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Stichtagsregelungen: Keine Anwendung von „Altregelungen“ für Arbeitnehmer*innen bei Betriebsübergang erst nach dem jeweiligen Stichtag
Im Fall eines Betriebsübergangs gehen die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer*innen automatisch auf den*die Erwerber*in über. In den §§ 3 ff Arbeitsvertragsrechtsanpassungsgesetz (AVRAG) finden sich diverse Bestimmungen zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmer*innen. Sofern der*die Erwerber*in einem anderen Kollektivvertrag unterliegt, kommt es dabei grundsätzlich zum Wechsel des anwendbaren Kollektivvertrags. Bei der Einstufung in diesen neuen Kollektivvertrag sind die vor dem Betriebsübergang liegenden Dienstzeiten so zu beurteilen, wie wenn sie beim*bei der neuen Arbeitgeber*in erbracht worden wären. Dieser Grundsatz steht aber Stichtagsregelungen nicht entgegen, die nur zu einem bestimmten Stichtag vor dem Betriebsübergang bereits beim*bei der Erwerber*in beschäftigte Arbeitnehmer*innen vor dem Verlust bestehender Ansprüche schützen soll. Aus derartigen Stichtagsregelungen lässt sich für übergehende Arbeitnehmer*innen kein Anspruch ableiten.
Im gegenständlichen Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der seit 21. September 1988 bei der A GmbH beschäftigt war. 2011 wurde die A GmbH mit dem beklagten Arbeitgeber verschmolzen und das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers ging durch Betriebsübergang auf den beklagten Arbeitgeber über. Es kam zu einem Kollektivvertragswechsel. Gemäß neuem Kollektivvertrag gebührt jedem*jeder Arbeitnehmer*in mit Beginn des Arbeitsverhältnisses vor dem 1. Jänner 1999 nach einer ununterbrochenen Dauer des Arbeitsverhältnisses von 20 Jahren eine Dienstalterszulage, sofern diese nicht in das 1998 neu ausverhandelte günstigere Gehaltsschema wechselten. Hintergrund dieser Bestimmung ist, die betroffenen Arbeitnehmer*innen vor dem Verlust drohender Ansprüche zu schützen. Der klagende Arbeitnehmer begehrte nun eben diese Dienstalterszulage und begründete diesen Anspruch damit, dass sein Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten übergangen und die Dauer des Arbeitsverhältnisses vor dem Betriebsübergang so zu beurteilen wäre, als ob sie beim neuen Arbeitgeber zurückgelegt worden wäre. Sein Dienstverhältnis hätte daher bereits vor dem 1. Jänner 1999 begonnen.
Der OGH verneinte den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Anspruch jedoch klar (OGH 15.12.2021, 9 ObA 129/21t). Laut OGH sei es zwar richtig, dass die beim Veräußerer verbrachte Dauer des Arbeitsverhältnisses aufgrund des § 3 Abs 1 AVRAG so zu berücksichtigen sei, als ob sie beim beklagten Arbeitgeber geleistet worden wäre. Bei der fraglichen Bestimmung des neuen Kollektivvertrags handle es sich aber um eine Stichtagsregelung. Stichtagsregelungen haben den Zweck bestimmte Ansprüche ab einem gewissen Stichtag abzuändern und dabei die Ansprüche von in den Geltungsbereich einer alten Regelung fallenden Arbeitnehmer*innen zu schützen. Derartige Stichtagsregelungen seien nach ständiger Rechtsprechung zulässig. Hintergrund der fraglichen Bestimmung des neuen Kollektivvertrags sei ausschließlich, eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmer*innen, die nicht in das neuverhandelte Gehaltsschema wechselte und bereits vor 1999 beim beklagten Arbeitgeber beschäftigt war, zu schützen. Könnte nun auch der klagende Arbeitnehmer, der zum fraglichen Stichtag noch gar nicht diesem neuen Kollektivvertrag unterlag und daher auch keinerlei Nachteile im Zusammenhang mit dem neuen Gehaltsschema dieses neuen Kollektivvertrags erlitt, einen Anspruch auf Dienstalterszulage geltend machen, würde er dadurch einen Anspruch erlangen, der ihm ohne Betriebsübergang nicht zugestanden wäre. Dies sei aber nicht der Regelungszweck der §§ 3 ff AVRAG. §§ 3 ff AVRAG seien vielmehr nur darauf gerichtet, im Rahmen eines Betriebsübergangs übergehende Arbeitnehmer*innen vor dem Verlust bestehender Ansprüche zu schützen.