Krankenstand wegen Depression – Besuch einer (nächtlichen) Feier kein Entlassungsgrund
Der Oberste Gerichtshof („OGH“) hat sich in der Entscheidung 9ObA67/23b mit der Frage beschäftigt, ob ein an einer Depression erkrankter Arbeitnehmer, der, während seinem Krankenstand nachts eine Feier besucht hatte, berechtigt wegen Vertrauensunwürdigkeit entlassen wurde. Im konkreten Fall bestätigte der OGH die Entscheidung des Berufungsgerichts, wonach die Entlassung nicht berechtigt war, da der Arbeitnehmer kein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten setzte.
Der Arbeitnehmer befand sich aufgrund einer Depression im Krankenstand. Die behandelnde Ärztin legte keine Beschränkungen der Ausgehzeiten fest und verordnete auch keine Bettruhe; sie erteilte auch keine Anweisungen für das Verhalten im Krankenstand. Trotz seiner Arbeitsunfähigkeit nahm der Arbeitnehmer nachts an der 35-Jahr-Feier seines Motorradclubs teil, bei der auch Postings bzw. Fotos und YouTube Videos entstanden. Kurze Zeit darauf gab der Arbeitnehmer telefonisch gegenüber seiner Vorgesetzten wahrheitswidrig an, dass er einen in Aussicht gestellten Termin nicht wahrnehmen könne, weil seine Ärztin ihm davon abgeraten hätte. In Wahrheit wollte der Arbeitnehmer das Gespräch allerdings nur vermeiden, weil er sich dabei nicht wohlgefühlt hätte. Es erfolgte daraufhin der Ausspruch der Entlassung.
Arbeitnehmer*innen sind im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit arbeitsvertraglich verpflichtet, sich so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird. Arbeitnehmer*innen dürfen daher während des Krankenstandes weder ärztlichen Anordnungen im erheblichen Maß zuwiderhandeln noch die nach der allgemeinen Lebenserfahrung allgemein üblichen Verhaltensweisen im Krankenstand offenkundig verletzen. Vereinfacht gesagt, dürfen Arbeitnehmer*innen daher keine dem Heilungsverlauf abträglichen Verhaltensweisen im Krankenstand setzen.
Arbeitgeber*innen sind für das Vorliegen eines Entlassungsgrundes beweispflichtig. In einem Fall wie dem vorliegenden, sei es laut OGH daher erforderlich, zu beweisen, dass das Verhalten von Arbeitnehmer*innen geeignet sei, den Heilungsverlauf zu gefährden. Nicht ausreichend sei, wenn eine Verhaltensweise von Arbeitnehmer*innen (nur) nicht förderlich war. Es sei auch nicht der arbeitgeberseitige subjektive Eindruck (z.B. aufgrund von Postings bzw. Fotos aus dem YouTube-Video) des Verhaltens relevant. Vielmehr komme es grundsätzlich nur auf die objektive Wertung des Verhaltens an.
Der Arbeitnehmer handelte nicht entgegen ärztlichen Anordnungen. Es bestehe auch kein (von der speziellen Erkrankung unabhängiger) Erfahrungssatz dahin, dass Kranke generell nachts (besonderer) Ruhe bedürfen und eine Störung der Nachtruhe den Heilungsverlauf gefährde. Im konkreten Fall ließ sich auch nicht ableiten, dass der Arbeitnehmer auf Grund der Teilnahme an der Feier nicht ausreichend geschlafen habe. Vor dem Hintergrund, dass keine Bettruhe verordnet wurde und dem Arbeitnehmer Spaziergänge (mit dem Hund) sowie Treffen mit Arbeitskollegen empfohlen wurden, legte die Arbeitgeberin auch nicht dar, aus welchen Gründen die Teilnahme des Arbeitnehmers an der Feier geeignet gewesen sein sollte, seine psychische Erkrankung und damit seine Arbeitsunfähigkeit zu verlängern.
Der Arbeitgeberin ist im konkreten Fall daher der Beweis eines objektiv sorgfaltswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers nicht gelungen. Auf eine allfällige subjektive Vorwerfbarkeit des Verhaltens kam es daher gar nicht an.
Dass der Arbeitnehmer durch sein Verhalten möglicherweise die Arbeitsmoral der übrigen Beschäftigten gesenkt haben könnte, hat die Arbeitgeberin im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht. Ebenso stützte die Arbeitgeberin die Entlassung im Verfahren erster Instanz nicht auch darauf, dass der Arbeitnehmer den in Aussicht genommenen Gesprächstermin (während des Krankenstandes) nicht wahrgenommen bzw. über den Grund dafür unwahre Angaben gemacht hatte. Daher mussten diese Aspekte vom Gericht unberücksichtigt bleiben.
Diese Entscheidung zeigt, wie wesentlich es in der Praxis ist, dass Arbeitgeber*innen im Fall von vermeintlichem Fehlverhalten von erkrankten Arbeitnehmer*innen, auf Grund dessen eine Entlassung ausgesprochen werden soll, in jedem Einzelfall prüfen müssen, ob das Verhalten der Arbeitnehmer*innen im Hinblick auf die bestehende konkrete Erkrankung (sofern die Diagnose bekannt ist) aus einer objektiven Perspektive dazu führt, dass der Heilungsprozess und damit die Arbeitsunfähigkeit sich verlängert. Die subjektive Wahrnehmung muss dabei grundsätzlich ausgeblendet werden. Gerade in Fällen von psychischen Erkrankungen kann diese Beurteilung besonders schwierig sein. Dies auch vor dem Hintergrund, dass diese Arten von Erkrankungen für Außenstehende oft schwer erkenn- bzw nachvollziehbar sind und sich auch empfohlene Verhaltensweisen von behandelnden Ärzt*innen naturgemäß wesentlich von anderen Erkrankungen unterscheiden.
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