Beendigung des Dienstverhältnisses eines begünstigten Behinderten wegen Dienstunfähigkeit
Menschen mit Behinderung genießen am Arbeitsmarkt einen erhöhten (Kündigungs-) Schutz. Das Ausmaß dieses (Kündigungs-) Schutzes hängt zunächst davon ab, ob es sich um einen „begünstigten Behinderten“ gemäß § 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) handelt. Begünstigt behindert iSd § 2 BEinstG bedeutet im Wesentlichen, dass ein Behinderungsgrad von mindestens 50% vorliegt. In diesem Fall können Dienstverhältnisse (grundsätzlich erst nach einer Dauer von über 4 Jahren) nur bei Vorliegen bestimmter, im Gesetz definierter, Gründe und nach vorheriger Zustimmung des Behindertenausschusses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen gekündigt werden. Einer der im Gesetz definierten Kündigungsgründe ist die dauernde Dienstunfähigkeit. Demgegenüber ist im BEinstG kein besonderer Entlassungsschutz vorgesehen. Keine Zustimmung des Behindertenausschusses ist daher für die Entlassung eines begünstigten Behinderten erforderlich. Auch für die Entlassung kann die dauernde Dienstunfähigkeit ein Grund sein.
Mit der Frage, wann die dauernde Dienstunfähigkeit die Kündigung eines begünstigten Behinderten und wann die Entlassung ermöglicht und wie sich die beiden Fälle zueinander verhalten, hatte sich der Oberste Gerichtshof (OGH) jüngst auseinander zu setzen (OGH vom 28.09.2021, 9 ObA 93/21y).
Im vorliegenden Fall ging es um einen Dienstnehmer mit einem Behinderungsgrad von 70%, der seine Ursache insbesondere in der angeborenen Herabsetzung der geistigen Leistungsfähigkeit hatte. Der Dienstnehmer befolgte wiederholt Anweisungen nicht und akzeptierte einen neuen Vorgesetzten nicht. Im Rahmen eines klärenden Gesprächs wurde der Dienstnehmer laut, warf eine schriftliche Verwarnung zurück und schmiss beim Verlassen des Raumes die Tür zu. Unmittelbar im Anschluss an dieses Gespräch sagte der Dienstnehmer zu einer Kollegin sinngemäß, er würde seinen Vorgesetzten am liebsten erschießen und wiederholte diese Aussage auch vor mehreren Kollegen. In Folge dieses Vorfalles wurde der Dienstnehmer entlassen. Der Dienstnehmer ist nicht in der Lage, seine Affekte zu zügeln bzw. seine Impulse zu steuern und erkannte die Tragweite seines Verhaltens nicht und konnte diese auch nicht erkennen. Der Dienstnehmer klagte auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, weil die Entlassung unberechtigt erfolgt sei.
Im Rahmen des Verfahrens wurde das Vorliegen des Entlassungsgrundes der Dienstunfähigkeit geprüft, wobei insbesondere das Verhältnis des Kündigungsgrundes der Dienstunfähigkeit zum Entlassungsrecht wegen Dienstunfähigkeit im Fall eines begünstigten Behinderten thematisiert wurde.
So erläuterte der OGH – entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung –, dass die bloße Unfähigkeit zur Verrichtung der geschuldeten Arbeit im Fall eines begünstigten Behinderten, wenn dieser trotz seiner Zustimmung ohne erheblichen Schaden auch nicht an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz im Betrieb eingesetzt werden kann, lediglich einen Kündigungsgrund darstelle. Die Entlassung eines begünstigten Behinderten sei dagegen nur in Ausnahmefällen möglich. Ist der Kündigungsgrund der Dienstunfähigkeit erfüllt, hat der Dienstgeber im Fall eines begünstigten Behinderten daher kein Wahlrecht, ob er kündigen oder entlassen möchte. Die einzige Möglichkeit des Dienstgebers ist in diesem Fall, die Zustimmung des Behindertenausschusses zur Kündigung zu beantragen.
Die Entlassung eines begünstigen Behinderten wegen Dienstunfähigkeit ist dagegen nur dann möglich, wenn der begünstigte Behinderte nicht nur trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz im Betrieb ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigt werden kann, sondern aufgrund seiner mangelnden Leistungsfähigkeit - egal ob diese aus der Behinderung resultiert oder nicht - am allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr arbeitsfähig ist. An dieser Abgrenzung zwischen Kündigungsgrund und Entlassungsgrund ändert auch der Umstand nichts, dass es aus Sicht des Dienstgebers unerheblich ist, ob der begünstigte Behinderte nur mehr bei ihm oder auch am allgemeinen Arbeitsmarkt dienstunfähig ist.
Ob im vorliegenden Fall „nur“ der Kündigungsgrund vorlag oder die Entlassung gerechtfertigt war, blieb letztlich aber offen, da es an den erforderlichen Feststellungen fehlte. In der Praxis muss aber im Fall der Dienstunfähigkeit eines begünstigten Behinderten jedenfalls vor Abgabe einer Beendigungserklärung abgewogen werden, ob im Einzelfall eine nur den konkreten Dienstgeber bezogene oder eine generelle Dienstunfähigkeit vorliegt, weil nur im letzteren Fall mit einer Entlassung vorgegangen werden kann.
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