Anspruch des Betriebsrats auf Herausgabe privater E-Mail-Adressen von Arbeitnehmern
In einer aktuellen Entscheidung (6 ObA 2/23x) bejahte der Oberste Gerichtshof (OGH) den Anspruch des Betriebsrats eines Essenszustelldienstes, vom Arbeitgeber die privaten E-Mail-Adressen der beschäftigten Arbeitnehmer*innen zu erhalten. Abgelehnt wurde hingegen die Verpflichtung zur Herausgabe privater Telefonnummern.
Aus dem entscheidungsrelevanten Sachverhalt ergibt sich, dass der Arbeitgeber als Essenszulieferdienst mit den von ihm beschäftigten Fahrradboten primär über deren private E-Mail-Adressen und Telefonnummern sowie einer App eines Drittanbieters kommuniziert. Die Arbeitnehmer*innen erhalten keine dienstlichen E-Mail-Adressen. Es besteht im Betrieb des Arbeitgebers auch kein Büro oder anderer Ort, an dem sich alle Arbeitnehmer*innen regelmäßig aufhalten, an dem etwa durch angeschlagene Informationen mit der Belegschaft kommuniziert werden könnte.
Aufgrund der durch die dezentrale Arbeitsweise erschwerten Kommunikationswege verlangte der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Herausgabe der - vom Arbeitgeber selbst als Kommunikationsmittel genutzten - privaten E-Mail-Adressen und Telefonnummern der Arbeitnehmer*innen. Aufgrund der hohen Fluktuation von bis zu 100 Ein- und Austritten pro Monat sei der Arbeitgeber verpflichtet, dem Betriebsrat jeweils binnen 14 Tagen ab Kenntnis die aktualisierten Kontaktdaten neu eintretender Arbeitnehmer*innen zu übermitteln. Der Arbeitgeber verweigerte die Herausgabe der Daten unter Verweis auf datenschutzrechtliche Bestimmungen und vertrat die Ansicht, die Datenübermittlung sei nur mit Einwilligung der betroffenen Arbeitnehmer*innen zulässig.
Nachdem die Klage des Betriebsrats in erster Instanz abgewiesen wurde, bejahte das Berufungsgericht die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Herausgabe der E-Mail-Adressen und privaten Telefonnummern der Arbeitnehmer*innen. Der OGH entschied nunmehr, dass im konkreten Fall ein Anspruch des Betriebsrats auf Herausgabe der privaten E-Mail-Adressen bestehe, nicht jedoch für die Telefonnummern.
In seiner Entscheidung stützte sich der OGH auf § 72 ArbVG, wonach der Arbeitgeber als Betriebsinhaber verpflichtet sei, dem Betriebsrat unentgeltlich alle erforderlichen Sacherfordernisse zur Verfügung zu stellen, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben notwendig seien. Der Begriff der Sacherfordernisse müsse dabei dynamisch ausgelegt werden und an die modernen Kommunikationsmittel angepasst werden. Entscheidend sei der Zweck der Bestimmung, welcher darin liege, dem Betriebsrat die effektive Wahrnehmung seiner Aufgaben zu ermöglichen und sicherzustellen, dass dieser seine Funktion ordnungsgemäß ausüben könne.
Da die proaktive Kontaktaufnahme des Betriebsrats aber nicht schlechthin einer seiner Pflichtbefugnisse zugeordnet werden könne, sei aber zusätzlich die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Datenübermittlung zu prüfen. Konkret prüfte der OGH, ob ein berechtigtes Interesse des Betriebsrats an der Übermittlung gegeben und die Verarbeitung erforderlich sei sowie ob überwiegende Interessen der betroffenen Arbeitnehmer*innen gegen die Übermittlung sprächen.
Erforderlich sei die Übermittlung der E-Mail-Adressen, um trotz des dezentralen Betriebsmodells des Arbeitgebers eine effektive Interessenvertretung der Belegschaft zu ermöglichen. Außerdem seien die E-Mail-Adressen der betroffenen Arbeitnehmer*innen bereits dem Arbeitgeber bekannt und würden von diesem selbst für die Kommunikation mit der Belegschaft benutzt. Daher sei von keinem wesentlichen Eingriff in die Privatsphäre der Belegschaft auszugehen.
In Bezug auf die privaten Telefonnummern der Arbeitnehmer*innen verneinte der OGH allerdings den Anspruch auf Herausgabe des Betriebsrates. Durch die Kommunikation per E-Mail sei die Möglichkeit für eine schnelle Kontaktaufnahme bereits ausreichend gegeben.
Die vorliegende Entscheidung kann wohl nicht dahingehend verstanden werden, dass Betriebsräte generell ein Recht auf Herausgabe privater E-Mail-Adressen der von ihnen vertretenen Belegschaft hätten. Vielmehr wurde dieses Recht im vorliegenden Fall nur deshalb bejaht, weil der Arbeitgeber selbst vorwiegend über deren private E-Mail-Adressen mit den Arbeitnehmer*innen kommunizierte.
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