Kündigungsfristen für Arbeiter*innen in Hotel- und Gastgewerbe: bestehende gesetzliche Regelung verfassungskonform
Seit dem 1. Oktober 2021 gelten für Arbeiter*innen grundsätzlich die gleichen Kündigungsfristen und -termine wie für Angestellte (§ 1159 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)). In Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen („Saisonbranchen“), kann der jeweilige Kollektivvertrag jedoch abweichende, in der Regel kürzere Kündigungsfristen vorsehen. Der Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel und Gastgewerbe sieht eine solche Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell vor. Ob es sich bei dieser Branche tatsächlich um eine „Saisonbranche“ handelt, konnte bislang gerichtlich nicht geklärt werden. In einer aktuellen Entscheidung hatte sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgrund eines Vorlageantrags des OGH (OGH) mit der Verfassungsmäßigkeit der gegenständlichen Ausnahmebestimmung zu befassen.
Dem Verfahren vor dem VfGH lagen mehrere Verfahren von Arbeiter*innen vor dem OGH zugrunde, die eine Kündigungsentschädigung aufgrund einer fristwidrigen Kündigung einklagten, weil ihre Arbeitgeber*innen die 14-tägige Kündigungsfrist nach dem Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anwendeten. Die Arbeiter*innen brachten vor, dass die Arbeitgeber*innen insbesondere keinen „Saisonbetrieb“ betreiben würden und daher die längeren gesetzlichen Kündigungsfristen des § 1159 ABGB Abs 2 Satz 1 zur Anwendung kämen.
Der OGH hatte Zweifel an der Verfassungskonformität der Ausnahmebestimmung des § 1159 ABGB für Saisonbranchen und legte daher die Bestimmung dem VfGH zur Prüfung vor, insbesondere wegen möglicher Verstöße gegen das Legalitätsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz.
Der VfGH teilte diese Bedenken jedoch nicht. Im Wesentlichen argumentierte der VfGH, dass es zum Nachweis der Geltung der kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell der Erhebung und Auswertung des entsprechenden Datenmaterials bedürfe und insoweit faktische Schwierigkeiten bestünden. Dies begründe aber nicht die mangelnde Bestimmtheit der angefochtenen Regelungen. Zudem verfüge der Gesetzgeber bei der Regelung des Kündigungs- und Entlassungsschutzes über einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum. Es sei dem kollektiven Arbeitsrecht immanent (und vielfach gerade die Zielsetzung von Kollektivverträgen), die Arbeitsbedingungen innerhalb einer Branche zu vereinheitlichen und damit gleichen Bedingungen für alle Betriebe dieser Branche zu schaffen, mögen diese auch in struktureller und sonstiger Hinsicht unterschiedlich sein. Die Anknüpfung an „Mehrheitsverhältnisse“ (Überwiegen von Saisonbetrieben) sei daher gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden.
Demnach ist § 1159 ABGB einschließlich der Ausnahmebestimmung für abweichende kollektivvertragliche Regelungen in Saisonbranchen verfassungskonform. Daraus folgt, dass der OGH die anhängigen Verfahren nun fortzusetzen und sich in den anhängigen Einzelverfahren neuerlich mit der Frage zu befassen hat, ob das Hotel- und Gastgewerbe als Saisonbranche zu beurteilen ist. Die in diesem Zusammenhang bereits ergangenen Entscheidungen zu den Feststellungsanträgen der Wirtschaftskammer und des Gewerkschaftsbundes haben keine rechtliche Bindungswirkung für diese Verfahren.
Im Ergebnis ist daher die Frage, welche Kündigungsfristen für Arbeiter*innen im Hotel- und Gastgewerbe gelten, weiterhin offen.
Für die Praxis ist es daher bis auf Weiteres empfehlenswert, bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen mit Arbeiter*innen im Hotel- und Gastgewerbe vertraglich zumindest die Kündigungstermine zum 15. und Monatsletzten zu vereinbaren und bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung entweder die längeren gesetzlichen Kündigungsfristen zur Anwendung zu bringen oder sich bei Anwendung der kürzeren Kündigungsfristen des Risikos einer allfälligen Kündigungsentschädigungsklage mit ungewissem Ausgang bewusst zu sein.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.