Rechtssplitter Arbeitsrecht - Oktober 2020
Rückforderbarkeit bei irrtümlicher Nettoauszahlung eines Vergleichsbetrags
Nach einer Entlassung bekämpfte der Arbeitnehmer diese gerichtlich durch Klage auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung, Sonderzahlung, Urlaubsersatzleistung und Feiertagszuschlägen. Die Parteien einigten sich schließlich im Rahmen eines Vergleichs auf eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses und eine Einmalzahlung von EUR 7.000 brutto an den Arbeitnehmer. Der Vergleich enthielt eine Generalbereinigungsklausel.
Der Arbeitgeber überwies den Betrag von EUR 7.000 allerdings ohne Abzug der Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers. In der Folge begehrte der Arbeitgeber den Ersatz der durch ihn bezahlten Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträge, da die volle Überweisung von EUR 7.000 irrtümlich erfolgt und der Arbeitnehmer damit in diesem Umfang ungerechtfertigt bereichert sei.
Die gegenständliche Vergleichsvereinbarung konnte nach Ansicht des OGH (OGH 22.01.2020, 9 ObA 90/19d) von einem objektiven Erklärungsempfänger nur dahingehend verstanden werden, dass der Arbeitgeber die mit dieser Zahlung verbundenen Gebühren und Abgaben trägt und weiters berechtigt ist, diese vom Vergleichsbetrag abzuziehen und dem Arbeitnehmer nur der sich daraus ergebende Nettobetrag zukommen soll. Der Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers resultiert daher nicht aus dem Arbeitsverhältnis oder der Vergleichsvereinbarung und ist daher auch nicht von der Generalbereinigungsklausel umfasst. Vielmehr resultiert der Anspruch aus der irrtümlichen Zahlung eines überhöhten Betrags nach Vergleichsabschluss und ist daher rückforderbar.
Urlaubsersatzleistung trotz unberechtigtem Austritt? Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH
Nach dem festgestellten Sachverhalt war der Kläger bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt und beendete das Dienstverhältnis nach knapp 5 Monaten durch unberechtigten vorzeitigen Austritt. Sein offener Urlaubsanspruch betrug bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 3,33 Arbeitstage. Der Kläger brachte selbst vor, das Arbeitsverhältnis durch unberechtigt vorzeitigen Austritt beendet zu haben. Im Verfahren vertrat er aber die Ansicht, dass der hier einschlägige § 10 Abs 2 UrlG, wonach die Urlaubsersatzleistung dem Arbeitnehmer bei unberechtigtem Austritt nicht zusteht, in Widerspruch zu Art 31 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art 7 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG stehe und daher nicht zur Anwendung kommen dürfe.
Der OGH (OGH 29.04.2020, 9 ObA 137/19s) legte nun die Frage nach der Unionsrechtskonformität des § 10 Abs 2 UrlG dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Er führte dabei aus, dass im Fall des unberechtigten Austritts der Arbeitnehmer selbst die Möglichkeit, den Urlaub in natura zu verbrauchen, durch einen Vertragsbruch verhindere. Vor dem Austritt habe der Arbeitnehmer nur einen Anspruch auf (bezahlten) Urlaub in natura. Das er durch die unberechtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung erlangen solle, würde aus Sicht des OGH das allgemeine Rechtsprinzip verletzen, wonach niemand einen Anspruch dadurch erlangen soll, dass er rechtswidrig vorgeht (ex iniuria ius non oritur). Letztlich würde auch der Gedanke, dass der bezahlte Urlaub primär die Funktion hat, die Gesundheit eines Arbeitnehmers zu erhalten, missachtet, wenn sich ein Arbeitnehmer durch unberechtigten Austritt im Ergebnis den Urlaubsanspruch abkaufen lassen könnte.
Der Europäische Gerichtshof hat sich bislang noch nicht dazu geäußert, ob (und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen) ein Arbeitnehmer, der ohne wichtigen Grund vorzeitig sein Dienstverhältnis aufgelöst hat, nach dem Unionsrecht dennoch ein Anspruch auf Ersatzleistung für unverbrauchten Urlaub zuzugestehen ist.
Vom Lehrling zum Angestellten – Beginn des neuen Entgeltfortzahlungsanspruchs
Nach dem festgestellten Sachverhalt war der Kläger bei der Beklagten vom 01.09.1999 bis 30.06.2002 als Lehrling im Sinn des Berufsausbildungsgesetz und in der Folge ab 01.07.2002 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Im Zeitraum vom 01.07.2018 bis 29.08.2018 und vom 24.09.2018 bis zum 31.10.2018 befand sich der Kläger im Krankenstand. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstnehmerkündigung.
Im gegenständlichen Gerichtsstreit (OGH 27.05.2020, 8 ObA 31/20x) ging es um die Frage, ob das für die Entstehung des (jährlich neuen) Entgeltfortzahlungsanspruchs gemäß § 8 AngG maßgebliche Arbeitsjahr des Klägers mit dem ersten Tag des Lehrverhältnisses (01. September) oder mit dem ersten Tag des Angestelltenverhältnisses (01. Juli) begonnen habe.
Nach der Ansicht des OGH ist die beim selben Dienstgeber absolvierte Lehrzeit in den Anwartschaftszeitraum gemäß § 8 Abs 1 AngG nicht einzurechnen. Der OGH begründete dies damit, dass der Gesetzgeber die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Lehrlinge, Arbeiter und Angestellte jeweils gesondert und abschließend geregelt habe. § 8 Abs 2 AngG enthalte keine dem Urlaubsgesetz vergleichbare Zusammenrechnungsbestimmung (vgl § 2 Abs 3 UrlG), darüber hinaus seien Lehrlinge nach § 5 leg AngG vom Geltungsbereich des Angestelltengesetz generell ausgenommen. Der Anspruch nach § 8 AngG entstehe nach Antritt des Dienstverhältnisses. Beim Übertritt vom Lehrverhältnis in das Angestelltenverhältnis beginne er neu und unabhängig davon, ob der nach § 17a BAG zur Verfügung stehende Entgeltfortzahlungszeitraum im vorangegangenen Lehrverhältnis bereits ausgeschöpft war. Auch die Anrechnung der beim selben Arbeitgeber absolvierten Lehrzeit als Vordienstzeit ändere daran nichts.
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