Rechtzeitigkeit einer Entlassung – welche Personen sind dem Arbeitgeber zuzurechnen?
Wird Arbeitgeber*innen bekannt, dass Arbeitnehmer*innen einen Entlassungsgrund gesetzt haben, ist dieser Entlassungsgrund unverzüglich geltend zu machen. Fraglich ist dabei oft, welche Personen sich Arbeitgeber*innen im Zusammenhang mit dieser Kenntnisnahme zurechnen lassen müssen. In einer aktuellen Entscheidung hatte sich der Oberste Gerichtshof (OGH 24.10.2024, 8 ObA 35/24s) mit der Abgrenzung auseinander zu setzen, ob es in diesem Zusammenhang bereits ausreichend ist, wenn bloß unmittelbare bzw. sonstige Vorgesetzte Kenntnis von einem Entlassungsgrund erlangen oder ob es erforderlich ist, dass es sich dabei um Stellvertreter*innen bzw. ganz oder teilweise mit Personalagenden befasste „leitende Angestellte“ handelt.
In der Entscheidung des OGH (OGH 24.10.2024, 8 ObA 35/24s) wurde die Frage behandelt, wann die Kenntnis eines Entlassungsgrundes dem Arbeitgeber zugerechnet werden kann. Anlass dafür war ein Vorfall, bei dem ein Arbeitnehmer in einer beruflich genutzten WhatsApp-Gruppe eine kinderpornografische Darstellung teilte. Der Schichtführer erlangte noch am selben Tag Kenntnis von diesem Bild. Die Prokuristin und Personalverantwortliche des Unternehmens erlangte jedoch erst knapp einen Monat später davon Kenntnis und sprach auch erst daraufhin am folgenden Tag die Entlassung aus.
Der Kläger argumentierte im Rahmen seiner Klage auf Kündigungsentschädigung unter anderem, dass die Entlassung verspätet ausgesprochen worden wäre, da die Kenntnis des Schichtführers als unmittelbarer Vorgesetzter dem Arbeitgeber zuzurechnen sei. Der Arbeitgeber widersprach und betonte, dass erst die Kenntniserlangung durch die Prokuristin entscheidend gewesen wäre.
Vorauszuschicken ist, dass der OGH den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit im vorliegenden Fall eindeutig als gegeben ansah (zum einen käme es nicht darauf an, ob die WhatsApp-Gruppe, zu beruflichen oder anderen Zwecken eingerichtet wurde und zum anderen habe der Kläger seine Kollegen dem Risiko einer Strafverfolgung auf Grund des Besitzes einer Missbrauchsdarstellung Minderjähriger ausgesetzt).
Im Zusammenhang mit der Frage der Rechtzeitigkeit stellte der OGH klar, dass für die rechtzeitige Geltendmachung von Entlassungsgründen entscheidend ist, ab welchem Zeitpunkt Arbeitgeber*innen oder ihm*r zurechenbare Personen Kenntnis erlangen. Dabei setze sich der OGH mit der Frage der Abgrenzung von „einfachen Vorgesetzten“ - deren Kenntnis über den Entlassungsgrund Arbeitgeber*innen nicht zuzurechnen sei - gegenüber „ganz oder überwiegend mit Personalagenden betrauten leitenden Angestellten“ – deren Kenntnis Arbeitgeberinnen (zusätzlich zur Kenntnis von – zur Entlassung befugten - Stellvertreter*innen) zuzurechnen sei – auseinander. Der OGH betonte dabei, dass die bloße Stellung als Schichtführer*in oder ähnlicher unmittelbare*r Vorgesetzte*r nicht für die Zurechnung ausreiche. Demgegenüber wird die Kenntnis von leitenden Angestellten, die ganz oder teilweise mit Personalfragen betraut sind, Arbeitgeber*innen zugerechnet, unabhängig davon, ob diese berechtigt sind, selbst Entlassungen auszusprechen.
Im konkreten Fall sah der OGH die Kompetenzen des Schichtführers als nicht ausreichend an, um ihn als „leitenden Angestellten“ zu qualifizieren. Dieser war lediglich zur Entgegennahme von Meldungen über Urlaube sowie Arbeitsverhinderungen befugt und hatte Disziplinlosigkeiten an seinen Vorgesetzen zu melden. Laut OGH reiche dies nicht für die Einordnung als ein mit Personalagenden betrauter leitender Angestellter aus. Die Kenntnis des Entlassungsgrundes wurde dem Arbeitgeber daher erst ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch die Prokuristin zugerechnet. Die Entlassung erfolgte somit rechtzeitig.
Die Entscheidung des OGH verdeutlicht, dass die Zurechnung von Kenntnissen im Arbeitsrecht eng an die Kompetenzen der jeweiligen Mitarbeiter*innen geknüpft ist. Die bloße auf fachliche Agenden beschränkte Weisungsbefugnis, wie sie etwa Schichtführer*innen besitzen, reicht nicht aus, um eine Zurechnung zu begründen. Entscheidend ist vielmehr, ob es sich bei den betreffenden Mitarbeiter*innen um Stellvertreter oder ganz oder teilweise mit Personalagenden betraute leitende Angestellte handelt.
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