Kein Kostenrückersatzanspruch der Arbeitgeber*innen, wenn konkrete Modalitäten erst nach begonnener Ausbildung vereinbart werden
In der Praxis investieren Arbeitgeber*innen regelmäßig in die Weiterbildung ihrer Arbeitnehmer*innen und übernehmen kostenintensive Ausbildungen. Um sicherzustellen, dass die erworbenen Kenntnisse, die grundsätzlich auch bei anderen Arbeitgebern*innen verwertet werden könnten, zumindest für eine bestimmte Zeit im eigenen Unternehmen eingesetzt werden, werden häufig Rückzahlungsverpflichtungen für den Fall vereinbart. Derartige Vereinbarungen müssen jedoch zwingend vor Beginn der Ausbildung schriftlich getroffen werden. Der Oberste Gerichtshof hob die strengen Anforderungen des Ausbildungskostenrückersatzes in einer aktuellen Entscheidung nochmals hervor.
Gemäß § 2d Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) hat eine Vereinbarung über die Rückerstattung der Ausbildungskosten schriftlich zu erfolgen. Aus dieser müssen u.a. die Höhe der zu ersetzenden Ausbildungskosten sowie die Rückzahlungsmodalitäten hervorgehen. Dabei judiziert der OGH in ständiger Rechtsprechung, dass eine solche Vereinbarung jedenfalls noch vor Beginn einer bestimmten Ausbildung zu erfolgen habe.
Nach Ansicht des Höchstgerichts soll diese Regelung für Arbeitnehmer*innen Transparenz über die Bedingungen des Rückersatzes der Ausbildungskosten schaffen. Es soll ersichtlich sein, welche Verpflichtungen Arbeitnehmer*innen eingehen, weil nur so die finanzielle Tragweite der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in jenem Zeitraum ermessen werden könne, für den eine Kostentragungspflicht vereinbart wurde. Nur auf diese Weise könne eine sittenwidrige Beschränkung der Kündigungsfreiheit von Arbeitnehmern*innen vermieden werden.
Im gegenständlichen Fall (OGH vom 28.06.2023, 9ObA48/23h) war dem Arbeitnehmer als Beklagten die Höhe der Ausbildungskosten bereits vor Beginn der Ausbildung bekannt und die Ausbildung zeitlich fixiert. Die Modalitäten eines allfälligen Rückersatzes zwischen den Parteien wurden jedoch erst in einer nach Beginn der Ausbildung abgeschlossenen (schriftlichen) Vereinbarung festgelegt. Später klagte die Arbeitgeberin auf Rückersatz der von ihr übernommenen Kosten.
Der OGH argumentierte, dass die Vorgangsweise im vorliegenden Fall dem Gesetzeszweck nicht gerecht werde, da der Arbeitnehmer sich nach dem Beginn einer Ausbildung im aufrechten Arbeitsverhältnis nicht mit einer vom Arbeitgeber zur Unterschrift vorgelegten Vereinbarung über die Rückforderbarkeit der vom Arbeitgeber bereits übernommenen Kosten konfrontiert sehen solle. Nach der Ansicht des OGH könne der Arbeitnehmer dadurch in eine Drucksituation geraten, welche seinem schützenswerten Interesse, frei und sachlich über die Teilnahme an einer Ausbildung zu entscheiden, widerspreche.
Weiters brachte die Arbeitgeberin als Klägerin vor, es läge ein Rechtsmissbrauch des Arbeitnehmers vor, da der Beklagte eine geringfügige Verzögerung bei der Präzisierung der Rückerstattungsvereinbarung auszunützen versuche, um eine eindeutig vereinbarte Rückzahlungsverpflichtung „auszuhebeln“. Der OGH führte hierzu aus, dass ein Rechtsmissbrauch nicht nur dann anzunehmen sei, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch, wenn ein krasses Missverhältnis zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen besteht. Ein allfälliger Rechtsmissbrauch sei von demjenigen zu beweisen, der sich auf diesen beruft, wobei selbst relativ geringere Zweifel am Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs zugunsten des Rechtsausübenden ausschlagen sollen.
Diese Entscheidung zeigt erneut auf, wie entscheidend der Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung über die Rückerstattung der Ausbildungskosten vor Beginn der Ausbildung in der Praxis ist. Selbst bei entsprechendem Wissen des*der Arbeitnehmer*in über die Höhe der Ausbildungskosten und die zeitlichen Rahmenbedingungen der Ausbildung sind die Voraussetzungen für eine Rückforderbarkeit der entrichteten Kosten nicht erfüllt. Es empfiehlt sich daher für die Praxis, eine entsprechende Vereinbarung im besten Fall noch vor der Buchung der Ausbildung – jedenfalls aber noch vor Beginn der Ausbildung –abzuschließen.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.