Selbstkündigung unter Entlassungsdruck: Wann ist sie wirksam?
Eine Selbstkündigung der Arbeitnehmer*innen unter der Androhung einer sonstigen Entlassung ist dann wirksam, wenn für die Arbeitgeber*innen im Ausspruchszeitpunkt plausible und objektiv ausreichende Gründe für die Entlassung vorlagen. Ob die Entlassung auch bei richtiger rechtlicher Beurteilung gerechtfertigt war, spielt hingegen keine Rolle.
Im gegenständlichen Fall führte die beim Finanzamt beschäftigte Klägerin unzulässige Abfragen in der Finanzamts-EDV durch. Sie wurde von Personen aus ihrem Familien- und Bekanntenkreis dazu veranlasst. Auf die Unzulässigkeit solcher (nicht dienstlich veranlasster) Abfragen wurde sie durch ein angebotenes E-learning-Programm, einen entsprechenden Hinweis bei jeder Datenabfrage im System sowie einen entsprechenden Hinweis in einem Erlass des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) aufmerksam gemacht. Außerdem intervenierte sie bei anderen Dienststellen in Angelegenheiten ihr nahestehender Personen. Zudem intervenierte sie bei einer Erhebung des Büros für Interne Angelegenheiten (BIA), welche bei einem ihrer Bekannten aufgrund einer solchen unzulässigen Abfrage stattfand. Sie platzte in die Befragung, sprach laut und aufgeregt und drohte, dass ein Vorstand, dessen Namen sie nicht nenne, belastendes Material gegen den Leiter des BIAs habe. Die Befragung musste aufgrund ihres Verhaltens abgebrochen werden. Die Klägerin wurde nach Vorliegen des Berichts des BIA vom Dienst freigestellt und es wurde ihr die beabsichtigte Entlassung mitgeteilt. Ihrer Anfrage folgend wurde ihr jedoch die Möglichkeit der Selbstkündigung eröffnet, wobei unmissverständlich kommuniziert wurde, dass mangels einer solchen Selbstkündigung die Entlassung ausgesprochen werden müsse. Die Klägerin kündigte daraufhin das Dienstverhältnis. Im gegenständlichen Fall klagte sie nun auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses. Die Selbstkündigung sei unwirksam, da sie nur unter dem Druck einer bevorstehenden unberechtigten Entlassung erfolgt sei.
Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass aus Sicht der beklagten Arbeitgeberin plausible und objektiv ausreichende Gründe für die Entlassung gegeben waren. Das Berufungsgericht wiederum meinte, dass bei den Verfehlungen der Klägerin noch nicht von besonders schweren Dienstpflichtverletzungen gesprochen werden könne, die eine Entlassung gerechtfertigt hätten. Da eine Entlassung aus der Sicht des Berufungsgerichts nicht berechtigt gewesen wäre, könne sich die Klägerin darauf berufen, bei ihrer Selbstkündigung ungerechtfertigtem Druck ausgesetzt gewesen zu sein.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) betonte in seinem Urteil (OGH 15.02.2024, 8ObA72/23f), dass es allein auf das Vorliegen plausibler und objektiv ausreichender Gründe für eine Entlassung ankomme, um das Vorliegen ungerechter Furcht bei der Kündigung ausschließen zu können. Arbeitgeber*innen müssen mit guten Gründen gegenüber den Arbeitnehmer*innen vertreten können, diese hätten einen Entlassungsgrund gesetzt. Ob die Gerichte (ex post) das Vorliegen eines Entlassungsgrundes bejahen, sei hingegen nicht relevant.
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Arbeitgeber*innen den Arbeitnehmer*innen, die aus Sicht der Arbeitgeber*innen einen Entlassungsgrund gesetzt haben, die gesichtswahrende Möglichkeit einer Selbstkündigung oder eines Abschlusses einer einvernehmlichen Auflösung einräumen. Wenn der*die Arbeitgeber*in in dieser Situation das Vorliegen eines Entlassungsgrundes vertreten kann, besteht kein Risiko einer erfolgreichen Anfechtung der Selbstkündigung oder der einvernehmlichen Auflösungsvereinbarung, selbst wenn sich im Nachhinein (ex post) herausstellt, dass die Gerichte das Vorliegen eines Entlassungsgrundes nicht bejahen.
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