Kein allgemeiner Kündigungsschutz ohne inländischen Betrieb mit mindestens fünf Arbeitnehmer*innen
In einer aktuellen Entscheidung (OGH 25.06.2025, 9ObA94/24z) befasste sich der Oberste Gerichtshof erstmals mit der Frage, ob der allgemeine Kündigungsschutz nach den §§ 105 Arbeitsverfassungsgesetz („ArbVG“) auch auf Arbeitnehmer*innen anwendbar ist, die lediglich in einen ausländischen Betrieb ausländischer Arbeitgeber*innen eingegliedert sind, jedoch ihre Arbeit überwiegend in Österreich verrichten.
Der Kläger, der gewöhnlich von seinem Nebenwohnsitz in Wien aus seiner Tätigkeit nachging, während er organisatorisch und hierarchisch in den in Deutschland gelegenen Betrieb der Beklagten eingegliedert war (es gab keinen Betrieb in Österreich), hatte die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses wegen eines verpönten Motivs iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG und zudem wegen Sozialwidrigkeit iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG angefochten. Er argumentierte, dass österreichisches Recht und damit auch die Kündigungsschutzregelungen des ArbVG gemäß der Rom‑I‑Verordnung auf sein Arbeitsverhältnis anwendbar seien, da er seine Arbeit überwiegend von seinem Wohnsitz in Wien aus verrichtete. Die Beklagte bestritt insbesondere die Anwendbarkeit dieser Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem ArbVG, da in Österreich kein Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG bestehe.
Das Erstgericht wies die Klage ab und stellte fest, dass zwar österreichisches Recht auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sei, der allgemeine Kündigungsschutz jedoch voraussetze, dass der Arbeitnehmer in einen Betrieb im Inland mit mindestens fünf Arbeitnehmer*innen in Österreich eingegliedert sei. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Der Oberste Gerichtshof schloss sich dieser Auffassung an und wies die Revision des Klägers ab.
Zunächst stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass die Kündigungsschutzregelungen der §§ 105 ff ArbVG im Anwendungsbereich der Rom‑I‑Verordnung trotz deren Eingliederung in das ArbVG kollisionsrechtlich dem Arbeitsvertragsstatut folgen. Die Kündigungsschutzregelungen gelangen daher grundsätzlich dann zur Anwendung, wenn auf den Arbeitsvertrag von Arbeitnehmer*innen österreichisches Arbeitsrecht zur Anwendung gelangt. Dies ist mangels Rechtswahl grundsätzlich dann der Fall, wenn die Tätigkeit überwiegend in Österreich erbracht wird (was im konkreten Fall gegeben war).
Der Oberste Gerichtshof hielt in der Folge fest, dass die Kündigungsschutzregelungen jedoch auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nur dann zur Anwendung gelangen, wenn Arbeitnehmer*innen in einen österreichischen Betrieb eingegliedert seien. Auch, wenn das ArbVG keine ausdrückliche Regelung enthalte, wonach die Anwendbarkeit der Regelungen des ArbVG einen österreichischen Betrieb voraussetze, sei für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsrechts klar, dass nach dem Territorialitätsprinzip nur auf in Österreich gelegene Betriebe abzustellen sei. Es gäbe keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Kündigungsschutzregelungen der §§ 105 ff ArbVG von einem anderen Betriebsbegriff ausgehen wollte. Die Anknüpfung des Kündigungsschutzes an den Betriebsbegriff des ArbVG sei auch nicht zufällig, sondern basiere auf der gewollten Einbindung des Betriebsrates in den allgemeinen Kündigungsschutz. Der allgemeine Kündigungsschutz bestehe nach der Intention des Gesetzgebers nur dort, wo grundsätzlich ein Betriebsrat zu bestellen sei (Betrieb mit mindestens fünf Arbeitnehmer*innen).
Der Oberste Gerichtshof merkte hierzu an, dass nicht von den Gerichten zu beantworten sei, ob dieses Konzept in seiner derzeitigen Ausprägung noch zeitgemäß sei und den Anforderungen der digitalisierten Arbeitswelt entspreche.
Auch eine analoge Anwendung des § 107 ArbVG, der die Selbstanfechtungsmöglichkeit von Arbeitnehmer*innen in betriebsratspflichtigen Betrieben (mindestens fünf Arbeitnehmer*innen), in denen kein Betriebsrat besteht, regelt, scheide mangels planwidriger Lücke aus. § 107 ArbVG sei auch kein Auffangtatbestand für alle Fälle, in denen kein Betriebsrat bestehe, sondern nur für solche Fälle, in denen ein Betriebsrat grundsätzlich zu errichten sei.
Abschließend stellte der Oberste Gerichtshof auch klar, dass gegen diese Beurteilung keine unionsrechtlichen Bedenken bestünden.
Im Ergebnis gelangten die Kündigungsschutzregelungen der §§ 105 ff ArbVG für den Kläger nicht zur Anwendung, da er in keinen österreichischen Betrieb mit mindestens fünf Arbeitnehmer*innen eingegliedert war.
Auch der 8. Senat des Obersten Gerichtshofs hat sich der Rechtsansicht des 9. Senats, dass bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ein in Österreich gelegener Betrieb im Sinne des ArbVG vorhanden sein muss, in einer ähnlich gelagerten aktuellen Entscheidung (OGH 12.08.2025, 8ObA59/24w) ausdrücklich angeschlossen.
Für die Praxis bringt diese Entscheidung eine lang erwartete höchstgerichtliche Klarstellung und damit erhöhte Rechtssicherheit für ausländische Arbeitgeber*innen, die keinen österreichischen Betrieb mit mindestens fünf Arbeitnehmer*innen haben. Ein allgemeiner Kündigungsschutz besteht für deren in Österreich tätigen Arbeitnehmer*innen (auf die österreichisches Arbeitsrecht anwendbar ist) daher selbst dann nicht, wenn sie in einen ausländischen Betrieb eingegliedert sind, und zwar unabhängig von dessen Größe.
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