EuGH: Voraussetzungen für das Verbot des Tragens religiöser oder weltanschaulicher Zeichen am Arbeitsplatz
Basierend auf einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 15.07.2021, in verbundener Rechtssache C-804/18 und C-341/19) kann das Tragen religiöser oder weltanschaulicher Zeichen (wie etwa ein Kopftuch) durch die Arbeitnehmer im Rahmen der vom Arbeitgeber angestrebten Neutralitätspolitik unter bestimmten Voraussetzungen verboten werden. Der EuGH berücksichtigte diese Entscheidung und führte diese Rechtsprechung in einem jüngst entschiedenen Vorabentscheidungsverfahren fort (EuGH 13.10.2022, C-344/20). Demnach stelle eine Regelung, welche unterschiedslos jedes sichtbare Zeichen erfasst sowie alle Arbeitnehmer gleichbehandelt, keine jedenfalls unzulässige unmittelbare Diskriminierung dar. Der Gerichtshof ergänzte weiters, dass die „Religion oder Weltanschauung“ einen einzigen Diskriminierungsgrund darstellen würden.
Der EuGH hob bereits in einer Entscheidung vom 15. Juli 2021 hervor, dass unternehmerische Regelungen, die das Tragen solcher Zeichen durch die Arbeitnehmer verbieten, keine unmittelbare Diskriminierung darstellen, wenn sie unterschiedslos für jedes Zeichen gelten und damit alle Arbeitnehmer gleich behandeln. Eine solche unmittelbare Diskriminierung würde nämlich dazu führen, dass die unternehmensinterne Regel jedenfalls unzulässig ist. Eine mittelbare Diskriminierung würde vorliegen, wenn eine dem Anschein nach neutrale Regelung im Endeffekt dazu führen würde, dass in der Praxis Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt würden. Für ihre Zulässigkeit brauche es eine sachliche Rechtfertigung, welche im Verfolgen einer Neutralitätspolitik liegen könne. Diese brauche allerdings ein wirkliches Bedürfnis des Arbeitgebers. Wesentlich wäre hier der Nachweis eines berücksichtigungswürdigen Interesses der Kunden sowie das Erleiden eines Nachteils ohne eine solche Politik angesichts der Tätigkeit oder des Umfelds des Arbeitgebers.
In derselben Entscheidung stellte das Gericht außerdem fest, dass eine Regelung, die lediglich das Tragen auffällig großflächiger Zeichen verbietet, nicht geeignet sei, das Ziel einer Neutralitätspolitik zu erreichen, da dieses auch schon durch das Tragen kleinerer sichtbarer Zeichen beeinträchtigt werde. Der EuGH merkte weiters an, dass diese Regelung bereits die Qualität einer unmittelbaren Diskriminierung aufweisen könnte, da hierdurch Personen, welche aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung größere Kleidungsstücke tragen, stärker beeinträchtigt würden.
Basierend auf dieser Entscheidung setzte der EuGH diese Judikatur jüngst in einem ähnlich gelagerten Fall fort und ergänzte sie (EuGH 13.10.2022, C-344/20). Eine Bewerberin wurde im Rahmen ihres Vorstellungsgesprächs gefragt, ob sie bereit wäre, sich an die unternehmensinterne Neutralitätsregel zu halten. Diese forderte die Arbeitnehmer*innen auf, „darauf zu achten, dass sie ihre religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mögen, in keiner Weise, weder durch Worte noch durch die Kleidung oder auf andere Weise, zum Ausdruck bringen“. Dies hätte für sie das Ablegen ihres Kopftuches bedeutet, was diese verweigerte. Daraufhin teilte man ihr mit, dass ihre Bewerbung nicht angenommen wird. Wegen des Verdachts einer Diskriminierung erhob die Bewerberin Klage beim zuständigen Gericht in Brüssel, welches den gegenständlichen Antrag auf ein Vorabentscheidungsersuchen stellte.
Dieses Verfahren erforderte die Auslegung von Bestimmungen der Richtlinie der Europäischen Union zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Für den EuGH stellte sich im Wesentlichen die Frage, ob im gegenständlichen Fall eine Diskriminierung vorliegt und ob Religion und Weltanschauung ein oder zwei verschiedene Diskriminierungsgründe sind.
Der EuGH hielt in seiner Entscheidung fest, dass die Richtlinie dahingehend auszulegen sei, dass „Religion oder Weltanschauung“ als zwei Facetten desselben Diskriminierungsgrundes anzusehen seien, welcher religiöse, weltanschauliche als auch spirituelle Überzeugungen umfasst.
Weiters führte der Gerichtshof im Sinne seiner bisherigen Rechtsprechung aus, dass eine unternehmensinterne Regelung wie die oben zitierte keine unmittelbare Diskriminierung darstelle, wenn sie unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt und alle Arbeitnehmer gleichbehandelt. Als Beispiel für eine unmittelbar diskriminierende Regel führte der EuGH die oben erwähnte Entscheidung über das Verbot des Tragens auffällig großflächiger Zeichen an.
Der Gerichtshof ergänzte weiters, dass gegenständlich eine mittelbare Diskriminierung vorliegen könne, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts sei. Diese könne jedoch durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt werden, wenn die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären. Der EuGH betonte, dass der bloße Wille des Arbeitgebers, eine Neutralitätspolitik zu betreiben, für sich genommen noch keinen ausreichenden Grund darstelle. Hierfür brauche es das Vorliegen eines wirklichen Bedürfnisses, welches vom Arbeitgeber nachzuweisen sei.
Für die Praxis bedeutet dies, dass die Möglichkeit besteht, das Tragen von sichtbaren Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zum Zwecke des Erreichens einer unternehmensinternen Neutralitätspolitik zu verbieten und dies nicht per se eine unzulässige unmittelbare Diskriminierung darstellen muss. Dies kann jedoch mittelbar diskriminieren, weswegen bei der Implementierung eines solchen Verbots der*die Arbeitgeber*in nachzuweisen hat, dass ein wirkliches Bedürfnis besteht, beispielsweise um einem berechtigten Interesse seiner*ihrer Kunden*innen gerecht zu werden, wenn er*sie ohne eine solche Politik einen Nachteil erleiden würde. Abschließend ist zu betonen, dass die Regelung allgemein und unterschiedslos angewandt werden muss und der*die Arbeitgeber*in daher darauf achten muss, dass durch die Regel jedes sichtbare Zeichen oder jede andere Weise des Ausdrucks solcher Überzeugungen verboten wird.
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