Beweislast für das (Nicht)Vorliegen einer Saisonbranche
Für Arbeiter*innen gelten seit dem 1. Oktober 2021 grundsätzlich die gleichen Kündigungsfristen und -termine wie für Angestellte (§ 1159 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)). Als Ausnahme wurde vorgesehen, dass in Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen („Saisonbranchen“), der jeweilige Kollektivvertrag abweichende Kündigungsfristen vorsehen kann (§ 1159 Abs 2 und 4 ABGB). Der Kollektivvertrag für Arbeiter*innen im Hotel- und Gastgewerbe sieht eine kürzere Kündigungsfrist von 14 Tagen vor. Ob es sich bei dieser Branche tatsächlich um eine „Saisonbranche“ handelt und damit die verkürzten Fristen zulässig waren, bildete bereits den Gegenstand verschiedener Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof (OGH). Bislang konnte das Vorliegen einer Saisonbranche jedoch nicht festgestellt werden. In einer aktuellen Entscheidung (OGH 19.09.2024, 9 ObA 57/24h) befasste sich der OGH deshalb mit der Beweislastfrage.
Im gegenständlichen Verfahren machte ein Arbeitnehmer Kündigungsentschädigung aufgrund einer von ihm behaupteten fristwidrigen Kündigung geltend. Er behauptete, der Arbeitgeber habe zu Unrecht die 14-tägige Frist des Kollektivvertrags für Arbeiter*innen im Hotel- und Gastgewerbe angewandt, denn es handle sich um keine Saisonbranche. Aufgrund von Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der relevanten Bestimmungen (§ 1159 Abs 2 und 4 ABGB) setzte der OGH das Verfahren zunächst aus und stellte einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Die Bestimmungen seien nicht ausreichend bestimmt und daher womöglich verfassungswidrig. Doch der VfGH erklärte sie für verfassungsgemäß und ließ im Ergebnis die Frage offen, welche Kündigungsfristen für Arbeiter*innen im Hotel- und Gastgewerbe gelten sollen.
Im nun wieder fortgeführten Verfahren befasste sich der OGH nun mit der Frage, wer die Beweislast für das (Nicht)Vorliegen der Saisonbranche trägt, wenn dies nicht festgestellt werden kann. Ist es der klagende Arbeitnehmer, der sich auf die gesetzliche Kündigungsfrist beruft und die Unwirksamkeit der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfrist behauptet? Oder ist es der beklagte Arbeitgeber, der die kollektivvertragliche Kündigungsfrist angewendet wissen will?
Der OGH stützte sich in seiner Beurteilung auf allgemeine Beweislastregeln. Danach habe jede Partei die Voraussetzungen der für sie günstigeren Norm zu behaupten und zu beweisen. Weiters trage grundsätzlich derjenige die Beweislast, der eine Ausnahme behaupte. Wer also, wie im vorliegenden Fall, die Unwirksamkeit einer Norm (=die kurze Kündigungsfrist des Kollektivvertrags) behaupte, müsse jene Tatsachen beweisen, aus denen sich die Unwirksamkeit der Bestimmung ergibt (= das Nichtvorliegen einer Saisonbranche).
Im Ergebnis habe der Arbeitnehmer somit zu beweisen, dass es sich um keine Saisonbranche handle, wenn er sich auf die gesetzlichen anstatt der kollektivvertraglichen Kündigungsfristen stützen wolle. Diese Beweislastverteilung wurde auch bereits in einer weiteren Entscheidung (OGH 24.10.2024, 8 ObA 33/24x) bestätigt. In beiden Fällen sei mangels Beweis des Nichtvorliegens der Saisonbranche durch die Arbeitnehmer die kollektivvertragliche Kündigungsfrist von 14 Tagen richtig angewendet worden.
Die Kollektivvertragsparteien des Hotel- und Gastgewerbes beschlossen inzwischen, mit dem neuen Kollektivvertrag für Arbeitnehmer*innen (Angestellte und Arbeiter*innen wurden zusammengefasst) Klarheit zu schaffen. Ab 1. November 2024 gelten nun auch für Arbeiter*innen im Hotel- und Gastgewerbe die gesetzlichen Kündigungsbestimmungen und damit die längeren Kündigungsfristen. Praktisch relevant bleibt die judizierte Beweislastverteilung daher nur noch für Kündigungen, die vor dem 1. November 2024 ausgesprochen wurden. Für diese gilt die Beweislast der klagenden Arbeiter*innen für das Nichtvorliegen der Saisonbranche.
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