allgemeinheit bzw außenstehender Dritter dienen. Vermögensdelikte ohne typischen Gesellschaftsbezug sind daher nicht in den Katalog aufgenommen wurden (zB Sachbeschädigung, Diebstahl, Veruntreuung etc); auch andere Delikte sind nicht erfasst (strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit, die Ehre, die Umwelt, die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung etc).
Um zu einer Disqualifikation zu führen, müssen strafgerichtliche Verurteilungen zu einem relevanten Delikt eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle übersteigen; diese liegt bei einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten.
Für Mitglieder des Aufsichtsrats gelten diese Bestimmungen bislang nicht. Ebenso nicht zB für Prokurist*innen.
Folgen einer Disqualifikation
Die gesetzliche Rechtsfolge einer Disqualifikation tritt ex lege ein. Es bedarf also nicht noch einer zusätzlichen gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung, die die Disqualifikation feststellt. Sobald also ein Urteil zu den erwähnten Delikten mit einer Strafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig geworden ist, besteht ein Hindernis für die Bestellung oder weitere Ausübung des Amts.
Verfahren beim Firmenbuch bei Neuanmeldung: Die Disqualifikation ist ein Eintragungshindernis und vom Firmenbuchgericht amtswegig zu beachten. Das Vorliegen einer Disqualifikation ist durch automationsunterstütze Abfrage aus dem Strafregister und erforderlichenfalls durch Einholung einer Strafregisterauskunft zu ermitteln und die Eintragung allenfalls abzulehnen. In der Praxis wird sich zeigen, ob künftig im Eintragungsverfahren (ähnlich wie von gewerberechtlichen Geschäftsführer*innen) zusätzliche Unterlagen beizubringen sind, um das Nicht-Vorliegen der Disqualifikation gegenüber dem Firmenbuch nachzuweisen. Weil auch Urteile ausländischer Gerichte erfasst sind, könnte das aufwendig werden (dh wenn Nachweise verlangt würden, dass im Ausland keine relevanten Verurteilungen vorliegen).
Disqualifikation bereits eingetragener Geschäftsführer*innen: Bei jeder für eine Disqualifikation relevanten Verurteilung durch ein inländisches Gericht hat nunmehr ein automationsunterstützter Abgleich der Strafkarte mit dem Firmenbuch zu erfolgen. Wird festgestellt, dass die verurteilte Person im Firmenbuch als Geschäftsführer*in (Mitglied des Vorstands, Direktor*in etc) eingetragen ist, ist das zuständige Firmenbuchgericht automationsunterstützt von der Verurteilung zu verständigen. Sodann hat das zuständige Firmenbuchgericht die betroffene Gesellschaft (i) zur Abberufung der disqualifizierten Person aufzufordern und (ii) allenfalls für einen anderen gesetzlichen Vertreter zu sorgen. Erfolgt die Abberufung nicht längstens innerhalb von zwei Monaten, ist die disqualifizierte Person von Amts wegen aus dem Firmenbuch zu löschen. Weiters gilt die gelöschte Person mit Ablauf einer Frist von 15 Tagen nach Eintragung der Löschung als abberufen.
Vertretungshandlungen: Der automatische Eintritt der Rechtsfolgen einer Disqualifikation beeinflusst die Wirksamkeit der Vertretungshandlungen des/der disqualifizierten Geschäftsführers*in nicht. Diese sind wirksam. Kommt es trotz Disqualifikation zur Eintragung oder in der Folge zu keiner Löschung im Firmenbuch, muss die Gesellschaft im Geschäftsverkehr mit Dritten die an sich unrichtige bzw unrichtig gewordene Eintragung gegen sich gelten lassen.
Rücktrittserklärung: Ist oder wird ein/e Geschäftsführer*in im Sinne dieser Bestimmungen „disqualifiziert“, hat diese/r unverzüglich seinen/ihren Rücktritt zu erklären. Der Rücktritt wird (gleich wie Rücktritte aus anderen Gründen) erst nach Ablauf von 14 Tagen wirksam. Die Frist soll es der Gesellschaft bzw den Anteilseignern ermöglichen, geeigneten Ersatz zu finden. Sollte der/die disqualifizierte Geschäftsführer*in nicht von sich aus zurücktreten, kann seine/ihre Disqualifikation entweder für einen Widerruf der Bestellung oder als wichtiger Grund für eine Abberufung herangezogen werden.
Zeitliche Wirkung: Die Rechtsfolge der Disqualifikation endet drei Jahre nach Rechtskraft der Verurteilung. Nach Ablauf dieser Frist kann die Person wieder zum/r Geschäftsführer*in bestellt werden.
Grenzüberschreitender Informationsaustausch
Das System der Registervernetzung (BRIS) soll den grenzüberschreitenden Informationsaustausch mit anderen EU-Mitgliedstaaten ermöglichen. Zuständig für Informationsansuchen, ob eine Person der Disqualifikation unterliegt, ist das Handelsgericht Wien. Das Handelsgericht Wien hat auf Informationsansuchen hin anzugeben, ob eine Person nach österreichischem Recht disqualifiziert ist und die Grundlage der Disqualifikation anzugeben.
Fazit
Das Gesellschaftsrechtliche Digitalisierungsgesetz 2023 bringt wesentliche Neuerung für die Praxis. Indem sanktioniert wird, dass eine Bestellung als Geschäftsführer*in, Mitglied des Vorstands, Direktor*in etc nur bei „wirtschaftlicher Unbescholtenheit“ möglich ist, soll betrügerisches oder anderweitig missbräuchliches Verhalten hintangehalten und der Schutz aller Personen gefördert, die mit Gesellschaften interagieren.
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