Kein individueller Kündigungsschutz während Corona-Kurzarbeit und Behaltefrist
In den letzten beiden Jahren stellte die Corona-Kurzarbeit eine wesentliche Unterstützung für Dienstgeber (und Dienstnehmer) dar. Einige für die Praxis wesentliche Fragen im Zusammenhang mit Corona-Kurzarbeitsvereinbarungen waren allerdings bislang ungeklärt: So etwa, ob Dienstnehmer aus einer Corona-Kurzarbeitsvereinbarung direkt einen individuellen Kündigungsschutz ableiten können. Kündigungen während der Kurzarbeit und der nachfolgenden Behaltefrist könnten in diesem Fall vom Dienstnehmer als rechtsunwirksam bekämpft werden.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) stellte nunmehr in zwei unterschiedlichen Fällen klar, dass die Vereinbarung von Corona-Kurzarbeit keinen individuellen Kündigungsschutz bewirkt, sondern - mangels Vorliegen eines Ausnahmetatbestands - ausschließlich beihilfenrechtliche Konsequenzen für den Dienstgeber haben könne.
Das erste Urteil des OGH (OGH vom 22.10.2021, 8 ObA 48/21y) betraf den Fall eines Angestellten, dessen Dienstgeber im ersten Covid-19-Lockdown mit einer eingeschränkten Dienstnehmerzahl eine „Sozialpartnervereinbarung–Einzelvereinbarung über Corona-Kurzarbeit“ (SPV-Einzelvereinbarung) für Phase 1 mit Wirksamkeit ab 23.03.2020 abschloss. Der Kläger war nicht von der Kurzarbeit umfasst. Der Dienstgeber kündigte Mitte April 2020 an, die Kurzarbeit in der Folge auf alle Dienstnehmer ausdehnen zu wollen und bat die Dienstnehmer, die entsprechenden Vereinbarungen zu unterfertigen. Schließlich wurde mit dem Kläger aber keine Kurzarbeit vereinbart, sondern es kam Ende April 2020 zur Kündigung des Klägers (mit Wirksamkeit zum 31.07.2020). Grund für die Kündigung waren persönliche Unstimmigkeiten zwischen den Geschäftsführern und dem Kläger betreffend die Kurzarbeit. Der Kläger begehrte in der Folge Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum bis 31.10.2020 mit der Begründung, der Dienstgeber sei während der für die gesamte Belegschaft geltenden Kurzarbeit und der Behaltefrist nicht berechtigt gewesen, sein Dienstverhältnis vor dem Ende der Behaltefrist aufzulösen.
Ein zweites Urteil des OGH (OGH zum 29.11.2021, 8 ObA 50/21t) betraf den Fall einer Arbeiterin, die sich zwischen 01.04.2020 bis 30.09.2020 selbst in Kurzarbeit befand. Die Klägerin wurde wegen Beschwerden von Kollegen über ihr Verhalten mit Schreiben vom 18.09.2020 mit Wirksamkeit zum 02.10.2020 gekündigt. Die Klägerin begehrte in der Folge eine Kündigungsentschädigung für den Zeitraum von 03.10.2020 bis zum 15.11.2020 mit der Begründung, es habe ein Kündigungsverbot für die Dauer der Behaltepflicht bestanden.
Der OGH hielt fest, dass der wesentliche Zweck des Abschlusses einer SPV-Einzelvereinbarung sei, Kurzarbeitsbeihilfen gemäß § 37b Abs 2 Arbeitsmarktservicegesetz (AMSG) zu erhalten. Der „Preis“ für die Förderung sei dabei, dass man den „Beschäftigtenstand“ aufrechterhalten müsse. Damit stünden hinter dem System durch finanzielle Anreize verfolgte, arbeitsmarktpolitische Ziele. Im Speziellen, die Vermeidung von Arbeitslosigkeit im konkreten Wirtschaftszweig. Ein individueller Kündigungsschutz sei nicht statuiert. Aus den gesetzlichen Bestimmungen zur Kurzarbeit und den maßgeblichen Regelungen der SPV-Einzelvereinbarung sei daher keine generelle Unwirksamkeit von während der Kurzarbeit und der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigungen ableitbar.
Mittelbar habe Kurzarbeit jedoch Einfluss auf den Schutz individueller Dienstverhältnisse. So müsse die Förderung insbesondere im Rahmen einer allfälligen Kündigungsanfechtung bei der Beurteilung des Vorliegens betrieblicher Erfordernisse für die Kündigung berücksichtigt werden.
Der OGH führte allgemein aus, bei der Auslegung der Bestimmungen der SPV-Einzelvereinbarungen dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich nicht um eine reine Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer, sondern in Wahrheit um eine „Vierparteienvereinbarung“ handle, da auch die Sozialpartner diese mitabschließen. In der Vergangenheit (vor der Corona-Krise) hätten Muster-Betriebsvereinbarungen der Gewerkschaft explizit die Rechtsunwirksamkeit einer vereinbarungswidrigen Kündigung vorgesehen. Wäre ein individueller Kündigungsschutz beabsichtigt gewesen, wäre daher eine solche explizite Formulierung zu erwarten gewesen. Es seien nämlich die Sozialpartner, und nicht Dienstnehmer und -geber, die die SPV-Einzelvereinbarungen ausverhandelten.
Aus sprachlicher Sicht handle es sich bei der Formulierung „dürfen frühestens gekündigt werden“ darüber hinaus lediglich um eine Handlungsanleitung. Der Abschluss der SPV-Einzelvereinbarung diene zumindest in erster Linie nur der Effektuierung der Kurzarbeit. Gegen die Annahme des Kündigungsschutzes sprächen auch die Regelungen zur Auffüllpflicht des Beschäftigtenstandes, die für den einzelnen Dienstnehmer ohne Bedeutung seien.
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