Einigung der EU-Mitgliedstaaten über die EU-Lieferketten-RL
Der Krimi um die EU-Lieferketten-RL ist wohl beendet. Am 15. März 2024 haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf die EU-Lieferketten-RL, in abgeschwächter Form, geeinigt. Nun sind alle Weichen auf eine EU-weit einheitliche Regulierung von unternehmerischen Lieferketten gestellt – nur das Europäische Parlament (EP) muss noch zustimmen.
Bisheriger Prozess
Bereits am 23. Februar 2022 unterbreitete die Europäische Kommission (EK) ihren Vorschlag zur EU-Lieferketten-RL. Nachdem der Rat und das EP ihre Verhandlungspositionen veröffentlicht hatten, starteten im Juni 2023 die Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, EP und EK. Wir berichteten dazu bereits in unserem Law Blog (Nächster Schritt in Richtung „EU-Lieferkettengesetz“! und Der Rat der Europäischen Union hat seine Verhandlungsposition zum sog. EU-Lieferkettengesetz veröffentlicht). Nach mehreren Verhandlungsrunden wurde am 14. Dezember 2023 in einer Pressekonferenz eine Einigung der Verhandlungsparteien bekanntgegeben, was sich jedoch als voreilig erwies:
In weiterer Folge sollte der beschlossene Richtlinientext vom Rat angenommen werden. Es fand sich jedoch keine Mehrheit – das Projekt EU-Lieferketten-RL drohte zu scheitern. Nach mehreren vergeblichen Anläufen legte der belgische Ratsvorsitz einen weiteren (abgeschwächten) Kompromisstext für die Richtlinie vor. In letzter Minute kam es am 15. März 2024 dann doch noch zu einer Beschlussfassung im Rat – das Ziel sich noch vor den EP-Wahlen auf eine EU-Lieferketten-RL zu einigen, ist also in greifbarer Nähe!
Wesentliche Änderungen im Kompromisstext
Im Vergleich zum ursprünglichen Trilog-Ergebnis wurde der Richtlinientext deutlich abgeschwächt. Wir haben die wesentlichsten Änderungen für Sie zusammengefasst:
Eingeschränkter Adressatenkreis
Der direkte Adressatenkreis wurde deutlich verkleinert. So sind „nur“ noch EU-Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als EUR 450 Mio direkt betroffen. Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat sind direkt betroffen, sofern sie innerhalb der EU einen Jahresumsatz von mehr als EUR 450 Mio erwirtschaften. Zudem wurde folgende Einschleifregelung beschlossen:
Das Konzept, für Unternehmen in Risikosektoren niedrigere Schwellenwerte vorzusehen und damit einen weiteren Anwendungsbereich für diese Unternehmen zu schaffen, wurde (vorerst) aufgegeben.
Allerdings wurde eine Konzernbetrachtung eingeführt. Zudem findet eine Zusammenrechnung auch bei Franchise-Unternehmen statt, sofern aufgrund der Franchise-/Lizenzverträge eine einheitliche Identität, ein einheitliches Geschäftskonzept sowie eine einheitliche Geschäftsmethode besteht.
Definition „chain of activities” (Aktivitiätskette)
Der Begriff „chain of activities“ (Aktivitiätskette) ersetzt nun den Begriff „value chain“ (Wertschöpfungskette) und umfasst alle direkten und indirekten Geschäftspartner, die mit den vom verpflichteten Unternehmen hergestellten Produkten oder erbrachten Dienstleistungen in Verbindung stehen.
Erfasst sind also vorgelagerte Geschäftspartner (upstream), wie etwa Zulieferer, aber auch nachgelagerte Geschäftspartner (downstream), die Produkte des verpflichteten Unternehmens, vertreiben, transportieren oder lagern. Ausnahmen bestehen für bestimmte Produkte, die der Exportkontrolle unterliegen (z.B. Waffen, Munition, etc.). Darüber hinaus wurde die Entsorgung von Produkten von der chain of activities ausgenommen – verpflichtete Unternehmen sind daher nicht mehr zwingend für die Entsorgungstätigkeiten ihrer downstream-Geschäftspartner verantwortlich.
Sanktionen und zivilrechtliche Haftung
Verstöße können mit einer Geldbuße von bis zu 5% des weltweiten Jahresumsatzes geahndet werden.
Zudem bleibt – wie schon in früheren Entwürfen – die zivilrechtliche Haftung bestehen. Allerdings wurde die Bestimmung dahingehend konkretisiert, dass eine zivilrechtliche Haftung der verpflichteten Unternehmen „nur“ dann eintritt, wenn der Schaden auf eine schuldhafte Verletzung der Sorgfaltspflichten zurückzuführen ist. Darüber hinaus kann ein verpflichtetes Unternehmen nicht haftbar gemacht werden, wenn der Schaden ausschließlich durch seine Geschäftspartner aus der chain of activities verursacht wurde.
Klimapläne
Auch die verpflichtenden Klimapläne wurden beibehalten. So müssen verpflichtete Unternehmen einen sog. transition plan erarbeiten, mit welchem sichergestellt werden soll, dass die Geschäftsstrategie des verpflichteten Unternehmens mit dem Klimaziel des Pariser Klimaabkommens (1,5°C) sowie mit den Bestimmungen des Europäischen Klimagesetzes zur Klimaneutralität vereinbar ist.
Hingegen wurden die Bestimmungen zur variablen Vorstandsvergütung (die an die Einhaltung des Klimaplans gekoppelt waren) gestrichen.
Ausblick
Die EU-Lieferketten-RL muss noch vom EP beschlossen werden – eine erste Abstimmung findet im April 2024 statt. Da der Rechtsausschuss des EP bereits grünes Licht gegeben hat, ist es wahrscheinlich, dass die nötige Mehrheit auch im Plenum zustande kommen wird.
Nach Inkrafttreten der EU-Lieferketten-RL haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Da es in Österreich bis dato kein Lieferkettengesetz gibt, wird der Gesetzgeber einen gänzlich neuen Rechtsrahmen verabschieden müssen.
Neben der EU-Lieferketten-RL gibt es weitere (oft produktbezogene) Bestimmungen, welche Lieferketten regulieren. Zu denken ist hier an die EU-Konfliktmineralienverordnung, die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) oder die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Zudem befinden sich weitere einschlägige Bestimmungen, wie bspw die Verordnung über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt, derzeit in der Pipeline.
Wir halten Sie über die aktuellen Entwicklungen in Sachen Lieferketten-Compliance am Laufenden.
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