Unionsrechtliches Update
1. Richtlinie (EU) des europäischen Parlaments und des Rates über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union
Die Richtlinie (EU) des europäischen Parlaments und des Rates über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union wurde am 20. Juni 2019 verabschiedet und hob mit Wirkung vom 1. August 2022 die Richtlinie 91/533/EWG („Nachweisrichtlinie“) auf. Auf Unionsebene wurden durch die neue Richtlinie Mindestanforderungen hinsichtlich der Unterrichtung über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses sowie betreffend allgemeine Arbeitsbedingungen festgelegt. Die Umsetzung der Mitgliedsstaaten in nationales Recht hätte bis 1. August 2022 erfolgen müssen, Österreich ist dieser Verpflichtung bis dato noch nicht nachgekommen, wodurch nun ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Richtlinie eingeleitet wurde.
Angesichts der Entwicklung neuer Arbeitsformen sowie basierend auf dem Umstand, dass von der Richtlinie 91/533/EWG nicht alle Arbeitnehmer*innen umfasst waren, wurden durch die neue Richtlinie Mindestanforderungen für die Unterrichtung über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses (z.B. Arbeitsbeschreibung, Kündigungsmöglichkeiten) und die Arbeitsbedingungen (z.B. Höchstdauer der Probezeit, Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit) festgelegt, die für alle Arbeitnehmer*innen zur Anwendung gelangen. Die Mindestanforderungen sollen einerseits die Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch ein gewisses Maß an Transparenz und Vorhersehbarkeit und andererseits die Beibehaltung eines angemessenen Maßes an Flexibilität zur Gewährleistung der Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes sicherstellen.
Die Frist für die Umsetzung in nationales Recht bis 1. August 2022 wurde von Österreich versäumt. Es ist davon auszugehen, dass für Österreich zwar nur relativ wenig Umsetzungsbedarf besteht, da das bestehende Schutzniveau im nationalen Recht bereits sehr hoch ist, insbesondere etwa hinsichtlich der Unterrichtungspflichten der Arbeitgeber*innen.
Anpassungsbedarf wird allerdings etwa beim Thema Mehrfachbeschäftigung von Arbeitnehmern*innen bestehen, hier sollen Arbeitgeber*innen diese weder generell verbieten können noch Arbeitnehmer*innen im Falle einer solchen benachteiligen. Seitens der Mitgliedsstaaten können jedoch Bedingungen festgelegt werden, bei deren Vorliegen der*die Arbeitgeber*in aus objektiven Gründen Unvereinbarkeitsbestimmungen anwenden darf (etwa aus Gründen der Gesundheit und der Sicherheit, zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, der Integrität des öffentlichen Dienstes oder zur Vermeidung von Interessenkonflikten). Es ist denkbar, dass hier die bestehenden nationalen Regelungen des Konkurrenzverbots angepasst werden müssen.
2. Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige
Die Richtlinie (EU) des europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige wurde am 20. Juni 2019 verabschiedet und hob damit mit Wirkung vom 2. August 2022 die Richtlinie 2010/18/EU (Elternteilzeitrichtlinie) auf. Die Richtlinie dient der Umsetzung des Grundsatzes der Gleichstellung von Frauen und Männern hinsichtlich der Chancen auf dem Arbeitsmarkt und der Behandlung am Arbeitsplatz. Durch die punktuelle Stärkung bereits bestehender Rechte sowie die Einführung neuer Rechte soll es die Richtlinie Eltern und Personen mit Betreuungs- und Pflegepflichten ermöglichen, ihre familiären und beruflichen Verpflichtungen besser miteinander in Einklang zu bringen. Die Umsetzung der Mitgliedsstaaten in nationales Recht hätte (mit Ausnahme der Umsetzung zweier Bestimmungen) bis 2. August 2022 erfolgen müssen, Österreich ist auch dieser Verpflichtung bis dato nicht nachgekommen, wodurch nun ebenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Richtlinie eingeleitet wurde.
Der Richtlinie zu entnehmen sind unter anderem die folgenden neuen Rechte:
- das Recht auf zehntägigen Vaterschaftsurlaub anlässlich der Geburt eines Kindes;
- das Recht auf viermonatigen Elternurlaub für jede*n Arbeitnehmer*in – dieser ist zu konsumieren, bevor das Kind ein bestimmtes Alter erreicht (maximal 8 Jahre) und kann im Ausmaß von zwei Monaten an den anderen Elternteil übertragen werden;
- das Recht auf fünf Arbeitstage Urlaub pro Jahr für pflegende Angehörige;
- das Recht auf Arbeitsfreistellung im Fall höherer Gewalt aus dringenden familiären Gründen, wenn eine Erkrankung oder ein Unfall die unmittelbare Anwesenheit erfordert;
- das Recht auf Beantragung flexibler Arbeitsregelungen für Betreuungs- und Pflegezwecke.
Zum Schutz dieser Rechte sieht die Richtlinie zudem einen Motivkündigungsschutz vor.
Um sicherzustellen, dass die Umsetzung der Richtlinie keinesfalls als Rechtfertigung für die Absenkung des bereits bestehenden Schutzniveaus herangezogen wird, ist zudem eine Nicht-Rückschritts-Klausel geregelt. Diese könnte auch Österreich betreffen, da das bestehende Schutzniveau im nationalen Recht bereits hoch ist, insbesondere hinsichtlich des Papamonats und der Elternkarenz, welche die unionsrechtlichen Mindestvorschriften weit übersteigen.
Anpassungsbedarf wird es unter anderem bei der Nichtübertragbarkeit der zwei Monate anlässlich des Elternurlaubs sowie der Freistellungsansprüche in Bezug auf pflegende Angehörige geben.
3. Europäischer Gerichtshof (EuGH) vom 10.02.2022, C-485/20 – Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderung
Arbeitgeber*innen sind nach Art 5 der RL 2000/78/EG bzw. § 6 Abs 1a BEinstG dazu verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung des Berufes, Aufstiegs- und Karrierechancen zu ermöglichen. Diese Verpflichtung hat zur Folge, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen bestehender Leistungseinschränkungen aufgrund einer Behinderung oder vermehrter Krankenstände, die auf eine Behinderung zurückzuführen sind, dann jedenfalls eine unzulässige Diskriminierung darstellt, wenn der*die Arbeitgeber*in nicht zuvor derartige zumutbare Vorkehrungsmaßnahmen prüft und ergreift, um die Arbeitsumgebung des*r Arbeitnehmers*in anzupassen und so das Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten.
Vom Obersten Gerichtshof (OGH) wurde Art 5 der RL 2000/78/EG im Jahr 2014 dahingehend interpretiert, dass sich daraus keine Verpflichtung ergäbe, eine*n Arbeitnehmer*in, der seine dienstvertraglich vereinbarte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, außerhalb der vertraglich vereinbarten Tätigkeit zu beschäftigen (OGH 29.04.2014, 9 ObA 165/13z).
Der Kernpunkt einer aktuellen EuGH Entscheidung steht dieser Ansicht aber nunmehr entgegen. So vertritt der EuGH, dass es EU-Recht widerspricht, wenn sich der*die Arbeitgeber*in bei der Prüfung der zumutbaren Vorkehrungsmaßnahmen auf die vereinbarte Tätigkeit des*r Arbeitnehmers*in beschränkt. Die Prüfung hat auch unter Berücksichtigung sonstiger Einsatzmöglichkeiten des*r Arbeitnehmers*in zu erfolgen.
4. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängende Maßnahmen
Über den bereits aus dem Jahr 2012 stammenden Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängende Maßnahmen wurde im Juni 2022 eine politische Einigung erzielt.
Mit der Richtlinie wird durch Festlegung gewisser Maßnahmen das Ziel verfolgt, eine ausgewogenere Vertretung von Frauen und Männern unter den Mitgliedern börsennotierter Gesellschaften zu erreichen. Durch dies soll allgemein zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit beigetragen werden.
Die Richtlinie soll unter anderem die Neuerung bringen, dass bis 31. Dezember 2027 mindestens 40 % der nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitglieder oder mindestens 33 % aller Unternehmensleitungspositionen (hierzu zählen sowohl die Posten der geschäftsführenden Direktoren/Vorstandsmitglieder als auch die nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitglieder) börsennotierter Gesellschaften mit Vertretern des unterrepräsentierten Geschlechts besetzt sein müssen.
Um dieses Ziel zu erreichen, sind die betroffenen Posten auf Grundlage eines Vergleichs der Qualifikationen der Kandidaten*innen nach vorab festgelegten, klaren, neutral formulierten und eindeutigen Kriterien auszuwählen. Sind zwei Kandidaten*innen unterschiedlichen Geschlechts hinsichtlich ihrer Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleich qualifiziert, hat die Wahl grundsätzlich zugunsten des*der Kandidaten*in des unterrepräsentierten Geschlechts auszufallen (Ausnahme: eine objektive Beurteilung, nach Berücksichtigung aller Auswahlkriterien, fällt zugunsten des*der Kandidaten*in des anderen Geschlechts aus).
In einem nächsten Schritt soll die förmliche Billigung durch die Gesetzgebungsorgane der EU erfolgen.