EuGH: Anspruch auf Abgeltung von nicht verbrauchtem Urlaub besteht auch bei unberechtigtem vorzeitigen Austritt des Dienstnehmers
Grundsätzlich ist der Jahresurlaub zu Erholungszwecken in natura zu verbrauchen. Bei Beendigung des Dienstverhältnis sieht das österreichische Urlaubsgesetz (UrlG) allerdings eine finanzielle Abgeltung der zum Beendigungszeitpunkt unverbrauchten Urlaubstage in Form der sogenannten Urlaubsersatzleistung vor. Eine solche Urlaubsersatzleistung soll aber gemäß § 10 Abs 2 UrlG nicht zustehen, wenn der Dienstnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt.
Ein Dienstnehmer, der während der Dauer seines Dienstverhältnisses vom 15. Juni 2018 bis zu seinem unberechtigten vorzeitigen Austritt am 9. Oktober 2018 insgesamt einen Anspruch auf 7,33 Urlaubstage erworben hatte, wovon er vier Urlaubstage in natura konsumiert hatte, begehrte Urlaubsersatzleistung für 3,33 unverbrauchte Urlaubstage mit der Behauptung, dass § 10 Abs 2 UrlG unionsrechtswidrig sei.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) wies darauf hin, dass die konkrete Bestimmung einerseits einen Anreiz schaffen solle, indem sie den Dienstnehmer davon abhalte, das Dienstverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig zu beenden und andererseits einen wirtschaftlichen Zweck verfolge, da sie den Dienstgeber, der mit dem unvorhersehbaren Verlust eines seiner Dienstnehmer konfrontiert werde, finanziell entlasten wolle. Nichtsdestotrotz hegte der OGH aber Zweifel an der Vereinbarkeit von § 10 Abs 2 UrlG mit unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere jener des Artikel 7 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88), weshalb er sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) wandte.
Im Wesentlichen ging es um die Frage, ob das Unionsrecht mit einer nationalen Vorschrift vereinbar ist, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende (letzte) Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Dienstnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig das Dienstverhältnis beendet („Austritt“).
In seiner Entscheidung (EuGH vom 25.11.2021, C-233/20) führte der EuGH zunächst aus, dass der Anspruch jedes Dienstnehmer auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen sei, von dem nicht abgewichen werden dürfe und den die zuständigen nationalen Stellen nur innerhalb der Grenzen der Richtlinie 2003/88 umsetzen dürften.
Nach dem EuGH stelle der Anspruch auf Bezahlung (während des Erholungsurlaubs) einen weiteren wichtigen Aspekt des unionssozialrechtlichen Grundrechts dar. Es sei davon auch eine finanzielle Vergütung mitumfasst, wenn der bezahlte Jahresurlaub aufgrund der Beendigung des Dienstverhältnisses nicht mehr verbraucht werden kann. Die einzigen Voraussetzungen für eine finanzielle Vergütung seien, dass zum einen das Dienstverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Dienstnehmer bzw. die Dienstnehmerin nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bzw. sie bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses Anspruch hatte. Somit sei der Grund für die Beendigung des Dienstverhältnisses für eine finanzielle Vergütung gemäß Artikel 7 der Richtlinie 2003/88 nicht maßgeblich.
Dementsprechend gelangt der EuGH zum Schluss, dass das Unionsrecht einer nationalen Vorschrift entgegensteht, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Dienstnehmer bzw. die Dienstnehmerin das Dienstverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig beendet.
Da die österreichischen Gerichte diese Entscheidung des EuGH über den Anlassfall hinaus berücksichtigen müssen, bedeutet dies für die Praxis, dass Dienstnehmer eine Urlaubsersatzleistung für nicht verbrauchten Urlaub auch bei einem unberechtigten vorzeitigen Austritt geltend machen können.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.